15 - Start A Riot

27 3 1
                                    

Und wie das Dorf gefeiert hatte.
Es wurde gelacht, gesungen, getanzt und vor allem: sich gefreut.

Noch nie hatte Violene etwas so Schönes gesehen, geschweige denn daran teilgenommen.
Und dieser Abend durfte zu einem dieser seltenen Momente und Erfahrungen werden, wo sie diese wahre Freude, dieses echte „Glücklich sein" kennenlernen und erleben durfte.
Auch Schocker wurde in ihrer Mitte Willkommen geheißen und gut versorgt.

Am nächsten Tag aber musste sie früh aufbrechen.
Sie spürte einfach, ihre Zeit in diesem Dorf war abgelaufen und sie musste weiter. Konnte nicht länger bleiben. Nicht länger diese Sorglosigkeit und diesen Frieden kennenlernen und genießen. Nein, das blieb ihr einfach nicht vergönnt.
So kam es, das sie in aller Frühe sich von Ruki verabschiedete und ihm ein Wiedersehen eines Tages versprach. Und genauso auch von Thea, welche Violene noch einmal eindringlich an ihre vorangegangenen Worte erinnerte: Der Leuchtende Fluch ist das Wappen eines Stammes, den man vor vielen Jahren schon in die endgültige Vergessenheit stoßen wollte.

Ein Stammeswappen – Der Leuchtende Fluch an sich, auf dem Stofffetzen, auf dem Stück Metall...
Das alles kann längst kein Zufall mehr sein. Irgendwo und irgendwie müssen all diese Puzzleteile doch zueinander gehören. Nur wie?
Verbissen und schweigend zugleich überlässt sie Schocker die Führung beim Fliegen. Ihr Ziel ist sowieso klar. Warum sollte es auch etwas anderes sein? Er hatte ihnen beim letzten Start keine konkrete Zeit genannt, aber sie wusste es einfach! Würde sie mit Schocker noch länger fernbleiben, würde Grodan nicht nur ihr ihre gerechte Strafe geben. Zugleich war ihr klar, so kann das auf Dauer nicht mehr weitergehen. Gerade durch die letzten Erkundungen und vor allem Entdeckungen sehnt sich ein Teil von ihr immer mehr nach dieser Freiheit und diesem Frieden, was sie bei Rukis Dorf erleben durfte. Die Dorfbewohner sahen sie als vollwertiges Mitglied ihrer Gemeinschaft an.
Nicht als die Verfluchte, das seltsame Kind, die Verräterin, die mit Drachen sympathisiert. Dieses Dorf sah in ihr eben nicht das Kind, welches den Tod verdient hätte.
Auf Dauer musste sich doch etwas ändern. Das wusste sie einfach. Nur was...?

Schocker war natürlich nicht wohl bei dem Gedanken, zu genau dem Menschen wieder zurückzufliegen, welcher seiner Reiterin schon so viel Leid zugefügt hatte. Wäre es nach ihm gegangen, hätten sie ruhig in eine der anderen drei Himmelsrichtungen fliegen können. Hauptsache nie wieder zurück zu diesem verhassten Ort.
Aber er spürte, das es seiner Reiterin wichtig war, eben an diesen Ort zurückzukehren. Und wenn es ihr wichtig war, dann wollte er sie mindestens dabei weiterhin begleiten und erst recht an diesem Ort eben nicht alleine lassen!

Obwohl Drache und Reiter in dieser letzten Erkundung eine Menge gelernt und entdeckt haben, ist der Großteil des Flugs tatsächlich schweigend vorübergegangen. Abgesehen von notwendigen Absprachen, wenn es um Rast, Futter oder wichtige Beobachtungen ging.
Stillschweigend hebt Violene den Kopf, als ihre "Heimatinsel" in Sicht kommt. Wie gewohnt ist das Meer darunter ruhig, was auch immer sich darin verbirgt, ist vielleicht gerade gar nicht da. Schade findet sie es nicht, im Gegenteil. Schlussendlich ist sie sogar ein bisschen dankbar darum, in Ruhe auf der Insel wieder ankommen zu können und nicht noch im Notfall sich mit Schocker gegen etwas Unbekanntes wehren zu müssen. Vor allem, da auch die Rückreise beide sehr ausgelaugt und viele Kräfte gezehrt hat.
So entspannt, wie es für Schocker nur möglich ist, landet er an ihrem altbekannten Start- und Landepunkt nahe der Klippe. Kurz wirft Violene einen Blick zurück, sich sehnsüchtig an ihren ersten gemeinsamen Ausflug erinnernd. Die Ruhe, die Freiheit, den Frieden... und die verdiente Strafe dafür. Unmerklich schüttelt sie den Kopf, als sie absteigt und mit Schocker auf ihrer Höhe zu Fuß in das Dorf geht. Direkt Ausschau haltend nach Grodan.

Ich höre auf jeden Befehl. Ich erstatte dir sofort Bericht. Ich bin hörig. Du hast keinen Grund mir, aber vor allem Schocker etwas anzutun. Ich beschütze meinen Drachen mit meinem Leben. Und ich will mein Bestes geben, das auch anderen Drachen gegenüber schaffen zu können.
Konsequent ignoriert sie die stechenden Blicke und das typische Getuschel der anderen hinter ihrem Rücken. Irgendwann wird so was langweilig. Irgendwann ist man dem gegenüber so abgestumpft... was schlussendlich vielleicht gar nicht so verkehrt ist. Oder?

Keine Miene verziehend steuert Violene direkt das altbekannte Haus an.
Da er nicht irgendwo im Dorf rumlief, gibt es nur noch die Möglichkeit, das er zuhause ist. Aber wenn sie ihn selbst da nicht finden würde, ehrlich gesagt, sie wüsste keine weiteren Orte. Früher war sie immer froh, wenn er eben nicht zuhause war. Und wenn sie wusste, er kommt, ist sie regelmäßig in den Wald verschwunden. Wenn sie konnte...
Unwohl schüttelt sie sich kurz, wie um die negativen Erinnerungen loszuwerden. Mit der Hoffnung, dass diese auch genau das bleiben. Erinnerungen, die der Vergangenheit angehören. Nicht mehr und nicht wenige.
Das harte Holz in ihrer Hand spürend öffnet sie die Tür, welche ihr schon öfters wie ein Höllenschlund vorkam. Nur das es dabei um ihre persönliche Hölle ging.

„Du bist zurück." Es klang wie eine Feststellung.
„Wie du es mir befohlen hast. Ich bin hier, um dir Bericht zu erstatten", sie öffnet die Tür ganz, kommt mit Schocker in das Haus, den Blick fest erhoben.
„Gut, gut", beiläufig fährt Grodan sich über sein Kinn, „Das ist schön, das du direkt zurückkommst und auf keine dummen Gedanken. Nun, berichte." Erwartungsvoll mustert er seine Nichte, welche am Eingang stehenbleibt. Der hellblaue Drache sitzt brav neben dieser, scheint auf das kleinste Kommando von ihr problemlos zu hören.
„Viele Inseln brachten nicht die erwünschten Ergebnisse, nach denen du Ausschau hältst", beginnt Violene ihren Bericht, „Aber ich habe ein Schiffswrack gefunden, wo ich einige Notizen fand. Anscheinend von früheren Wikingern. Leider waren die meisten davon nicht mehr lesbar, geschweige denn brauchbar. Aber es wurde dort mehrfach ein Name erwähnt: Berk."
Kaum lässt Violene diesen Namen fallen, blitzt etwas Undefinierbares in Grodans Augen auf. Was du nicht weißt, ich habe dich angelogen. Das alles ist von vorne bis hinten gelogen. Die einzige Ausnahme ist der Name. Weil ich mir von dir Antworten erhoffe, „Onkel".
Doch weiß sie nicht, ob er die Lüge geschluckt hat oder genau weiß, dass sie ihn angelogen hat. Das Schlimmste wäre aber, wenn er die Lüge jetzt schluckt und im Nachhinein realisiert, das sie ihn angelogen hat. Violene weiß, dann ist ihr und Schocker der Tod gewiss.
„Der Name Berk...", unterbricht Grodan nach einigem Schweigen die seltsame Stille, „Dieser Name gehört zu einem Stamm von Wikingern, welche mit die gefürchtetsten Krieger waren. Und auch nicht gerade unfähig im Kampf gegen Drachen und... anderen. Das wird deine nächste Mission sein: Finde diesen Stamm, beschatte sie und erstatte mir Bericht über das, was du gesehen hast."

Mit einer seltsamen Ruhe in der Stimme hat er Violene im Blick, scheint sie noch einmal zu mustern. Gepaart mit einer gewissen Ignoranz und Gleichgültigkeit, als wäre seine Nichte ein höriger Soldat, dem er nur einen Befehl geben muss, welcher dann auch direkt ausgeführt wird.
Oder ist es nicht so?

„Ihr habt euch eine Pause verdient. Übermorgen machst du dich dann frühstmöglich auf den Weg. Und denk daran, diese Wikinger dürfen dich nicht sehen."
Damit war sie entlassen.

Zögernd wartete Violene noch einige Sekunden, ob ihr Onkel es sich nicht doch anders überlegen würde. Aber nichts lässt darauf schließen. Tatsächlich hat er seinen Blick wieder abgewendet und widmet sich wieder dem, womit er vor Violenes reinkommen beschäftigt war. Tatsächlich hat er ihr und Schocker eine Pause erlaubt. Eine Pause...
Dies nicht aufs Spiel setzen wollend nickt Violene noch einmal unmerklich zum Abschied, als sie mit Schocker auch schon das Haus verlässt und die Tür hinter sich schließt. 2 Nächte und ein ganzer Tag, den Schocker und sie mit erholen verbringen dürfen. Nie hätte sie so etwas erwartet, geschweige denn darauf jemals gehofft.
Etwas entspannter als vorher streift sie mit Schocker erneut durch das Dorf. Weiterhin die missgünstigen und vielleicht auch ängstlichen Blicke ignorierend. Die Bewohner haben mitbekommen, dass sie sein Haus betreten hat und genauso ohne Schaden wieder verlassen hat. Etwas, was sie noch nie miterlebten. Und auch wenn man nicht weiß, über was die beiden geredet hatten, das seine Nichte gefährlich zu sein scheint merken sie. Und dass man da lieber vorsichtig sein sollte.

Ein kurzes Lächeln umspielt Violenes Lippen, als sie an Rikkes Haus vorbeikommen. Wenn sie schon die Möglichkeit der Erholung haben, wäre ein Besuch bei Rikke bestimmt nicht verkehrt. Außerdem verdankt sie dieser Frau einiges. Es wäre ja mehr als unhöflich, wenn sie sie da nicht besuchen kommen würde. Überhaupt... ist sie auch die einzige Dorfbewohnerin, mit welcher sie über die tatsächlichen Ereignisse und Erlebnisse ihrer Reise sprechen kann.
„Hallo Rikke."
„Violene! Wie schön, das du mich besuchen kommst. Komm doch rein!" Die Freude, die in Rikkes Stimme mitschwingt, ist echt. Kaum aber hat sie die Tür hinter ihrem Besuch geschlossen, wird ihr Gesicht ernst. „Du bist gerade erst von einer dieser merkwürdigen Expeditionen zurückgekehrt, oder?"
Stumm nickt Violene, denn als sie ihren Mund öffnet, um was zu sagen, kommt kein Ton raus. Ihre Stimme versagt, allein schon bei dem Gedanken, was sie unzähligen Menschenleben da draußen antat. Aber haben sie es nicht verdient? Auch wenn es „nur" Fischer waren?
„Setz dich", wieder Rikke. Sanft, liebevoll, fast schon mütterlich. „Es war bestimmt eine anstrengende Reise. Da solltet ihr euch viel ausruhen. Wann musst du wieder los?"
„Übermorgen." Ihre Stimme ist zu leise, zu gequält hat dieses einzelne Wort ihren Mund verlassen.
Entsetzen spiegelt sich in Rikkes Augen wider, welche einfach nicht verstehen kann, wie sehr man ein 15-jähriges Kind so fordern und vielleicht auch überfordern kann. Und dabei dessen Grenzen ignoriert. Hauptsache sein eigenes Ziel durchsetzen zu wollen...

„Ihr beide ruht euch jetzt gut aus bei mir. Und schlaft diese zwei Nächte mit in meinem Haus. Diese Ruhe und eine gute Versorgung habt ihr mehr als nötig!" Mit Entschlossenheit steht Rikke wieder auf, in ihrer Küche verschwindend.
Unmerklich lächeln müssen sieht Violene ihr nach. Sie schätzt diese Entschlossenheit von Rikke sehr. Aber insbesondere auch, wie sehr sich Rikke für sie einsetzt und sich in all den Jahren immer wieder um sie kümmerte, ihr Geschichten erzählte, einen Zufluchtsort gab und einfach für sie da war. Das war etwas, was definitiv nicht selbstverständlich war. Erst recht nicht in diesem Dorf, geschweige denn in dieser Welt, die Violene ihr Eigen nennt.

Eines Tages...
Ein so naiver Gedanke, aber dieser eine Funke in ihr will einfach nicht aufhören zu brennen. Existent zu sein. Da zu sein und tief in ihr sie zu ermutigen, dass es die Chance auf etwas Besseres gibt. Auf etwas Anderes.







Hey, danke dir fürs lesen :p
Ich hoffe, das Kapitel hat dir gefallen. Zeig es mir doch gerne mit einer Rückmeldung durch Votes und Kommis – Geisterleser kriege ich leider nicht wirklich mit 🥺😅

Schatten der Vergangenheit (Httyd)Where stories live. Discover now