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Die nächsten Tage verbrachte Hannah intensiv mit Leon. Sie genoss die Zweisamkeit und war im siebten Himmel. An dem Abend, an dem Hannah ihre Verlobung bekannt gab, wurde sie wenig später von Emil angesprochen. „Wenn es wirklich das ist, was du willst.", sagte er, als er versuchte aus Hannah schlau zu werden und ihrer Entscheidung auf den Grund zu gehen. „Emil, ich weiß du machst dir Sorgen, aber das musst du nicht. Ich habe wirklich gründlich darüber nach gedacht und ja natürlich ist es das, was ich will. Sonst hätte ich doch nicht ja gesagt." Emil schaute Hannah skeptisch an, worauf Hannah genervt mit den Augen rollte. „Jetzt hör auf damit. Kannst du dich nicht bitte einfach für mich freuen und mal nicht den Therapeuten raushängen lassen?" Er lächelte schief, nickte jedoch und nahm Hannah in die Arme. „Ok, ich freue mich natürlich für dich. Das ist einfach nur so ein Riesending."

Paddy verbrachte zudem viel Zeit mit Tulu und Emil und versuchte dem verliebten Glück aus dem Weg zu gehen. Er vermied es auch nur eine Sekunde mit Hannah alleine zu sein und gesellte sich immer wieder zu jemand anderen, sobald sich auch nur eine Situation anbahnte, in der er mit Hannah alleine sein musste. Hannah kam diese Distanz nur gelegen. Schließlich hatte sie Leon, mit dem sie noch so viel Zeit wie möglich verbringen wollte, ehe sie wieder nach Deutschland fliegen musste.

Als der letzte Tag in Asebe Teferi gekommen war, half Leon Hannah und Paddy beim Packen und fuhr sie nach Addis Abeba. Es graulte Hannah vor der langen Autofahrt zum Flughafen; alleine, wenn sie an den Flug dachte, wurde ihr schlecht. Die meiste Zeit im Auto stellte sie sich schlafend. Hin und wieder warf sie das ein oder andere Wort in den Raum, um nicht allzu unhöflich zu sein. Paddy unterhielt sich während der gesamten Autofahrt mit Leon über die Projekte, die weiter fortgeführt werden sollten und sie überlegten gemeinsam, wie man den Ehrenamtlichen noch weiter unter die Arme greifen konnte. Hannah war erstaunt darüber, wie professionell Paddy die Sache in die Hand nahm. Er war schon während der Musikerzeit mit seiner Familie ein Naturtalent, was die Organisation anging. So war er auch nicht ohne Grund der Leiter der Band. Wenn nicht dieser Riesenelefant im Raum zwischen ihr und Paddy stehen würde, den sich zugebenermaßen überhaupt nicht erklären konnte, dann könnte sie sich weiterhin vorstellen, das Äthiopienprojekt mit Paddy als Botschafter weiter zu koordinieren, doch sie war zu stur und blieb bei der Entscheidung das Projekt abzugeben. Leon war von dieser Entscheidung überhaupt nicht begeistert und verstand die Beweggründe dazu überhaupt nicht. Erst als Hannah von neuen Herausforderungen sprach und sie weiterhin in anderen Gebieten den Fortschritt vorantreiben möchte, war Leon einsichtig.

„So, Libi. Wir sehen uns in ein paar Wochen wieder. Ich vermisse dich jetzt schon unheimlich.", sagte Leon und nahm Hannah fest in die Arme, als sie am Flughafen ankamen. „Ja, ich dich auch. Am liebsten würde ich noch bei dir bleiben." „Ach, die Wochen vergehen doch wie im Flug. In der Zeit kannst du dir ja schon mal Gedanken über unsere Hochzeit machen." Leon zwinkerte ihr verschmilzt zu, während Hannah grinste. „Wenn dann richtig und so schnell wie möglich." „Du sagst es, Libi. Und du, mach's gut, Paddy. Du wirst demnächst bestimmt von Arthur hören und wie es dann weiter geht erfährst du dann von uns." Paddy nickte und gab Leon zum Abschied die Hand. Dann gingen er und Hannah durch die Passkontrolle und durch eine dicke Luftwand, die man mit einen Messer hätte schneiden können. Die ganze Zeit über sprachen sie kein Wort miteinander. Paddy versuchte vergeblich Maike zu erreichen, während Hannah sich Kopfhörer in die Ohren steckte und sich mit ihrer Musik ablenkte. Schließlich war das Flugzeug bereit zum Boarding. Sie gingen gemeinsam zu ihren Plätzen und Paddy half Hannah mit ihrem Handgepäck. „Danke.", krächzte Hannah und war über ihre kratzige Stimme überrascht. „Fenster oder Gang?", fragte Paddy höflich und ließ Hannah entscheiden, wo sie am liebsten sitzen wollte.

Hannah entschied sich für den Gang und hoffe, dass es während des Fluges keine Turbolenzen geben würde. Auch wenn der Start ein wenig holprig war, war sie froh, dass der Flug, trotz Regen, sehr angenehm war. Je länger der Flug dauerte, desto mehr ärgerte sich Hannah über Paddy, der sich gut alleine beschäftigen konnte und Hannah wie Luft behandelte. Mit der Zeit fand Hannah dieses Ignorieren und Schweigen nur noch lächerlich, so dass es irgendwann aus ihr herausplatzte. „Das ist doch alles echt affig und albern." Paddy nahm seine Kopfhörer ab und schaute fragend zu Hannah. „Hast du was zu mir gesagt?" Hannah schnaubte. „Findest du das nicht albern, habe ich gefragt." „Was meinst du?" „Na dein kindisches Verhalten. Wie lange willst du nicht mehr mit mir reden und weiterhin so tun, als ob ich nicht da wäre?" „Moment mal.", entgegnete Paddy. „Du ignorierst mich und redest nicht mit mir. Ich passe mich nur deinem Verhalten an." „Argh, du machst mich wahnsinnig. Was ist dein Problem, Paddy?" „Was ist dein Problem?", stellte Paddy die Gegenfrage. „Ich habe kein Problem, ich bin mit allem so zufrieden wie es ist." „Ach ist das so? Und warum regst du dich dann so auf, wenn du mit allem so zufrieden bist?" Hannah fiel keine passende Antwort dafür ein und reagierte patzig: „Weil du einfach affig und albern bist." Paddy atmete tief durch. „Was Besseres fällt dir nicht ein?" Selbstgefällig setzte Paddy wieder seine Kopfhörer auf und drehte sich von Hannah weg, die mit weit auf gerissenen Augen und mit einer leichten Schamesröte im Gesicht zu Paddy starrte. Als Hannah sich wieder einigermaßen gefangen hatte, riss sie Paddy die Kopfhörer runter. „Ich werde das Projekt abgeben und fragen, ob es jemand anderes übernehmen kann. Ich kann nicht mit dir zusammen arbeiten. Soll Maike das doch übernehmen." „Ist das dein Ernst? Wie idiotisch ist das denn bitte?" „Idiotisch? Wir schaffen es ja noch nicht mal normal miteinander zu reden oder miteinander umzugehen, wie soll dann die Zusammenarbeit funktionieren?" Paddy sah Hannah erstaunt an. „Ich bin normal." „Nein, das bist du nicht. Du zeigst mir die kalte Schulter, machst blöde Anspielungen und...und...du bist eben nicht der, den ich kenne." Paddy fing an zu lachen. „Hannah, ich bin normal, ich behandle dich nur wie einen Kollegen. Sieh es doch endlich ein. Ich habe mich verändert, du hast dich verändert. Wir sind nicht mehr die von früher und „befreundet". Was erwartest du von mir?" Die Worte haben gesessen und trafen Hannah tief im Herzen. Paddy merkte, dass er zu weit gegangen war und versuchte die Situation zu retten. „Hör zu, ich möchte nicht, dass du wegen mir deinen Job komplett auf den Kopf stellst, ok? Wenn du meinst, wie müssen mehr kommunizieren, ok. Dann gebe ich mir mehr Mühe dabei. Lass uns aber bitte sachlich und professionell bleiben und unsere Vergangenheit und Privatleben dabei raushalten. Hannah schaute Paddy einen Augenblick an, ehe sie sich abwendete und stumm nickte. „Gut, wenn du es so willst. Ich werde trotzdem darüber nachdenken, ob ich mit dem Projekt weiter machen möchte."

Hannah wendete sich von Paddy ab und startete keinen neuen Versuch mit Paddy überhaupt ein Gespräch anzufangen. Sie grübelte über das, was Paddy gesagt hatte und fragte sich, warum seine Worte so verletzend für sie waren. Es war doch eigentlich das, was sie wollte; Professionalität und Sachlichkeit und vor allem so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben.

Paddy linste hin und wieder zu Hannah hinüber, wenn sie so in ihre Dinge vertieft war, dass sie seine Blicke nicht bemerkte. In den letzten Tagen hat er viel über sich und auch über Hannah nachgedacht. Für ihn fing nun ein komplett neues Kapitel an, und das definitiv ohne Hannah. Er hätte sie liebend gerne wieder in seinem Leben gehabt, musste sich jedoch eingestehen, dass es so für ihn keinen Sinn mehr machte. Vor allem die Verlobung von Leon und Hannah war ein Beweis dafür, dass es weiter gehen musste. Allein der Gedanke, dass die beiden heiraten und vermutlich auch Kinder haben werden, machte Paddy wahnsinnig, so dass er seine Fingernägel tief in die Armlehne seines Sitzes hinein bohrte. Er versuchte nicht weiter darüber nachzudenken und dachte fest angestrengt an Maike, die in München auf ihn wartete und die er ohne schlechtes Gewissen oder Stress in die Arme nehmen konnte oder eine Welt in sich zusammen brach.


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