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ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Y/n. Bleib doch mal stehen!"

Unbeirrt setze ich meinen Sprint fort - ich bin mittlerweile auf dem Festland angekommen und renne was das Zeug hält. Meine Augen füllen sich wieder und wieder mit Tränen, während ich durch den Wald laufe. Ich schluchze verzweifelt, keuche vor mich hin und verziehe gequält das Gesicht.

Auch mein Adrenalin hilft nicht, meine Leistungsfähigkeit zu verbessern. Es fühlt sich so an, als würde ich mich in einem Albtraum befinden: Schwere Steine ziehen meine Füße auf den Boden, sodass ich Meter für Meter nur mühsam vorankomme. Irgendeine unbekannte Anziehungskraft zieht meine Füße bei jedem Schritt noch fester auf den Boden.

Wegrennen ist so ziemlich die feigste Art des Problem-Umgangs, das ist mir sehr wohl bewusst. Man könnte sagen, sie verschlimmert meine aktuelle Situation sogar nur noch weiter. Während ich mich kräftezehrend durch den Wald schleppe, bilden sich hier und da schwarze Stellen - und zwar genau dort, wo ich meine Füße aufgesetzt habe.
Aber diesen Preis nehme ich jetzt in Kauf. Ich war schon immer gut darin, Problemen aus dem Weg zu gehen. Die Methode 'Kopf in den Sand stecken' hat mir in der Vergangenheit so einige Male mein Leben gerettet und ich sehe es inzwischen als eine Art Überlebensstrategie.

Die verzweifelten Rufe von Neteyam treiben mich nur noch mehr an und ich spüre, wie mir der Wind plötzlich Rückenwind gibt. Getragen von den Windstößen schlage ich mich durch die Büsche und blicke nicht mehr hinter mich.
Mein Blick ist starr nach vorne und auf den Boden gerichtet, sodass ich nicht erneut durch die dicken Baumwurzeln ausgebremst werde und den Waldboden küsse. Die Dunkelheit macht mir ziemlich zu schaffen. Flink und doch behäbig durch die Überanstrengung weiche ich den Hindernissen aus.

Nach einiger Zeit erreiche ich ein unbewachsenes Waldgebiet, was allerdings gefährlich nah an eine Schlucht grenzt. Allmählich verlangsame ich mein Tempo und habe einen großen, breiten Baum im Visier, an dem ich mich jetzt liebend gerne abstützen würde.
Keuchend, komplett verschwitzt und mit tausend verschiedenen Stimmen im Kopf, nähere ich mich dem Baum am Abgrund und lehne mich an, um eine Weile zu verschnaufen. Dieses Tempo halte ich keine zwei Minuten mehr durch.

Urplötzlich höre ich ein lautes Knacksen, welches direkt unter meiner aufgestützten, grauen Hand ertönt. Ich fahre erschrocken zusammen und löse meine Hand von der Baumrinde. Mit großem Schrecken muss ich mit ansehen, wie sich der Riss längs durch den Stamm zieht und der Baum schleichend seine braune und giftgrüne Farbe verliert.
Seine nun verwelkten Blätter hängen nur noch am seidenen Faden und drohen jeden Moment sich von den verdorrten Ästen zu lösen.

Erschrocken halte ich mir meine Hände vor den Mund. Ich versuche wirklich mein Bestes, mein leises Schluchzen zu unterdrücken, was mir allerdings unter den gegebenen Umständen nicht gelingt.
Ich schaukle mich immer weiter hoch und je stärker ich mir ein Lächeln auf die Lippen zwänge, desto mehr erbebt meine Brust und die Schluchzer werden immer hörbarer.

ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Komm schon", ruft Neteyam mir ebenfalls keuchend entgegen, während er sich den Schweiß von der Stirn wischt. "Hör mir zu. Lauf nicht wieder davon. Es wird alles gut, vertrau mir."
Beschwichtigend hebt er beide Hände und kommt langsam auf mich zu.
Gar nichts wird wieder 'gut'.
Ich weiche einen kleinen Schritt zurück und höre dann, wie sich ein paar Schlammklumpen vom Klippenrand lösen und in die Tiefe fallen. Hektisch drehe ich mich um und reiße erschrocken meine Augen auf, als ich sehe, wie unglaublich tief diese Schlucht ist... Und ich befinde mich lediglich einen halben Meter vor dem Abgrund.
Angstschweiß bildet sich auf meiner Stirn und fieberhaft suche ich nach einem möglichen Ausweg, der weder in den Tod, noch in die Arme Neteyams führt - doch vergeblich.

"Neteyam, verschwinde bitte.", bringe ich nur schniefend hervor, als er weiter auf mich zukommt. Ihn scheint meine Bitte jedoch nicht annähernd zu interessieren und er setzt seinen Gang fort.
"Neteyam, bitte.", versuche ich mein Glück erneut. "Komm nicht näher."

Als er einsieht, dass ich nicht einfach tatenlos da am Abgrund stehen werde, bleibt er widerwillig stehen. Sein starrer Blick verrät mir deutlich, dass er Angst um mich hat.
ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Wieso machst du's mir so unglaublich schwer dir zu helfen?"
"Du hast mir schon genug geholfen.", schnappe ich gereizt zurück - immer noch in meiner Fluchtposition.

ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Y/n", fängt er erneut an, "Lass uns einfach ruhig darüber reden. Ich möchte dir nichts Böses. Niemand möchte das."
Bei diesem Satz fangen meine Augen an zu tränen. Ich hätte es gar nicht für möglich gehalten, nach diesem traumatischen Erlebnis überhaupt noch Tränenflüssigkeit auf Vorrat zu haben. Aber da fließen sie, die Tränen, und kullern meine Wange herunter.

Ich merke, wie mein Körper zusammensackt - total überanstrengt und erschöpft von all dem, was heute und in den letzten Tagen geschehen ist. Ohne, dass ich irgendetwas dagegen tun kann, sinkt mein Körper auf den Boden und ich schließe müde die Augen.
Vielleicht, auch nur ganz vielleicht, wird der Spuk vorübergehen, wenn ich es mir nur ganz fest wünsche.

Meine gespitzten Ohren verraten mir nach einer Weile, dass Neteyam sich mir vorsichtig nähert. Ich kann es auch an den Bodenvibrationen spüren.
Mit letzter Kraft drücke ich meinen Oberkörper vom Boden ab und schaue ihn warnend an.
"Komm mir nicht zu nahe, ich bitte dich."

Er schüttelt unnachgiebig den Kopf und geht auf die Knie, um mir direkt in meine traurigen Augen schauen zu können.
ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Du brauchst mich, y/n. Gerade mehr denn je. Vertrau mir. Auch wenn es nur dieses eine Mal ist.", spricht er in seiner sanften, beruhigenden Stimme und bewegt seine rechte Hand gefährlich nah zu meinem Gesicht hin.
Ich weiche wenige Zentimeter zurück.
"Ich will dir nicht wehtun.", gebe ich endlich zu.
Er lächelt leicht, sein Blick immer noch etwas betrübt und verwirrt.
ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Mach dir keine Sorgen um mich, 𝒽𝑜𝓃𝒶 ⁽⁼ᴴᵘᵉᵇˢᶜʰᵉ.", flüstert er, als er mein Kinn mit seiner ausgestreckten Hand behutsam hochschiebt, um den Blickkontakt zurückzugewinnen, nach dem er sich so sehr sehnt.

Seine bernsteinfarbenen Augen verbinden sich mit meinen und in dem Moment realisiere ich, wie sehr ich ihn eigentlich brauche. Nach all der Zeit auf diesem verwunschenen Planeten war er mein Beschützer, mein Fels in der Brandung. Er hat immer zu mir gehalten.
ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Hey, nicht ohnmächtig werden. Nicht hier."
Er hält mein Gesicht mit beiden Händen und tätschelt meine Wangen ein wenig, während ich gerade dabei bin wegzudriften. Langsam merke ich, wie meine Gliedmaßen schwerer werden und ich ziemliche Mühe habe, meine Augen aufzuhalten.
"Ich brauche dich.", hauche ich leise und lasse mich in seinem Griff fallen, da mich meine aufgestützten Arme nicht mehr tragen können.
Sofort legt er meine Hand unter meinen Bauch, um mein plötzliches Kräfteversagen abzufedern.

Ich bin noch nicht ganz weg, ich kann meine Umwelt immer noch wahrnehmen und spüre, wie mich Neteyam umdreht.
Ganz sachte und mit Bedacht legt er mich über seine Schenkel, streicht mir kurz durchs pechschwarze Haar und greift unter meine Kniekehlen und meinem Rücken. In einem langsamen Tempo erhebt er sich nun und hievt mich hoch, sodass ich im Brautstil in seinen kräftigen Armen liege. Dann fängt er an loszulaufen.

'Der ist doch lebensmüde' ist der letzte klare Gedanke, den ich fassen kann. Ich kämpfe heftig dagegen an, komplett wegzudriften, da ich alles von Neteyam mitkriegen möchte: Wie er mich hält, wie er mich erneut rettet, wie er sich um mich kümmert.
Allerdings merke ich, dass mir das nicht länger gelingen wird.
ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Gib nach.", haucht er mit fürsorglicher Stimme und schiebt seinen Arm so unter meinen Kopf und Nacken, dass ich bequem wie ein Baby einnicken kann.
ᴺᵉᵗᵉʸᵃᵐ "Gib einfach nach. Kämpfe nicht dagegen an, du bist sicher hier bei mir."
Ich lächle leicht, schließe die Augen und gebe endlich nach. ✘

𝔦𝔠𝔢 𝔠𝔬𝔩𝔡 ⟜ Neteyam / Lo'ak FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt