53. Kapitel

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Thunder, feel the thunder ~ Thunder (Imagine Dragons)

Heute war die Luft wie elektrisch aufgeladen. Es war unglaublich schwül und heiß. Als ich mich auf den Weg zur Lichtung machte, sah ich zum Himmel. Zum ersten Mal, seitdem ich in Konzulesian war, waren Wolken zu sehen. Doch obwohl sie Schatten spendeten, war es viel  warm. Schon auf dem kurzen Weg durch den Wald fing ich trotz meiner Körperkühlung an zu schwitzen.

Von Weitem sah ich Benjamin auf der Lichtung sitzen, umgeben von Papieren und Stiften. Er nahm die Sache mit dem Entschlüsseln echt ernst, stellte ich fest. „Da bist du ja“, begrüßte er mich, sobald er mich sah.
„Ja, da bin ich. Was hast du für heute geplant? Bitte nichts mit Sport. Ich weigere mich, das heute zu tun.“ Benjamin schüttelte den Kopf. „Du musst heute nur Elyra immer und immer wieder zu dir rufen. Wenn das Wetter anders wäre, hättest du
Übungen machen müssen, also sei froh über die Hitze.“

Ich nickte nur und sah ihn an. Unter seinen Augen zeichneten sich leichte Augenringe ab, was seinem guten Aussehen jedoch keinen Abbruch tat. Er war so perfekt. Ich wusste nicht, warum ich das dachte, aber ich wusste, dass er es für mich war. Perfekt.
„Was ist?“, fragte er. Ich zuckte ertappt zusammen. „Nichts. Ich wollte gerade anfangen.“ Schnell schloss ich die Augen.

Ich sammelte mich kurz, dann suchte ich nach Elyra. Ich fand sie schneller als gestern und rief sie zur Lichtung. Kurz darauf ertönte ihr Quieken. Sie kam aus dem Wald gesprintet und kletterte an mir hoch. Nachdem sie sich auf meine rechte Schulter gesetzt hatte, sagte sie: „Bin da! Was gibt’s?“
„Nichts“, antwortete ich.
„Benjamin will nur, dass ich dich heute ein paar Mal zu mir rufe. Wäre das in Ordnung für dich?“

Elyra überlegte kurz. „Ja, aber nicht so lange. Da braut sich was auf. Ich spüre es am ganzen Körper. Und es wird kein Zuckerschlecken, das sage ich dir.“
„Okay, danke. Kannst du um ein paar Ecken rennen? Dann rufe ich dich wieder.“ Das Eichhörnchen nickte und sprang auf den Boden. Ich wartete ein paar Sekunden, dann schloss ich erneut die Augen und rief Elyra zu mir.

Keine zehn Sekunden später rannte sie auf mich zu. Dieses Mal kletterte sie nicht auf meine Schulter, sondern blieb vor mir stehen. „Das hast du gut gemacht, gleich nochmal“, fiepte sie. Ich nickte und Elyra lief davon. Jetzt wartete ich etwas länger, bis ich sie rief. Doch auch jetzt schoss sie auf mich zu und blieb stehen. „Nochmal!“, rief sie erfreut, bevor sie davondüste.

Bevor ich die Gelegenheit hatte, sie zum vierten Mal zu rufen, rannte sie auf die Lichtung. „Ich muss gehen! Es kommt hierher! Mach’s gut! Bis demnächst!“ Mit diesen Worten verschwand sie im Wald.

„Was …?“, fragte ich verwirrt. „Was ist los?“, erkundigte sich Benjamin und sah von seinen Blättern hoch. „Elyra hat gemeint, es würde hierher kommen und sie müsste deshalb gehen.“ Ich
zuckte ratlos mit den Schultern. „Komisch. Was meint sie dam…“ Ein lautes Geräusch übertönte den Rest von seiner Frage. Es war Donnergrollen. Sofort blickte ich zum Himmel. Es waren nur hellgraue Wolken zu sehen, keine Gewitterwolken.

„Ich glaube, es zieht vorbei. Wir würden es sonst sehen“, winkte Benjamin ab. „Bist du dir sicher? Es klang ziemlich nah.“ Misstrauisch beäugte ich den Himmel. „Ja, ziemlich.“
„Und was machen wir jetzt? Ich bin mir sicher, dass Elyra nicht mehr zurückkommt“, meinte ich und setzte mich neben ihn. Dabei verrutschte meine Mütze leicht. Erst wollte ich sie zurückschieben, doch dann merkte ich, wie dumm es eigentlich war, bei dieser Hitze eine Mütze zu tragen und zog sie aus.

Obwohl mein Körper sich automatisch kühlte, war es unangenehm, sie immer auf dem Kopf zu tragen. Außer Benjamin würde mich hier sowieso niemand sehen und er wusste davon, also legte ich sie neben mich ins Gras. Ich sah, wie sein Blick auf mein Zeichen fiel und er es musterte. „Das Teil ist echt krass“, sagte er. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wenn man damit ein ganzes Leben verbringt, ist es nicht mehr so krass.“

„Trotzdem. Und es ist richtig schön“, meinte er. Mit dem Finger fuhr Benjamin sanft darüber und mich überkam eine Gänsehaut. Niemand außer mir hatte es je berührt. Er sah mir in die Augen. Zehn Millionen Schmetterlinge flatterten in meinem Bauch umher. Das Grün seiner Iris war etwas dunkler als zuvor und als er sich langsam in meine Richtung lehnte, leuchteten die blauen Sprenkel in seinen Augen auf. Auch ich kam ihm etwas näher, als uns plötzlich ein gewaltiger Donner auseinanderfahren ließ.

Wir starrten beide in den Himmel. Er hatte sich wirklich unglaublich schnell zugezogen und war nun mit dunkelgrauen Wolken verhangen. Auf meiner Stirn landete der erste Regentropfen. „Scheiße! Komm mit!“
Benjamin zog mich an der Hand nach oben. Sobald ich stand, ließ er sie wieder los und rannte in die entgegengesetzte Richtung des Schlosses.

„Wo gehst du hin? Wir müssen in die andere Richtung!“, rief ich über einen Donner hinweg. Blitze sah ich zum Glück noch nicht.
„Die Höhle, zu der ich will, ist näher dran!“, schrie er zurück. In dem Moment prasselte der Regen auf uns hinab. Innerhalb von Sekunden war ich nass bis auf die Haut und hielt schützend die Arme über meinen Kopf.

Donnergrollen ertönte und es wurde immer dunkler. Wir hatten Nachmittag,
verdammt! Nicht einundzwanzig Uhr! Ich hetzte hinter Benjamin hinterher, der gerade über einen am Boden liegenden Baumstamm sprang. Ich tat es ihm gleich. Über uns erhellte ein Blitz den Himmel. Jetzt wurde es gefährlich. Sollte ein Blitz einen Baum treffen, waren wir schnell von Feuer umzingelt, das uns töten würde.

Vor Benjamin tauchte ein riesiger Felsbrocken auf, in dem ein Loch prangte. Es war höchstens einen Meter breit und zwei Meter hoch. Und tief war es auch nicht. Benjamin rannte hinein und ich folgte ihm. Pitschnass standen wir voreinander.
„Willkommen in meiner bescheidenen Höhle“, sagte Benjamin. „Das ist keine Höhle, das ist ein Höhlchen“, antwortete ich atemlos und deutete hinter uns, wo es nur etwas mehr als einen Meter in den Stein hineinging.

„Nach Hause hätten wir es aber nicht mehr geschafft“, erklärte er mir und sah mich an. Draußen erhellten Blitze den Wald und Regen und Donner sorgten für Lärm.
„Du hast deine Mütze vergessen“, stellte er fest.
„Was?“ Panisch griff ich mir an den Kopf. „Mist! Ich hol sie!“ Gerade, als ich aus dem Höhlchen rennen wollte, hielt Benjamin mich am Arm zurück. „Spinnst du?! Du bleibst hier“, befahl er.

„Warum?“
„Warum?! Ist das dein Ernst? Da draußen tobt ein Gewitter! Über einem Wald! Wenn du jetzt raus gehst, stirbst du sehr wahrscheinlich! Und dann nützt dir deine Mütze auch nichts mehr. Wenn das Gewitter vorübergezogen ist, gehen wir zurück zur Lichtung und holen sie. Aber jetzt bleiben wir hier. Die Wolken ziehen schnell, es kann also nicht so lange dauern.“

Ich seufzte ergeben und er ließ meinen Arm los. Er hatte recht. Trotzdem würde ich am liebsten meine Mütze sofort retten.
Während ich nach draußen starrte, setzte sich Benjamin auf den Boden. Kurzerhand ließ ich mich neben ihn sinken. Es war so eng in der Höhle, dass sich unsere Ellenbogen berührten. Mein ganzer Arm prickelte.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Heute Nacht war ich wieder durch irgendetwas geweckt worden und hatte danach eine Stunde wach gelegen. Ein bisschen Schlaf nachzuholen konnte doch nicht schaden, oder? Wir kamen hier sowieso erstmal nicht weg.

Die Kraft der Elemente - Alles liegt in deiner HandWhere stories live. Discover now