101

145 19 2
                                    

Hannah ließ sich mit hochrotem Gesicht auf das Sofa fallen. „Ich bin so ein Idiot. Was habe ich mir nur dabei gedacht?" Sie schlug sich die Hand auf die Stirn und schrie innerlich. So schnell wie die Entschlossenheit die Situation mit Paddy all für alle mal zu klären in ihr hochkam, so schnell verflog sie auch wieder und Hannah schämte sich für den Anruf. Insgeheim fragte sie sich, was sie getan hätte, wenn Paddy wirklich Zeit gehabt hätte. Was hätte sie ihm erzählt? Was hatte sie eigentlich zu klären? Wirklich Klärungsbedarf gab es zwischen ihnen ihrer Meinung nach nicht. Da hat Emil ihr wieder einen Floh ins Ohr gesetzt. Natürlich war sie verwirrt, nachdem Leon ihr Treffen zu Weihnachten absagte. Eine Sache musste sie sich jedoch eingestehen. Ihr war gerade wirklich alles zu viel; die Arbeit, ihre zweifelnde Beziehung zu Leon, Paddy, der irgendwie wieder in ihr Leben getreten ist, Emils Situation und zu guter Letzt die Einsamkeit, die in München immer mehr ein stetiger Begleiter für Hannah war. 

Der Vorschlag, dass sie sich eine Auszeit nehmen sollte, kam ihr gar nicht so abwegig vor. Sie vermisste ihre Mutter und auch ihre besten Freundinnen und deren Kinder. So beschloss Hannah gleich am nächsten Tag mit Sandra zu telefonieren und auch mit ihrer Mutter, um von ihren Plänen zu erzählen. Ihre Arbeit könnte sie auch ebenso gut aus Köln verrichten. Vielleicht konnte sie auch so ihren Kopf frei kriegen und sich über Leon klar werden. Ihre Mutter und auch Sandra würden ihre Meinung dazu haben, die ihr möglicherweise bei einer Entscheidung helfen könnte. 

Nach einer unruhigen Nacht ging Hannah ins Büro. Sie fühlte sich gerädert, als ob sie das ganze Wochenende durch gefeiert hätte. Ihre Augen bekam sie kaum auf. Dennoch war Hannah fest entschlossen mit ihrem Chef über ihre Verfassung zu sprechen. „Herr Schubert haben Sie einen Moment für mich?", fragte sie und blieb schüchtern an der offenen Bürotür ihres Chefs stehen. Ihr Chef nickte und bot ihr mit einer Handbewegung einen Stuhl an. „Was kann ich für sie tun?" Hannah atmete einmal tief durch und versuchte die richtigen Worte zu finden, die nicht gleich den Anschein hervor riefen, als stünde sie kurz vor einem Burnout. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich anfangen soll. Also das Projekt mit Herrn Kelly läuft wirklich gut. Wir kommen da sehr gut voran. Zurzeit habe ich aber privat viel um die Ohren. Eine Bekannte von mir ist krank geworden, nebenbei plane ich ja auch noch meine...Hochzeit. Ich wollte sie einmal fragen, ob es vielleicht möglich ist eine Zeit lang von Köln aus zu arbeiten. Verstehen sie mich nicht falsch. Ich bin nicht von der Arbeit überfordert, nur es wäre für mich einfacher, wenn ich die privaten Dinge von Köln aus managen könnte." Herr Schubert folgte dem Gespräch aufmerksam und ließ sich mit seiner Antwort Zeit. „Nun Frau Münch. Ich kann durchaus verstehen, dass Privatleben und Arbeit manchmal nicht gut miteinander vereinbar sind. Ich weiß, sie leisten hervorragende Arbeit. Dennoch bezweifle ich, dass sie ihre Pflichten gerecht werden, wenn sie nicht im Büro sind." Hannah ließ die Schultern hängen und war enttäuscht. „Vielleicht können wir einen Kompromiss finden, mit dem wir beide zufrieden sind. Welche Analysen stehen noch aus, was muss noch mit der Caritas und Herrn Kelly geklärt werden?" Hannah brachte ihren Chef auf den neuesten Stand. Herr Schubert war angenehm überrascht von der Entwicklung. „Den Kontakt zu Herrn Kelly zu halten, wird kein Problem sein. Soweit ich weiß, ist er zurzeit in Düsseldorf und wir sind befreundet. Wir stehen so oder so im Kontakt. Und für die Analysen brauche ich größtenteils meinen Laptop." „Verstehe. Wissen sie was, Frau Münch? Nehmen sie sich die Zeit, die sie brauchen. Verfolgen sie das Äthiopienprojekt weiter und halten sie mich da auf dem Laufenden, um die anderen Analysen kümmern wir uns im neuen Jahr. Aber dennoch, sie halten mich aber bitte auf dem Laufenden und ich würde es begrüßen, wenn sie mehrmals im Büro auftauchen; vor allem zu unserem Jour Fixe am Anfang eines Monats." Hannah konnte ihr Glück gar nicht glauben. „Vielen Dank, Herr Schubert. Sie können sich auf mich verlassen." „Aber kommen sie mir nicht auf die Idee, dass die Anfahrt von Köln hierher auf Firmenkosten gehen." In Herr Schuberts Stimme klang ein väterlicher Unterton mit. Hannah lächelte dankbar. „Das ist mir durchaus klar. Nochmals vielen Dank." Mit diesen Worten verließ Hannah das Chefbüro und war erleichtert. Schnell packte Hannah ihre sieben Sachen, aus Angst, dass Herr Schubert doch nochmal seine Meinung änderte und traf Maike mit einem Pappkarton auf dem Flur. „Hey, was hast du denn geplant?", fragte sie und musterte verwundert den Karton, in dem alle Habseligkeiten von Maikes Schreibtisch waren. Maike lächelte. „Tja, es geht doch alles viel schneller als geplant. Ich hatte gerade das Gespräch mit UNICEF und soll morgen schon in mein neues Büro ziehen." „Was? Oh nein, Maike. Das geht schnell. Was ist mit deiner Abschiedsfeier?", fragte Hannah enttäuscht, doch Maike machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach. Auf Verabschiedungen stehe ich eh nicht so. Lieber kurz und schmerzlos ohne viel Trara abhauen, aber ich bin froh, dass ich dich hier noch antreffe. Du bist ja auch schon wieder auf dem Sprung. Außeneinsatz?" Hannah schüttelte den Kopf und erzählte Maike kurz, was sie mit Herrn Schubert besprochen hatte." „Oh, verstehe. Dann muss ich ja nicht ein allzu schlechtes Gewissen haben, dass ich gehe." „Also dann. Wir hören voneinander", verabschiedete sich Maike sachlich und umarmte widersprüchlich dazu Hannah. „Und grüß Patrick von mir, falls du ihn über dem Weg laufen solltest." „Äh, ja klar. Mache ich.", erwiderte Hannah verwundert verließ das Gebäude. 

Kaum, dass Hannah das Gebäude verließ, rief sie ihre Mutter an, die sich tierisch über die Pläne ihrer Tochter freute. Auch Sandra war begeistert und bot Hannah sofort ihr Gästezimmer an, das Hannah jedoch vorerst ablehnte. „Ich fahre erstmal zu Meiner Mutter, aber wir können uns gerne morgen treffen. „Ja das müssen wir auch", antwortete Sandra in einem leicht mahnenden Ton. „Wir müssen noch einiges wegen der Hochzeit klären. Hannahs Kehle schnürte sich zu. Sie schluckte schwer. „Ja, das glaube ich auch." Sie versuchte das Thema abzuwimmeln und vertröstete Sandra auf Morgen, ehe sie auflegte und sich aufmachte, um ihre Sachen zu packen. 

Binnen kürzester Zeit waren die Koffer gepackt, der Kühlschrank geleert und sämtliche Pflanzen versorgt. Sie haderte kurz mit dem Gedanken, Leon zu schreiben, entschied sich jedoch dagegen. Stattdessen schrieb sie Emil:


>>I'm on my way. Ich lasse München vorerst hinter mir und fahre nach Kölle. Wir sehen uns hoffentlich früher, als geplant.<<


Anschließend zog sie die Tür hinter sich zu und gab ihren Zweischlüssel ihrem Nachbarn. Mit vollem Kofferraum raste Hannah über die Autobahn Richtung Nordrhein-Westfalen und konnte es kaum erwarten, wieder in ihrer Heimat zu sein.

Was wäre wenn?Where stories live. Discover now