Kapitel 1

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Lang war es her, dass ich diesen Ort gesehen hatte. Vor genau 4 Jahren stand ich hier und hatte langsam, durchsickernd begriffen, dass dies mein letzter Tag an meiner Schule sein würde. Einerseits war ich total glücklich gewesen mein Abitur in der Tasche und noch dazu einen dualen Ausbildungsplatz sicher zu haben. Andererseits war ich mir auch dem bewusst, was ich alles hinter mir lassen würde, oder besser gesagt wen.

Doch auch, wenn mir dieses Setting, dieser Tag, das Wetter, die Menschen um mich herum nur all zu bekannt vorkamen, war der Perspektivwechsel der entscheidende Unterschied. Nicht ich stand heute dort vorne und ließ mich für mein bestandenes Abitur feiern, nicht ich lief zu einem 30 Sekunden Ausschnitt meines Lieblingsliedes, dessen Auswahl ich irgendwann bereuen würde, auf die Bühne und schüttelte die Hand meines Schulleiters, sondern meine kleine Schwester Edda.

Ich saß auf einem der rund 300 Klappstühle, die auf einer Wiese, ohne auch nur den geringsten Hauch eines Schattens, ausgebreitet waren. Mit dem kleinen Programmheftchen, das schlicht und ergreifend die christlichen Lieder in richtiger Reihenfolge, wie man sie mitsingen durfte, enthielt, fächerte ich mir in kleinen Schüben Luft zu. Dies ließ ich allerdings schnell wieder bleiben, zu anstrengend war die Bewegung, zu gering die Belohnung. Die Schülerinnen und Schüler des diesjährigen Abschlussjahrgangs mussten noch geduldig warten, bis das Aufrufen der einzelnen Namen beginnen sollte, denn erst wollte das Programm abgearbeitet werden. Darum bemühte sich eine kleine rundliche Dame in einem sommerlichen Blumenkleid, dessen Aufgabe es war mit peppigen Verkündungen den nächsten Programmpunkt, die nächste Rede, das nächste Lied anzupreisen und die Menge der Eltern und Geschwister bei Laune zu halten. Zu meiner Überraschung gelang ihr dies mit dem einen oder anderen lockeren Spruch auch echt gut.

Alleine heute hatte ich so viele meiner ehemaligen Lehrkräfte wiedergesehen und gegrüßt, dass ich kaum eine ruhige Minute hatte in der ich nicht erzählen sollte, wie ach so aufregend mein angehendes Berufsleben gerade war. Frau Zielke, meine ehemalige Stufenkoordinatorin, saß zwei Plätze neben mir und meinen Eltern und schielte immer wieder, neugierig und scheinbar total glücklich mich zu sehen, zu mir herüber. Ich liebte die ältere Dame und hatte sie seit Tag eins in mein Herz geschlossen. Sie hatte ihre Klassen im Griff, agierte gleichzeitig aber mit so viel lieblicher Strenge, dass man sie nur mögen konnte.

Ich blickte nach vorne zur provisorisch aufgebauten Bühne, dessen Geländer mit farblich abgestimmten Ballons geschmückt war. Jene verabschiedeten sich allerdings von Zeit zu Zeit mit einem kleinen, würdevollen Knall, der die Menge wieder wacher werden ließ. Wahrscheinlich gehörte das zur Taktik der Blumenkleid-Dame überlegte ich und merkte, wie mein Gehirn langsam zu Matsche wurde.

See you twice, see you againWhere stories live. Discover now