1 - House of Memories

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Renn.
Renn weg.
Wieder und wieder hallen diese Worte in ihrem Kopf nach. Und spornen sie an, das Brennen in ihrer Lunge zu ignorieren. Hauptsache einfach nur weg ...

Die Dunkelheit der Nacht beginnt sich über das Inselreich zu legen. Stück für Stück hüllt sie die ihr sonst so vertraute Umgebung in die Schatten der Nacht ein. Wo vorher die Bäume in all ihren Details erkennbar waren, stehen jetzt große furchteinflößende Schatten, welche durch die Größe ihrer Schatten selbst das Licht der Sterne und des Mondes schweigend verschlingen.
Erst jetzt realisiert sie ihre Situation und das sie sich nicht nur verlaufen hat, sondern zu allem Übel mitten in der Nacht in der Wildnis ist. Das wird definitiv Ärger geben. Sogar noch mehr als ihr Ungehorsam, weswegen sie wegrannte. Immer wieder wurde ihr eingetrichtert, nach Sonnenuntergang das Dorf nicht mehr zu verlassen und trotzdem ...
Ein kehliges Knurren zerreißt die Stille der Dunkelheit und wie mit kalten Krallen packt sie das Gefühl des beobachtet werden und beißt sich in ihrem Nacken fest wie ein gieriges Tier. Unwohl reibt sie sich über die Arme und versucht, es abzuschütteln. Doch das Gefühl verschwindet nicht, während das Knurren immer näher kommt.

„Wer ist da?!", zitternd versucht sie ihrer Stimme Bestimmtheit zu verleihen.
Für einen Moment hört das Knurren auf, bevor eine tiefe Stimme ertönt: „Du naives Kind! Bist wohl aus dem Dorf abgehauen!"
Verwirrt sieht sie in die Richtung, aus welcher die Stimme kommt. Wobei das Knacken dabei immer lauter wird, bis sich etwas Großes, Dunkles aus den Gebüschen auf sie zubewegt. Noch immer verschlucken die Baumkronen das Licht des Mondes, wodurch der Schatten nur schwer erkennbar ist. Was auch immer es ist, dessen Umrisse passen nicht zu einem Menschen. Mit einem kehligen, drohenden Knurren nähert sich der Schatten unaufhaltsam und macht keine Anstalten zu verschwinden.
Alles in ihr schreit abzuhauen, zu verschwinden, Hauptsache weg von diesem... gruseligen Etwas! Doch das gierige Tier in ihrem Nacken lässt sie nicht los, sondern scheint sich noch mehr zu verbeißen und ihre Muskeln zu lähmen. Egal wie sehr ihr Kopf den Befehl "Renn!" schreit, ihre Muskeln verweigern sämtlichen Gehorsam, als hätte das schleichende Gift des unersättlichen Tieres ihren Körper gelähmt. Mit schreckgeweiteten Augen starrt sie den großen unförmigen Schatten an, der direkt auf sie zukommt. Wäre ich doch nur niemals weggerannt ...

„Lass mich in Ruhe!", ihr Aufschrei zerreißt die Stille der Nacht.
Ängstlich hat sie dabei die Augen zusammengekniffen und erwartet, jeden Moment die Zähne und Klauen dieser Gestalt zu spüren und dem Tod zu begegnen. Vielleicht wäre das wirklich besser als das, was sie im Dorf erwartet. Sollte sie lebend zurückkommen.

Stille.
Eine Minute.
Zwei Minuten.
... nichts passiert.
Verwirrt öffnet sie die Augen, wobei sie dabei fast noch mal einen Satz nach hinten macht. Dieser Schatten, der eben noch direkten Kurs auf sie zu nahm, steht jetzt still vor ihr und hat den Kopf gesenkt. Erst jetzt erkennt sie, was sich da vor ihr befindet. Ungläubig mustert sie das Wesen vor sich, noch verwirrter, weil sie noch immer am Leben ist. „Warum frisst du mich nicht ...?"
Nun liegt es am Drachen, der das Menschenmädchen vor sich mustert, verwirrt dreinzugucken. „Du hast es mir befohlen ...?"
Diese Antwort sowie das wortwörtliche verstehen von dem, was der Drache sagt, hilft ihr aber auch nicht unbedingt bei ihrer Verwirrung weiter. Zu viele Fragen tauchen in ihrem Kopf auf und auf keine will sich irgendwie eine gute Antwort finden lassen.
Aber vielleicht ...

* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *

Erleichtert mustert sie die Häuser ihres Dorfes und die vereinzelten Fackeln, die die Wege dazwischen beleuchten.
Noch immer zittern ihre Knie, wenn sie an das eben erlebte zurückdenkt. Es ist nicht der erste Drache in ihrem Leben und doch kannte sie von solchen Begegnungen nur Geschichten, die entweder knapp oder mit dem Tod ausgingen.
Jetzt aber steht sie hier zurück im Dorf, von einem wilden Drachen zurückgebracht. Kopfschüttelnd sieht sie zum angrenzenden Waldstück, wohin der Drache sie bis eben noch begleitete. Dieser ist längst wieder verschwunden, zurück bleibt nur-

„VIOLENE! WO WARST DU IN ODINS NAMEN?!"
... er.
Resigniert lässt sie seinen harten Griff zu und folgt ihm durch das Dorf, ohne einen Laut zu erwidern. Einfach nur die Klappe halten... dann dauert es nicht lange... Dabei den Boden fixierend, sieht sie nicht, welche Richtung sie einschlagen. Und doch spürt sie anhand seines Griffs, seiner Atmung, seiner Bewegungen, dass sie Es erwartet. Ungewollt verkrampfen sich ihre Muskeln allein schon beim Gedanken daran und machen es ihr schwer, ihm gehorsam zu folgen.
Doch auch sein Schweigen ist ihr dabei keine wirkliche Hilfe. Eigentlich ist es normal, dass er sie anschreit, sie wieder stundenlang belehrt, ihr irgendeine Strafe verpasst. Aber er bleibt still. Zu still für ihren Geschmack. Als würde ihr ein Stein schwer im Magen liegen. Nur unmerklich verändert sich der Boden von Erde und vereinzelten Grasflecken zu einem steinigen dunklen Boden.

„Vielleicht brauchst du nur eine weitere Lektion mit ihm, damit du endlich mal kapierst, dass du diese Warnungen und Regeln ernst zu nehmen hast!"
Mit diesen Worten öffnet er eine Tür und befördert sie unsanft ins Innere, bevor er diese hinter ihr schließt und sich entfernt. So bleibt sie zurück, alleine in der Arena mit Es. Sie weiß, was kommt, sie weiß, was passiert und doch ergreift die Angst Besitz von ihren Muskeln und ihren Gedanken. Allein mit ihren Gedanken, allein mit dieser Angst, die ihre Knochen hochklettert und jeden Teil ihres Körpers lähmt. Während sie weiß, dass es nur wenige Meter von ihr entfernt ist. Zusammen eingesperrt im selben Raum.
Still bleibt sie stehen, bewegt sich keinen Zentimeter, während ihre Augen sich langsam an die Umgebung gewöhnen und das blasse Mondlicht die Arena offenbart. Aber nicht nur irgendeine gewöhnliche Arena. Nein, diese hier ist der Ort, wo schon Drachen und Menschen ihr Leben ließen. Und die Wände selbst sind voll mit Zeugnissen davon.
Obwohl sie das andere Ende nicht sieht, spürt sie, das sie nicht alleine ist. Und es lässt nicht lange auf sich warten, beginnend mit einem Knurren.

Wie oft war sie schon in dieser Arena eingesperrt?
Bevorzugt über Nacht, wenn selbst das Licht der Fackeln von der Finsternis verschluckt wird?
Wo sie dies früher an einer Hand abzählte, so würde heute alles Papier ihres Dorfes nicht ausreichen, um jede Nacht aufzuzählen. Alles fing vor 10 Jahren an, als sie 5 Jahre alt war. Ihre erste Nacht in der Dunkelheit, verspottet und verstoßen von ihrem Onkel. Alleine in der Kälte zurückgelassen, im ständigen Bewusstsein, jederzeit von einem Drachen gefressen zu werden.
Und dann steigerte es sich rasch. Unaufhörliche Nächte alleine in der Arena und nur ein einziges Gitter trennte sie von diesen gefährlichen Wesen, die ihr jederzeit den Tod bringen könnten.
Immer und immer wieder... Bis sie verstand, was ihr Zweck ist, was ihr Wert ist, das Angst sie feige macht. Dass Angst allein ein Zeichen von Schwäche sei. Genauso wie weinen.
Mit diesem Tag wollte er sie abhärten. Schlag für Schlag, Schritt für Schritt, bis sie nichts mehr spürte, es resigniert über sich ergehen ließ. Bis... heute.

Sie hatte einen Fehler gemacht.
Auf Fehler folgen Strafen.
Doch diesmal konnte sie diese nicht einfach so hinnehmen, nicht... über sich ergehen lassen.
Und sie rannte weg, sie rannte und rannte, bis ihre Lunge keine Kraft mehr hatte und nur noch Bäume sie umgaben.

Wofür?
Nun steht sie hier.
Mit einem entscheidenden Unterschied: Es gibt keine Gitter zwischen ihr und dem Drachen.
Krallen schaben über Stein und kommen immer näher in ihre Richtung, die kehligen Laute werden zu einem immer stärkeren Knurren und wage lassen sich Umrisse eines Monsters erkennen.
Umso näher der Drache auf sie zukommt, umso mehr drücken sich die Gitterstäbe der Tür in ihren Rücken und machen ihr einmal mehr bewusst: Aus dieser Hölle gibt es kein Entkommen.

Dunkle Augen starren sie aus dem Schatten an und haben sie fest im Blick.
Die Entschlossenheit darin macht es deutlich, ein entkommen ist unmöglich. Niemand wird sie hören und wenn doch, so wird ihr niemand zu Hilfe eilen. Das würde nur bedeuten, dass sie schwach und feige sei...
Mit jedem Schritt schlägt ihr Herz schneller und pusht Adrenalin durch ihren Körper, während ihr Blick auf das Augenpaar vor sich fixiert ist. Ich habe keine Angst...
Langsam streckt sie die Hand in dessen Richtung aus, wobei sie das Zittern nicht verbergen kann. Angst ist nur was für Schwache... Im selben Moment reißt der Drache sein Maul auf und für einen Augenblick wird die Umgebung von Flammen erhellt. Eine Sekunde, und sie ist tot. Das wissen beide.
Alles könnte endlich vorbei sein – Diese eine Sekunde macht den entscheidenden Unterschied.

„Stopp."
Nur ein Wort, vielmehr.... ein Laut, etwas in einer nicht menschlichen Sprache.
Von sich selbst zum zweiten Mal an diesem Abend überrascht, sieht sie zum Drachen, der die Schnauze schloss und sich von ihr abwendet. Das war ich...? Das war wirklich... ich.
„Geh zurück...!", mit halbfester Stimme sieht sie ihm noch immer direkt in die Augen. Mit Skepsis erwidert der Drache den Blick, bevor er sich dem resigniert ohne großen Widerstand hingibt und wieder in die Richtung verschwindet, aus der er vorher kam.

„Ich wusste doch du würdest mich nicht enttäuschen."
Männlich, tief, emotionslos.
Sie kennt diese Stimme nur zu gut, seine Stimme nur zu gut.
Und was würde sie jetzt alles dafür geben, um alleine zu sein?
Warum ist er da...? Seit wann? Und wo? Er war nie da, in all den Jahren! Nie war er da in meinen dunkelsten Zeiten! Warum... warum jetzt? Warum hat er das gesehen...? Das hätte niemals passieren dürfen... Oh nein...
„Ich habe nicht vor, deine Bestrafung aufzuheben. Diesen Ärger hast du dir selbst eingebrockt", kalt und schneidend geht seine Stimme ihr durch Mark und Bein, nur wortlos schluckend.

Kurz darauf packt eine starke Hand sie von hinten und drückt sie im selben Moment gegen die kalte Arenawand.
Das Letzte, woran sie sich später erinnert, war ein atemraubender Schlag und der eiserne Geschmack von Blut im Mund.
Ohne einen weiteren Laut verliert sie das Bewusstsein.
Zufrieden lächelt er.





Hey, danke dir fürs lesen :p
Ich hoffe, das Kapitel hat dir gefallen. Zeig es mir doch gerne mit einer Rückmeldung durch Votes und Kommis – Geisterleser kriege ich leider nicht wirklich mit 🥺😅

Schatten der Vergangenheit (Httyd)Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum