#58 Erkenntnis

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Dante

Ich wusste nicht, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, aber ich war auf den Weg ins Ausland. Vor drei Stunden war ich losgefahren. Laut lief die Musik in meinem Auto, bis diese von einem Anruf unterbrochen wurde. Ich dachte schon, dass es wieder Silian wäre, aber nein es war Dima. Über die Freisprechanlage nahm ich den Anruf. Kein Handy am Steuer oder wie war das?

„Du scheiß kleiner Bastard drehst sofort um", schrie Dima, wodurch ich zusammenzuckte. „Nein", sagte ich entschlossen, während ich den Blinker setzte. „Nein? Willst du mich verarschen?", fragte er fassungslos. „Warum verarschen? Silian wird die eine Woche ohne mich überleben. Mom ist da, Enzo ist da und du bist doch auch telefonisch erreichbar", wunderte ich mich. „Das denkst auch nur du", kam es von ihm.

Warte, was? Fast hätte ich eine Vollbremsung gemacht, aber entschied mich dann auf den Randstreifen zu fahren. Ich drückte noch das Warnlicht an, bevor ich etwas sagte.

„Was ist passiert?", fragte ich unsicher nach. „Weisst du, was die Ironie an Antidepressiva ist? Bei einer Überdosis verreckt man", wurde Dima etwas leiser.

Nein, nein, nein. Das hatte Silian doch nicht wirklich gemacht. Scheiße. Ich ließ meinen Kopf aufs Lenkrad fallen, wobei mir ein Schluchzen entkam. Nein, das konnte nicht sein. Nicht Silian. Die Tränen flossen mir über die Wange. Vor Wut über mich selber schlug ich auf das Armaturenbrett. Er hat es wie seine Mutter gemacht. Ich hatte eine falsche Entscheidung getroffen. Es hätte mir klar sein müssen.

„Ist er-", fing ich an, aber meine Stimme brach ab.

Ich konnte diese Frage nicht zu Ende stellen. Das letzte mal, als ich die Frage stellte, war Quinn Tod. Einfach weg. Ohne vorher mit mir zu reden. Es fühlte sich an, als ob ich der Tod für jeden, den ich liebte war. Ich kam mir wie im falschen Film vor. Das musste doch alles ein Traum. Ich war noch am schlafen, ich war noch nicht losgefahren, versuchte ich mir einzureden. Wenn ich aufwache, liegt Silian neben mir, redete ich mir weiter ein. Alles um mich rauschte, bis ich Dimas Stimme vernahm.

„Silian ist im Krankenhaus, auf der Intensivstation. Hätte ich nicht vorher mit ihm telefoniert, wäre er weg", erlöste Dima mich. „Du hast mit ihm telefoniert und nichts gemerkt?", fuhr ich meinen besten Freund wütend an. „Dadurch habe ich es überhaupt gemerkt. Ich habe direkt nach dem Telefonat Veronica angerufen, dass sie sofort nach Silian schauen soll. Silians letzte Worte waren, dass er dich liebt und es schön war", erzählte er mir.

Ohne dieses Telefonat, ohne diese Worte, hätte man ihn wahrscheinlich zu spät gefunden. Silian wollte wahrscheinlich, dass man ihn findet. Anders konnte ich mir das nicht erklären.

„Jetzt sei dankbar und beweg deinen Arsch ins Krankenhaus. Ich warte dort auf dich", mit den Worten legte Dima auf.

Ich war so schnell wie es ging zum Krankenhaus gefahren. Mom hatte mich zwischenzeitlich auch angerufen, damit sie mir genau das gleiche sagen konnte. Vor dem Gebäude erkannte ich schon Dima. Er lehnte an einem Geländer, wobei er rauchte. Mit schnellen Schritten lief ich auf ihn zu. Sofort nahm Dima mich in den Arm, da mir die Tränen wieder übers Gesicht liefen. Es war ein Wunder, dass ich dadurch keinen Unfall gebaut hatte.

„Warst du schon bei ihm?", fragte ich. „Ja, Silian hat etwas gespritzt bekommen und eine Magenspülung. Sein Kreislauf spielt noch nicht ganz mit, wodurch er künstlich beatmet wird. Medikamente erhält er über einen Tropf", erzählte Dima mir. „Oke, dann lass zu ihm", löste ich mich von Dima.

Dima lächelte mich ermutigend an. An der Situation war alles einfach nur scheiße, wodurch mir sein Lächeln auch nicht half. Wir liefen gemeinsam die vollen Gänge entlang. Erst auf der Intensivstation wurde es leerer. Mein Blick fiel direkt auf Silian. In dem Moment hätte ich ihm so vieles an den Kopf schmeißen können, aber ich war froh, dass er noch lebte.

„Ich lebe noch", brachte Silian schwermütig hervor. „Zum Glück", setzte ich mich zu ihm.

Mom tätschelt mir über die Schulter, bevor sie und Enzo den Raum verließen. Dima setzte sich auf die andere Seite des Bettes. Meine Hand legte ich auf Silians seine.

„Du hättest sterben können", nannte ich das offensichtliche. „War das Ziel", gab Silian mit einer gewissen Ironie zurück. „Mach das bitte nie wieder", drückte ich seine Hand gegen meine Stirn. „Wenn du nicht einfach mehr so abhaust", sagte er. „Nie wieder", wisperte ich.

Nie wieder, würde ich so etwas nochmal machen. Daraus hatte ich gelernt. Noch wichtiger war, dass ich eine Erkenntnis hatte. Silian war für mich kein Ersatz für Quinn. Ich schaute verwirrt, als Dima Silian zu nickte.

„Dante, es kann sein, dass ich zwangsmäßig eingewiesen werde", meinte Silian so leise, dass ich ihn kaum verstand. „Es wäre vielleicht besser, aber wovon hängt es ab?", wollte ich wissen. „Ein Facharzt wird mich begutachten. Der wird entscheiden, ob es passiert und wie lange", erklärte er, wodurch ich nickte.

Natürlich nicht schön, aber es wäre besser für Silian. Er musste lernen mit seinen Drängen umzugehen. Meiner Meinung nach reichte es nicht aus, wenn er nur einmal die Woche zu Mister Ramirez ging.

„Ich will das nicht", wisperte Silian. „So scheiße es auch klingt, aber es wird dir wahrscheinlich gut tun. Schließlich hast du versucht dir dein Leben zu nehmen. Du wirst das auch schaffen, wenn es beschlossen wird", versuchte ich ein paar aufmunternde Worte zusammen zu bekommen.

Silian schüttelte seinen Kopf leicht, wobei er ein schwaches Lächeln auf den Lippen hatte. Er schien zu verstehen, was ich ihm sagte, aber war verständlicherweise damit nicht einverstanden. Eine Träne lief über seine Wange, welche ich sofort wegwischte.

———

Wie wird die Begutachtung ausfallen?

Nur ein Neustart oder mehr?Where stories live. Discover now