66. Kapitel

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My head's too clouded to be smart right now ~ The In Between (Khloe Rose)

„W-Was ist da gerade passiert?", fragte Su irritiert. „Xenia hat Marie entführt", knurrte Tristan wütend. „Woher willst du wissen, dass es Xenia war? Das war ein Drache." Sophia starrte noch immer in den Himmel. „Der Drache hatte ein Brandzeichen am Bein. Es war eine Krone, die mit Rosenranken umringt war. Xenias Zeichen",
antwortete Benjamin.

Tristan schien vor Wut gleich umzukippen. Laut schnaufend ging er in Richtung Wald. „Hey! Was machst du da?!", rief Benjamin und machte ein paar Schritte auf ihn zu, um ihn an der Schulter zurückzuhalten. „Wonach sieht's denn aus? Ich hole sie mir zurück. Ich habe Marie gerade erst gefunden und werde nicht zulassen, dass diese Hexe sie mir wieder wegnimmt! Und jetzt lass mich los!" Wild versuchte Tristan sich von Benjamin zu befreien, der ihn mit beiden Armen umklammerte. „Wenn du jetzt hinterherrennst, nimmt sie dich auch noch fest! Lass uns einen Plan entwerfen und nicht überstürzt handeln, Tris. Wir holen sie zurück, versprochen."

„Aber ... "
„Er hat recht, Tristan. Wir können jetzt nichts tun, außer uns genau zu überlegen, wie wir sie da rausholen", unterbrach ihn Su. Inzwischen umklammerte Sophia ihre
Hand so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Auf einmal schien seine ganze Kraft aus Tristan zu verschwinden. Er fiel auf den Boden und riss Benjamin, der immer noch seine Arme um dessen Mitte geschlungen hatte, mit sich. „Wir holen sie zurück." Immer wieder wiederholte Benjamin diese Worte wie ein Mantra für seinen besten Freund, dem nun die ersten Tränen die Wangen hinunterliefen.

Was machte Xenia mit Gefangenen, wenn Tristan so zerstört war? Was würde sie mit Marie tun? Und vor allem: warum? Warum hatte sie Marie entführt, wenn ich diejenige war, die sie bekämpfen sollte? Das ergab keinen Sinn. Außer ...
„Ich glaube, Xenia will, dass wir ihr wie Hunde hinterherrennen, Marie befreien und dann ganz ausversehen Emilia verlieren. Sie will nicht Marie. Sie will Emilia. Aber mit Marie hat sie eine eins-a Geisel", sprach Benjamin meine Gedanken aus. Tristan nickte grimmig. „Und sie weiß genau, dass wir so dumm sind und Marie holen werden. Ich werde nämlich nicht wegen Emilia auf meine Seel-"
„Das verlangt auch keiner. Lasst uns einen Plan entwerfen. Los geht's", unterbrach ihn Benjamin hektisch.

Verwirrt sah ich ihm dabei zu, wie er auf das Schloss zulief. Was war das denn gewesen? Was hatte Tristan sagen wollen, bei dem Benjamin verhindern wollte, dass ich es hörte? Denn dass er Tristan wegen mir unterbrochen hatte, lag auf der Hand. Sein Blick, den er mir panisch mit seiner Antwort zugeworfen hatte, war eindeutig gewesen. Aber warum?

Ich verstand diesen Typ nicht. Meinen Bruder verstand ich nicht. Mann! Konnte ich dieses Detail nicht mal vergessen?! Marie war gerade entführt worden! Wegen mir, verdammt! Schon wieder eine Sache, bei der ich nur Ärger brachte. Wütend und bedrückt zugleich machte ich mich hinter den anderen auf ins Schloss.

Fünf Stunden später waren wir keinen Schritt weitergekommen. Wir wussten nicht, wie wir Marie befreien sollten. Das einzige, was uns bewusst war, war, dass wir irgendwie einbrechen, Marie befreien und wieder ausbrechen mussten. Doch das Wie blieb ein großes, dickes, fettes Fragezeichen. Um elf Uhr abends hatten wir beschlossen, dass wir morgen weiterüberlegen wollten. Es war ein nervenaufreibender Tag gewesen. Für uns alle. Mit einem unguten Gefühl ließ ich Su, Tristan und Sophia in der Küche zurück und ging in mein Zimmer.

Benjamin und ich waren beide zu müde, um noch irgendetwas erreichen zu können, aber die anderen drei wollten noch ein bisschen denken. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Sie kannten Marie viel länger als
ich und Tristan war sogar ihr Freund. Wenn Benjamin ... Egal.
Wenn Benjamin entführt worden wäre, hätte ich ihn auch befreien wollen. Egal, ob es wegen der Tatsache war, dass wir Geschwister waren, oder weil ich in ihn verliebt war. Ich wusste, dass ich ihn um jeden Preis zurückholen würde. Mit einem unguten Gefühl und brennenden Augen schlief ich irgendwann ein.

„Sie sind weg! Emmi! Wach auf!" Murrend drehte ich mich zur Wand. Ich wollte weiterschlafen. Jemand rüttelte mich an der Schulter. „Ich schlafe", murmelte ich.
„Dann eben anders."
Ich hörte, wie sich Schritte entfernten und kurz darauf die Tür ins Schloss fiel. Ruhe. Ich seufzte auf und schlief wieder ein.

Ein Schwall eiskaltes Wasser traf mich mitten im Gesicht. Keuchend setzte ich mich auf. Dabei knallte ich mit etwas zusammen und wurde wieder ins Kissen katapultiert. „Aua!", beschwerte ich mich gleichzeitig mit einer anderen Person. Das Kissen war klatschnass und so setzte ich mich wieder auf. Dieses Mal langsamer.
„Wie kann jemand denn so fest schlafen?"
Ich drehte den Kopf und schrei auf.
„Komm mal runter! Ich bin's nur." Kopfschüttelnd sah ich Benjamin an.

„Warum weckst du mich?", fragte ich irritiert. „Das habe ich versucht, dir mitzuteilen. Sophia, Su und Tristan sind weg", erklärte er mir. „Wie weg?"
„Sie sind auf dem Weg zu Sophia und Xenia." Mit diesen Worten reichte er mir einen Zettel.

Benjamin und Emilia,

Wir können nicht warten, bis wir irgendwann einen Plan haben, was wir unternehmen wollen. Wir müssen Marie jetzt retten. Wir wissen genau, dass ihr zwei darauf bestehen würdet, einen Plan zu machen. In dieser Sache seid ihr euch unglaublich ähnlich. Deswegen mussten wir ohne euch los. Wir werden Marie befreien und zurückholen. Wenn du, Emilia, uns folgen willst, denke daran, dass es genau das ist, was Xenia will. Benjamin, halte Emilia auf, wenn sie zu uns kommen will. Wir schaffen das. Es dauert nicht lange, wenn wir fliegen. Wir sind heute Mittag ja sogar wieder da.

Viele Grüße,
Sophia, Su und Tristan

Fassungslos starrte ich auf die Zeilen. Sie waren ohne uns gegangen? Und jetzt erwarteten sie, dass Benjamin und ich hier rumsaßen und warteten, bis sie vielleicht zurückkehrten? Wenn sie nicht vorher von Xenia eingesperrt wurden? Das konnten sie sowas von vergessen.

„Es ist schon halb elf. Da stimmt irgendwas nicht", sagte Benjamin und bestärkt damit meinen Entschluss. Ohne etwas zu sagen stand ich auf und lief zu meinem Schrank. Ich suchte mir eine bequeme Hose und ein T-Shirt raus. Mit den Klamotten auf dem Arm machte ich den Schrank von Marie auf und holte ihren braunen Rucksack raus. Es war einer der Rucksäcke, die Marie für unseren nicht stattgefundenen Shoppingtrip ganz am Anfang des Ganzen mitnehmen wollte. Ich hatte ihn schon ein paar Mal dort liegen sehen und für mein Vorhaben war er perfekt.

„Was machst du?", erkundigte sich Benjamin.
„Wonach sieht's denn aus? Ich rette diese Dummköpfe."
„Das wirst du nicht tun", widersprach er und stellte sich mir in den Weg, als ich aus der Tür gehen wollte. „Doch, das werde ich. Marie wurde nur wegen mir entführt. Deswegen muss ich sie da auch wieder rausholen. Ich habe diese Kräfte nicht umsonst bekommen, oder?"
„Du bleibst hier. Die schaffen das schon alleine."

„Lass mich da durch", knurrte ich wütend. Dass ich zu ihm hochstarren musste, machte mich noch wütender. „Emmi, das ..."
„Ich heiße Emilia, verdammt! Wann geht das in dein Hirn rein?!"
„Na gut, Emilia. Das ist trotzdem eine schwachsinnige Idee! Du kennst den Weg doch gar nicht!"
Da musste ich ihm allerdings recht geben. „Ich hol mir eine Karte von Josef. Lass mich jetzt hier durch!" Statt zur Seite zu gehen, packte mich Benjamin an den Schultern und sah mir in die Augen. Augenblicklich verknotete sich mein Bauch.

„Du wirst dich nicht in Gefahr bringen, wenn ich das verhindern kann."
„Ich schaffe das schon, keine Sorge. Du musst deine kleine Schwester nicht beschützen." Sobald diese Worte meinen Mund verlassen hatten, musste ich die Tränen zurückdrängen.
„Emilia, das hier hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass wir Geschwister sind. Ich will dich nicht auch noch an Xenia verlieren. Du
bist zu wichtig für mich."
„Das ist mir egal. Ich werde nicht tatenlos hier sitzen, während meine Freunde in Gefahr sind! Das kannst du dir abschminken!"

Es war mir nicht egal, was Benjamin gesagt hatte. Aber wenn ich diese Worte an mich ran ließ, würde ich in meinen Gefühlen versinken.
„Dann komm ich eben mit."
Ich starrte ihn an. „Was?"
„Ich komme mit. Du brauchst mich."
„Ich brauche niemanden." Mit diesen Worten schaffte ich es endlich, an Benjamin vorbeizukommen.
„In einer halben Stunde in der Küche!", rief mir Benjamin hinterher, als ich den Gang entlang lief.

Der jungen Frau, die mich schräg von der Seite ansah, schenkte ich ein Lächeln. „Der Prinz ist nicht ganz dicht, aber das weißt du bestimmt, oder? Du siehst aus, als würdest du schon länger hier arbeiten." Die Frau erwiderte nichts, sondern lief schnell und mit abschätzigem Blick an mir vorbei. Ganz toll gemacht, Emilia. Was sollte das denn jetzt? Ich verstand mich selbst nicht. Es gab keinen Grund, meinen Frust an jemand anderem als an Benjamin auszulassen. Oder meinen Eltern. Oder mir selbst.

Die Kraft der Elemente - Alles liegt in deiner HandWhere stories live. Discover now