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Müde und erschöpft saß Hannah in ihrem alten Kinderzimmer und verfiel in Selbstmitleid und Hass auf sich selbst. „Wie konnte ich nur so blöd sein?", sagte sie zu sich selbst. Ihre Beine eng umschlugen zermarterte sie sich den Kopf, wie sie das mit Paddy wieder gerade biegen sollte. Sie hielt immer noch ihr Handy in der Hand und versuchte immer wieder Paddy zu erreichen. An Schlaf war schon lange nicht mehr zu denken. Immer, wenn Hannah die Augen schloss, lief ihre gesamte Beziehung mit Paddy wie ein Film vor ihrem inneren Auge ab. „Wie konnte ich nur so blöd sein?", wiederholte sie immer und immer wieder. Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete sie das Radio ein. Es war mittlerweile schon so spät, das im Radio kein Sprecher mehr dazwischen laberte, sondern ein Band lief, dass die Nacht durchlaufen würde. Sie konzentrierte sich auf die Songs im Radio, als eine bekannte Melodie ertönte, das Hannah Paddy vor kurzer Zeit auf der Gitarre vorspielte. Sie achtete auf den Text.


„You're a brother to me. You're my partner in crime

You're the feeling I get, when I'm feeling fine

Part of me wants you but most of me needs you

So I won't fall unless you ask me to."


„Nein, nicht nochmal." Schoss es Hannah durch den Kopf. Nicht nochmal wollte sie sich ihre Chance entgehen lassen. Hannahs Entschluss stand fest. Es war ihr ein Rätsel wie sie all die Zeit so zweifeln konnte. Ihr Bauchgefühl gewann endlich die Überhand. Sie musste mit Paddy reden, koste es was es wolle. Sie überlegte und dachte sich, dass Paddy doch nur bei Maite sein konnte. Würde er nochmal mit ihr reden? Wenn nicht, dann wüsste sie was sie tun würde. Sie stand auf und kramte in ihrem Rucksack rum. Dort fand sie, was sie suchte. Hannah hatte beschlossen ihm alle Briefe und Gedanken zukommen zu lassen, die sie all die Jahre über ihn gesammelt hatte, offenbarte ihm ihr gesamtes Tagebuch, wollte ihm nichts mehr verheimlichen oder vorenthalten. Aufgeregt knipste sie ihre Schreibtischlampe an und verfasste einen Brief an Paddy, damit sie auch nichts vergaß.


„Paddy,

ich bin so eine Idiotin. Wer hat mir diese Scheuklappen aufgesetzt? Ich schäme mich schon fast dafür. Wie dumm kann man denn bitte sein? Dieses ganze hin und her. Warum stehen wir uns denn immer selbst im Weg? Es hätte mir schon so so so viel eher klar sein müssen. Stattdessen müssen wir uns (wie so oft) erst anbrüllen und du mich küssen, ehe ich checke, was Sache ist. Paddy, ich würde es verstehen, wenn ich jetzt endgültig bei der verkackt hätte. Ich möchte jedoch nichts unversucht lassen, um dich vom Gegenteil zu überzeugen und uns noch eine Chance geben. Ja ich habe es all die Jahre verdrängt und in letzter Zeit ganz besonders. Natürlich empfinde ich noch etwas für dich Dickkopf. Mehr als für jeden anderen auf der Welt. Ich will mit dir alt werden, eine Familie gründen. Ich würde sogar mit dir in die Tiefen von Bayern ziehen und das meine ich so wie es sage. Du warst und bist mir nach all den Jahren immer noch so verdammt wichtig. Ich hatte einfach nur solche Angst dich wieder zu verlieren. Um dir das zu zeigen, kannst du all meine Briefe lesen, die ich all die Jahre an dein imaginäres ich geschrieben habe. Ich bin keine gute Musikerin und kann nicht romantisch unter deinem Fenster mit einer Gitarre stehen und ein selbst geschriebenes Lied für dich singen, aber ich denke Phoebie Bridgers trifft es in Steamroller wie die Faust aufs Auge.

Paddy, ich liebe dich!"


Mit zittrigen Händen faltete sie ihren neu verfassten Brief und packte alles fein säuberlich in ihre Tasche, ehe sie sich auf den Weg zu Maite machte. Es war schon weit nach Mitternacht, doch in der Küche von Maite brannte noch Licht. Sie klingelte Sturm, als Maite entgeistert die Tür aufriss. „Boah Hannah, weißt du wie spät es ist.", sagte sie und versuchte ihre Stimme zu dämmen. „Ist Paddy bei dir?", fragte Hannah ohne Maite zu begrüßen. Maite sah ihre Freundin vorwurfsvoll an. „Los, komm rein.", sagte sie schließlich. „Ist Paddy denn jetzt bei dir?" „Nein, ist er nicht." Hannah ließ die Schultern hängen und war den Tränen nahe. „Maite, ich hab sowas von Scheiße gebaut." Maite versuchte hart zu bleiben. Sie wusste natürlich, was passiert war und war ebenfalls der Meinung, dass Hannah sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert hatte. Als sie Hannah jedoch so verzweifelt sah, bröckelte Maites Fassade. „Ihr sein beide solche Idioten. Komm her." Sie nahm Hannah in die Arme, die nun heftig anfing zu schluchzen. Maite versuchte Hannah zu beruhigen und führte sie ins Wohnzimmer, wo Hannah ihr alles erzählte; von dem Gespräch mit Leon bis zu dem Entschluss zu ihr zu fahren. „Weißt du denn, wo Paddy ist? Wenn ich ihm das nicht erklären kann...das kann ich mir nicht verzeihen." „Du es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, wo er hin ist. Er meinte auch nur, dass er weg muss. Ich vermute, er ist ins Kloster geflüchtet, aber ich weiß nicht in welches. Sein Handy hat er hier gelassen." Hannah vergrub ihre Hände in ihrem Gesicht. „Verfickte scheiße." Wieder kamen ihr die Tränen, während Maite ihr über den Rücken streichelte. „Seht ihr, das kommt davon, wenn ich mich nicht einmischen darf. Ich hätte dich sofort auf den Pott gesetzt und Paddy in den Arsch getreten." „Meinst du, es wendet sich alles zum Guten?" „Wenn nicht, dann kannst du auf mich zählen.", sagte Maite versöhnlich. „Willst du hier bleiben?" Hannah schüttelte den Kopf. „Nein, ich fahre lieber nach Hause. Moment." Hannah griff nach ihrer Tasche. „Falls Paddy doch bei dir aufkreuzen sollte: Kannst du ihm das hier geben?" Ich bin bis Ende des Jahres auf jeden Fall noch in Köln. Keine Ahnung, was danach kommen wird. Nach Äthiopien fliege ich jedenfalls nicht." Maite nickte und nahm die Briefe entgegen. „Ich lasse sie Paddy irgendwie zukommen." Hannah umarmte Maite nochmals, ehe sie in ihr Auto stieg und im Morgengrauen und hundemüde zurück fuhr.

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Und hier einmal ein fettes Dankeschön an ancama83, die mich vor 5! Jahren auf Phoebie Bridgers mit Steamroller gebracht hat, als sie "Für immer vielleicht" gelesen hat und ich meinte, dass ich das Lied irgendwo noch einbauen könnte :)


Was wäre wenn?Where stories live. Discover now