Kapitel 2

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Mein Blick suchte und fand Edda, die still und aufmerksam da saß, in ihrem hellblauen Kleid, mit den Beinen überschlagen und sich flüsternd mit ihren Freundinnen unterhielt. Die Blumenfrau kündigte nun endlich die Vergabe de Zeugnisse an und ehe ich mich versah übergab sie das Mikrofon an eine junge Frau, die bis dato wohl neben den Schülern gesessen hatte und deshalb nur mit Rücken zu uns gewandt war. Erst in dem Moment erkannte ich sie und war augenblicklich wacher als alle Ballons oder Sprüche der Blumenfrau mich je hätten wecken können.

Frau Sander betrat (in meiner Wahrnehmung beinahe schwebend leicht) die Bühne und zog sogleich alle Aufmerksamkeit auf sich. Selbst Edda und ihre Freundinnen verstummten, wie ich aus dem Augenwinkel erkennen konnte. Das war schon früher so gewesen. Frau Sanders unglaubliche Ausstrahlung, ihre toughes Auftreten, verscheuchte jeden Willen etwas anderes zu machen als ihr zu lauschen, auch noch jetzt, 4 Jahre nach meinem Abschluss. Sie fing an die ersten Namen zu verlesen, einen nach dem anderen, doch das bekam ich kaum mit. ich hörte ihre liebliche Stimme, aber das, was sie sagte, drang nur wie abgewürgt durch eine Schicht Watte an mein Gehör. Ich hing plötzlich wieder an ihren Lippen, an ihrer Erscheinung, wie vor vier Jahren und genau wie damals verschlug es mir den Atem und nahm mir jeden vernünftigen Gedanken. Dass ich ihre heute begegnen könnte, hatte ich bedacht. Dass ich wahrscheinlich ein bisschen durch den Wind sein würde, hatte ich bedacht. Aber dass es so war, als wäre ich nie weg gewesen, als hätte ich noch gestern in ihrem Deutsch Unterricht gesessen und meiner mündlichen Beteiligung beim dahinvegetieren zugesehen, hatte ich nicht bedacht.

Meine Mutter war schließlich diejenige, die mich mit einem gezielten Knuff in die Rippen aus meinem Gedankenkarussel schmiss und mir bedeutete aufzustehen, mich bereit zu halten, denn der Buchstabe C war gerade vorbei, es würde nicht mehr lange dauern, bis Frau Sanders unseren Familiennamen "Dederichs" aussprechen würde. Kaum hatte ich diesen Gedanken zuende gedacht, war es auch schon soweit. Edda wurde aufgerufen. 'Pompeii' von Bastille ertönte über die großen Lautsprecher und Edda maschierte mit dem breitesten Grinsen im Gesicht die Bühne hinauf. Sie umarmte die Blumenfrau, die ihr das Zeugnis samt weißer Rose in die Hand drückte, reichte dem Schulleiter die Hand und umarmte zum guten Schluss Frau Sanders. Bei letzterem zog sich mein Magen etwas zusammen, wobei ich wusste, dass Edda nichts lieber getan hätte als mir diese Umarmung zu überlassen. So wusste sie schließlich, neben meiner besten Freundin Carolynn, als mit einzige von meinen damaligen Gefühlen für meine Lehrerin und hatte bis zum heutigen Tage dicht gehalten. Trotz unseres Altersunterschiedes, waren wir schon immer ein klasse Team gewesen. Natürlich gab es auch bei uns die ein oder andere Streiterei, um die Nutzung von Spielzeugen oder später um die des Badezimmers, jedoch hatten wir uns angewöhnt immer über alles zu reden, was uns bedrückte oder glücklich machte. Ja, wenn ich so recht darüber nachdachte, war es wohl eine rein verleugnerische Schutzmaßnahme gewesen mir und Edda gegenüber zu behaupten, meine Geühle für Frau Sanders seien ein für alle Male, endgültig und unwiderruflich weg.

Vielmehr war mir gerade klar geworden, dass meine Gefühle wohl eher absolut, zum Scheitern verurteilt, nicht wegzuradieren da waren. Ich wollte diese Frau so sehr, wie vor 4 Jahren. Seit meiner Abifeier hatte ich kein Wort mehr mit ihr gewechselt, sie nicht mehr gesehen und doch keinen Millimeter ihres Seins vergessen. Früher hatten wir oft geredet. Nach den Stunden über den UNterrichtsstoff, irgendwelche Lektüren, die wir gerade behandelten oder hatten uns gegenseitig Buchvorschläge gegeben. Während ich jeden einzelnen ihrer Empfehlungen meist noch am selben Tag gekauft und in der darauffolgenden Nacht Wort für Wort verschlungen hatte, glaubte ich nicht, dass sie auch nur eine meiner Buchempfehlungen, jene einer 18 jährigen Schülerin, wirklich beachtet hatte. Wahrscheinlich war ihr Interesse an meinen Büchern schiere Freundlichkeit gewesen und weiter nichts.

Und nun, nach all den Tränen und schlaflosen Nächten voller Gedanken an meine Lehrerin, sollte ich ausgerechnet an dem großen Tag meiner kleinen Schwester wieder in dieses Loch meiner eigenen Verzweiflung fallen? Na schönen Dank auch.

See you twice, see you againWhere stories live. Discover now