Kapitel 1

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Smila, die zu klein geratende Ziege zog mit einem weiteren Ruck an ihrer sporadischen Leine und drängte mich somit tiefer in das Treiben der Geschäftsleute. Ihre Größe und auch ihr Gewicht, schien wohl der ausschlaggebende Grund zu sein, warum sie niemand mit mir gegen ein Laib Brot tauschen mochte.

Trotzdem schaffte sie es immer wieder störrisch ihren Willen durchzusetzen. An einem Stand mit frisch riechenden Brot, versuchte ich mein Glück erneut und formulierte meine Bitte so höflich ich nur konnte -  möglichst ohne meine Verzweiflung auszustrahlen, die ich tief im Inneren empfand. Die Frau, die mich stirnrunzelnd ansah, als sei meine bloße Anwesenheit schon zu viel für ihre Nerven, schüttelte nur reglos den Kopf. Ich biss mir auf die Lippen, um mir einen unsittlichen Kommentar zu verkneifen und zerrte Smila hinter mir her.

Mittlerweile musste es Stunden her sein, dass ich den Marktplatz betreten und motiviert jeden Menschen angesprochen hatte, der mir in den Blick kam. Doch all die Mühe schien umsonst, denn Smila amüsierte sich neben mir noch immer prächtig.

Sie abzugeben, war das letzte aller Mittel gewesen, denn insbesondere meine Mutter hatte die zierliche, weiße Ziege mit jedem Tag ein Stückchen mehr in ihr Herz geschlossen. Damals tauchte sie herrenlos vor unserer Tür auf und erwartete seither von uns mit ernährt zu werden. Vermutlich wusste der vorherige Besitzer ganz genau, dass sie sich durch ihre Gestalt einfach nicht zum Tausch eignete. Gleichzeitig würden mein Vater, oder ich es niemals wagen, sie zu schlachten. Keinen Bissen würden wir hinunter bekommen, bei dem Gedanken an die arme, aber auf keinen Fall unschuldige Ziege namens Smila. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass unser erster Fehler ihre Namensgebung war, doch das behalte ich lieber für mich.

Plötzlich riss mich eine wütend klingende, männliche Stimme aus meinen Gedanken. Um mich herum wurden die Menschen unruhiger und ich erblickte seufzend den Grund des Übels: Smila hatte meine Achtlosigkeit schamlos ausgenutzt und ihren Kopf in einen Sack voller Möhren gesteckt. Einige waren bereits angebissen, wobei ich aus dem Augenwinkel erkannte, dass Smila schon eine weitere Möhre genüsslich kaute.

Noch ehe der Mann mich als Besitzerin dieser verfluchten Ziege ausmachen konnte, sprintete ich so schnell ich konnte davon. Smila machte überraschenderweise keine Anstalten sich zu wehren und folgte mir mit schmatzendem Maul. Nach einer Weile drehte ich mich um, sodass ich zufrieden feststellen konnte, nicht verfolgt zu werden. „Wenigstens eine von uns ist heute satt geworden", kommentierte ich, mit einem Blick auf meinen knurrenden Magen.

Sanft strich ich ihr über das schon lange nicht mehr weiche Fell, während wir die Mauern des kleinen Dorfes verließen, welches sich um den Marktplatz gebildet hatte.

Während die Häuser außerhalb, aus Holz und Stroh errichtet waren, setzte man hier auf stabilen Stein, wodurch sich die Ansammlung an Wohnungen auch weitaus komfortabler in die Höhe streckte. Es spielte keine Rolle, wann man den Marktplatz betrat, immer waren viele Menschen zu sehen, die miteinander feilschten, oder auf dem Bordsteinpflaster saßen und bettelten.

Von morgens an, bis zur Dämmerung waren zusätzlich kleine Stände aufgebaut, auf denen sich teilweise wohl riechende Kräutersammlungen, Fleisch, oder selbst hergestellte Waren befanden. Dies machte sich insbesondere in der an herrschenden Lautstärke sichtbar: Kinder, die ausgelassen fangen spielten, oder sich zwischen den engen Gassen versteckten; Marktschreier, die lauthals ihre Waren anpriesen und Hühner, die neben alldem zwischen den Menschen umherirrten. Wer schlau war, suchte sich ebenfalls ein begehrtes Objekt und bot es zum Tausch an. Bestenfalls jenes, welches sich immer wieder anfertigen ließ. Denn Geld besaßen hier nur die Wenigsten.

Noch immer drängten sich vollgeladene Kutschen zum schmalen Tor, sodass ich mir zwischen den ankommenden Menschen einen eigenen Weg bahnte. Vorsichtshalber nahm ich Smila auf den Arm, um die Gefahr zu mindern, dass sie von einem der Wägen begraben wurde. Jedes der Gesichter, das ich betrachtete, wand sich unter meinem Blick, oder starte emotionslos zurück. Es hatte den Anschein, dass sich die Menschen ihrer trostlosen Situation einfach kraftlos hingaben, da jeder wusste, man könne ihr ohnehin nicht entkommen.

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