1

939 28 1
                                    

Es ist nicht oft so, dass sie Momente der Stille genießen konnte und somit ihre Pflichten für diese Zeit vergessen konnte. Aber wenn es dann doch mal dazu kam war es hier, tief unten am Grund des Wassers, wo die Korallen unberührt wuchsen und die Fische keine Angst hatten. Auch wenn es vielleicht egoistisch wäre, wünschte sie sich nichts mehr, als dass dieser Moment für immer hielt, doch auch wenn das der Fall wäre, würde der Moment nur so lange halten können, bis ihre Lungen anfangen würden, zu brennen und sie an die Oberfläche schwimmen musste, um wieder Luft zu holen.

Oftmals holte sie die Stimme von Ronal zurück, die Tsahik der Metkayina. Sie war beides, Mentor und Tante, eine Stütze für ihre derzeitige Situation, sowie noch so viel mehr in ihren Augen.
Dieses Mal wurde sie jedoch nicht von Ronal zurückgeholt, sondern von etwas ganz anderem. Als ihr Blick nach oben ging, fielen ihr direkt die vier Ikran auf, die in ihr Sichtfeld flogen. Verwundert und zugleich fasziniert von ihnen, beobachtete sie für einige momente wie diese über ihre Heimat flogen und schließlich landeten. Sofort rief das junge Mädchen nach ihrem Ilu und machte sich auf den Weg zum Strand.

Nymeria hatte viele Geschichten von den Ikran gehört und wollte schon immer mal selber auf einem reiten. Diesen Gedanken schob sie jedoch schnell wieder zur Seite, als sie aus dem Wasser trat und auf die Gruppe Na'vi zu ging, die sich um die Fremden gebildet hatte. Vorsichtig drückte sie sich durch die Masse, um sich ein Bild von der Situation machen zu können. „Mawey, Na'viya! Mawey. Bleibt ruhig.", rief sie und versuchte somit, die Leute um sie herum etwas zu beruhigen, was aber nicht viel brachte.
Kurz darauf kam auch schon Ao'nung aus der Menge heraus und musterte die Fremden mit einem beinahe angeekelten Ausdruck in seinem Gesicht.

Nymeria verdrehte nur leicht ihre Augen und richtete ihre Aufmerksam wieder auf die Famile, die sie nun genauer musterte. Zuerst fiel ihr Blick auf ein junges Mädchen, das sich halb hinter seinem Vater versteckte und sich so nahe es ging an ihn ran drückte. Nachdem sie ihren Blick endlich von dem Mädchen hatte lösen können, richtete sich dieser auf den Vater, der einen strengen Blick aufsetzte, der jedoch nicht gerade glaubwürdig rüberkam. Seine Augenbrauen waren etwas zusammengezogen was die Nervosität zeigte, was auch nicht wirklich überraschend war. Neben dem Vater bemerkte Nymeria die Mutter, welche einen ziemlich besorgten Ausdruck auf ihrem Gesicht hatte und dem jungen Mädchen einen kleinen Stich ins Herz verpasste.
Zuletzt fiel ihr Blick auf die anderen drei Kinder, ein Mädchen, das ungefähr in ihrem Alter war, sowie die zwei Brüder, bei denen man recht schnell erkennen konnte, wer der ältere und wer der jüngere war. Der Blick des Mädchens blieb für einen Moment an dem älteren Bruder hängen, als sie bemerkte, dass dieser sie schon ansah. Etwas verwirrt darüber, sah sie ihn noch für einen Moment an, ehe ihre Aufmerksamkeit auf Ao'nung und seine grade aufgetauchten Freunde, die auf die Familie zugingen, gelenkt wurde.
Das Grinsen auf ihren Lippen war nicht zu übersehen und Nymeria wusste ganz genau, was gleich passieren würde.

„Was ist das? Soll das ein Schwanz sein?"
Die Gruppe fing an zu lachen. Auch wenn es stimmte, dass die Haut der fremden Familie von einem viel dunkleren Blau, ihre Augen gelblich und ihre Schwänze und Arme nicht an diesen Ort angepasst waren, war das noch lange kein Grund, sie zu ärgern.
Nymeria fiel direkt auf, wie die Aufmerksamkeit des jüngeren Bruders auf ihre Cousine fiel, die gerade aus dem Wasser stieg und sich neben sie stellte. Er ignorierte sogar die dämlichen Kommentare von Ao'nung und seinen Freunden, die einfach weiter redeten.
Tsireya bemerkte das nicht mal und ging stattdessen rüber zu ihrem Bruder und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Dieser sah sie genervt an und verdrehte seine Augen etwas. Verwundert darüber, dass ihr Onkel noch nicht hier war, wollte Nymeria gerade die beiden anderen Kinder fragen, jedoch war dies nicht mehr nötig, als sie auch schon den bunt gefärbten Ilu von Tonowari in ihre Richtung fliegen sah.

Ronal und Tonowari bahnten sich einen Weg durch die Gruppe der Metkayina, um nun selber zu sehen, was der Grund dieses Aufruhrs war.
„Ich sehe dich.", sprach der Fremde und bewegte seine Hand zu seiner Stirn, als Zeichen des Respekts gegenüber Tonowari und Ronal. Kurz darauf folgte der Rest der Familie der Geste ihres Vaters. „Ich sehe dich, Jake Sully"
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Was führt euch hierher?"
Ein kurzer Moment der Stille kehrte ein.
„Wir ersuchen uturu.", beantworte Jake, der Vater, seine Frage und sah schon beinahe flehend aus: „Einen Zufluchtsort für meine Famile."
Uturu!", wiederholte Ronal ungläubig, als ihr Blick hinüber zu Tonowari ging. „Wir sind vom Riff, ihr seid aus dem Wald, eure Fähigkeiten nützen hier nichts.", sprach dieser, während Ronal hinüber zu der Familie und dann langsam um diese herum ging.

„Wir werden eure Gebräuche lernen okay?"

Tonowari schien dennoch nicht ganz überzeugt zu sein von ihrer Idee, sein Blick gesenkt, während er überlegte, was die beste Entscheidung, weiter vorzugehen, wäre. Selbst Nymeria überdachte die ganze Situation noch einmal, ihre Körper waren zu anders um hier leben zu können, egal, wie sehr sie es versuchten, würden sie sich wahrscheinlich doch unwohl fühlen.
Ronal ging nun auf auf das ältere der beiden Mädchen zu und griff nach ihrem Schwanz. „Ihre Schwänze sind dünn."
Das Mädchen sah erschrocken zu Ronal, die nun endlich ihren Schwanz wieder losließ. Sie nahm ihn direkt in ihre eigenen Hände und hielt ihn schützend näher an ihren Körper.

„Ihre Arme sind dünn und schwach. Sie werden langsam im Wasser sein."
Ronals Blick fiel auf die Hände des Mädchens. „Sie sind nicht einmal richtige Na'vi!" knurrte sie, doch fertig war sie immer noch nicht. Sie ging hinüber zu dem jüngeren Bruder, griff nach seinem linken Arm und hielt ihn hoch in die Luft, sodass alle ihn sehen konnten. Dieser schien sich jedoch nicht zu wehren, sondern sah einfach nur auf den Boden und schwieg.
Nymeria fiel relativ schnell auf, dass Jake, das Mädchen und der jüngere Bruder die einzigen waren, die fünf Finger hatten.
„Sie haben Dämonenblut in sich!", knurrte Ronal und ließ von dem Jungen ab.
Nymeria presste ihre Lippen leicht zusammen bei den Worten ihrer Tante, es gefiel ihr überhaupt nicht, was hier gerade passierte. Andererseits konnte sie es jedoch verstehen: Ronal wollte einfach nur ihre Leute schützen.

„Schau! Ich wurde als Himmelsmensch geboren und bin jetzt ein Na'vi! Wir können uns anpassen, okay? Wir werden uns anpassen." Jake hielt seine Hand hoch, sodass jeder sehen konnte, dass auch er fünf Finger hatte. Die Mutter mischte sich nun auch ein, nachdem sie alles die ganze Zeit schweigend beobachtet hatte.
„Mein Mann ist Toruk Makto, er hat unseren Clan den Sieg gegen die Himmelsmenschen gebracht!"
Stolz lag in ihrer Stimme.

„Das nennt ihr einen Sieg? Euch bei Fremden zu verstecken?"
Der Blick der Mutter ging zu Boden nach der Antwort von Ronal.
„Sieht aus, als hätte Eywa euch den Rücken zugekehrt, Auserwählter."
Beide Frauen fingen an, sich gegenseitig anzufauchen.
In einem Versuch, die Situation und seine Frau zu beruhigen, schob Jake sie leicht zur Seite.
„Ich entschuldige mich für meine Frau, es war ein langer Flug und sie ist erschöpft." Sein Blick ging hinüber zu seiner Frau, die widerwillig ruhig blieb.

Toruk Makto ist ein großer Krieger für sein Na'vi Volk, aber wir sind Metkayina und sind nicht im Krieg, wir können nicht zulassen, dass du deinen Krieg herbringst!" Tonowari sah entschuldigend zu Jake, der seine jüngste Tochter nun im Arm hielt. Tonowari war schon immer eine bedachte Person gewesen, die immer versuchte, die beste Lösung für alle zu finden.

„Ich bin durch mit Krieg. Ich möchte nur meine Familie schützen."
Jakes letzter Versuch, die Meinung doch noch ändern zu können. „Wir baten um uturu", wiederholte seine Frau und sah zu Boden.
Tonowari drehte seinen Rücken zur Sully Familie, um sich mit seiner Frau zu besprechen, die immer noch nicht begeistert war, dass die Fremden hier waren. Ein leichtes Nicken kam schlussendlich von Ronal, mit dem sie zustimmte, dass die Sullys doch bleiben durften.

Toruk Makto und seine Familie werden bleiben, behandelt sie wie eure Brüder und Schwestern. Aber sie kennen die See nicht, wie Babys werden sie ihre ersten Schritte und Atemzüge machen. Lehrt ihnen unseren Weg, sodass sie nicht den Scham empfinden, nutzlos zu sein." sagte Tonowari ernst, fast wie eine Warnung und sah zu Jake hinüber. „Verletzt nicht unser Vertrauen."
„Was sagen wir?"Jake sah hinüber zu seiner Familie, die sich direkt bedankte.
„Meine beiden Kinder, sowie meine Nichte werden euch eure mauri zeigen und euch anlernen.", sagte Tonowari.
„Aber Vater", fing Ao'nung an, wurde jedoch direkt von diesem unterbrochen.
„Es wurde entschieden und jetzt geht."
Mit einem Lächeln im Gesicht stand Nymeria neben Tsireya, die der Familie mit ihren Sachen helfen wollte, was diese aber freundlich ablehnten.
„Bitte folgt uns, es ist auch nicht so weit." sagte Tsireya sanft und ging schonmal vor, während Nymeria nochmal sicher ging, ob die Fremden wirklich keine Hilfe brauchten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der ältere Bruder zu ihr rüber sah, kurz lächelte sie ihn an und drehte sich dann um.

Als sie bei der mauri ankamen, blieben die beiden Mädchen etwas weiter von dieser weg stehen und wartete auf die Sullys.
„Da wären wir. Falls irgendwas fehlen sollte, oder sollte irgendwas anderes sein, könnt ihr gerne zu uns kommen.", erklärte Tsireya und lächelte sanft.
„Danke euch.", sagte Jake mit einem Lächeln und betrat zusammen mit seiner Familie die Hütte.
Da die beiden Mädchen ihren Gästen die Zeit geben wollten, erstmal anzukommen, entschieden sich die beiden dazu, an den Strand zu gehen, ehe sie ihren Pflichten wieder nachgehen mussten.

My little Healer || Neteyam Where stories live. Discover now