Prolog

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„Die gehen mir echt so auf die Nerven", stöhnte der blonde, siebzehnjährige Junge, als er sein graues Schließfach schloss und das Mathematikbuch in seiner Hand hielt.

Die Blicke der anderen Jungen, die ebenfalls die Jungenschule besuchten, lagen wie tagtäglich auf den beiden Außenseitern. Sie waren nie sonderlich beliebt gewesen, eher Durchschnittsschüler, doch seit Noahs Outing hatte sich das Blatt nochmal gedreht und nun waren sie ganz unten im Beliebtheitsgrad.

Der dunkelhaarige Junge neben dem Temel musterte diesen. „Versuch's zu ignorieren... Mach' ich auch", antwortete er und ließ die Tür seines Schließfachs ebenfalls zu gehen. Dabei hielt er sein Mathematikbuch schwerlich in der Hand, genauso wie seine anderen Sachen, die er sich aus dem Spind genommen hatte. Sein Kopf war über seine linke Schulter gedreht und er tat genau das Gegenteil von dem, was er seinem besten Freund gerade eben geraten hatte.

Ignorieren, dachte sich der Blonde mit den langen Haaren, die zu einem Zopf gebunden waren, sieht aber anders aus.

Seufzend schulterte Noah seinen Rucksack, nahm wortlos Theos Schulsachen aus seiner Hand und legte sie auf seinen eigenen Stapel. „Danke", murmelte dieser und riss seine Augen von den Jungen los, die an der Wand lehnten.

Schweigend machten sich die besten Freunde auf den Weg zum jetzigen Unterrichtsraum.

„Hach, wie süß", säuselte es grinsend, als sich ein nicht unbekannter Rotblonder in ihren Weg stellte - und er war nicht allein. „Der schwule Butler ist mal wieder im Dienst, wie herzzerreißend", sprach Erik, das größte Arschloch der Schule, weiter. Er und seine Clique, die aus drei weiteren Jungen bestand, waren die Beliebtesten der Schule. Oder zumindest dachten sie das, da ihnen niemand die Stirn bieten konnte. Außer Noah ab und zu, aber den nahm sowieso niemand weiter ernst.

Mit den Händen in den Taschen der Schuluniform und einem teuflischen Grinsen im Gesicht, sah er die beiden Jungen vor sich herablassend an. Noah verfluchte ihn dafür, dass ihm dieses Stück Stoff auch noch stand. Konnte er nicht so hässlich sein wie sein ekelhafter Charakter?

„Nur für Leute, die's verdient haben, Arschloch", zischte Noah mit einem erhobenen Kinn dem Jungen entgegen und sah stolz dabei zu, wie dieser unzufrieden das Gesicht verzog.

Das Gesagte von dem Rotblonden war nur ein kleiner Teil von dem, was sich die Jungen immerzu anhören mussten. Der Temel bekam Beleidigungen bezüglich seiner Sexualität, und bei Theo wurde zusätzlich seine Spastik in der rechten Hand zum Thema gemacht.

„Stehst du doch drauf, hm?", konterte ein Freund von Erik, namens Chester, auf die Beleidigung und Noah versteifte sich augenblicklich. Er spürte, wie sein Gesicht rot wurde, sein Blut zu kochen begann und er ihnen gerne eine reingehauen hätte. Aber er brachte seine Instinkte unter Kontrolle, obwohl es gefährlich in seinen Fingerspitzen kitzelte.

„Wie still er plötzlich ist", lachte der Rotblonde boshaft und nun schaltete sich Theo ein, indem er sagte: „Mit euch zu reden ist eh sinnlos, versteht euer kleines Erbsenhirn doch sowieso nicht."

Noahs bester Freund redete nicht viel, aber wenn er es tat, war es, um den Blonden zu verteidigen.

Mit entfachter Wut wandte sich Erik an den etwas Kleineren. „Mit dir redet keiner, Freak. Bist du nicht der, der 'ne Zeitverlängerung braucht?"

Theo sah sofort getroffen zur Seite, und Noah stellte sich vor ihn. Der Brünette erhielt bei schriftlichen Arbeiten mehr Zeit, das war richtig. Jedoch nur, weil er seine rechte Hand schwer bewegen konnte. Ihre Haltung war spastisch; er konnte nur schwer Kraft auf sie ausüben, weshalb ihm das Schreiben schwerfiel. Auch wenn er gezwungenermaßen Linkshänder war. Er hatte extra eine Anti-Rutschfolie für seine Blätter, dennoch war er langsamer als die anderen.

„Alter, Schnauze halten und zischt ab", giftete Noah drohend und die Angesprochenen hätten einen Angriff geplant, wäre nicht genau zu dem Zeitpunkt ein Lehrer dazugestossen.

„Hey", rief er, da er die angespannte Stimmung bemerkt hatte. „Was ist denn hier los?"

Erik nahm seinen Blick nicht von seinen zwei Opfern. „Nichts, Herr Wolf", antwortete er dem Lehrer brav. Sein Freund erwiderte es ebenso. „Alles bestens."

Dieses falsche, freundliche Lächeln brachte die angegriffenen Jungen bald zur Weißglut und als die Lehrkraft wieder ging, verschwanden auch die Cliquenmitglieder mit einem siegenden Lächeln.

„Wäre Béla da gewesen, hätte er sicher etwas dazu gesagt...", murmelte Theo gekränkt und Noah versuchte einen abfälligen Laut zu unterdrücken.

Nein, das hätte er nicht, dachte sich der Blonde und sagte: „Er gehört zu denen. Egal, ob ihr zusammen seid oder nicht, ihm ist die Beliebtheit wichtiger als du." Noah sprach die Wahrheit aus, egal wie hart sie war.

Nicht nur der blonde Schüler stand auf Jungen. Auch sein Freund Theo tat es und führte eine weniger gesunde Beziehung mit ausgerechnet einem Freund von Erik, der heute nicht da war.

Béla war ungeoutet, wollte es auch bleiben, und hatte den Charakter eines totalen Arsches. Er machte alles, was Erik ihm sagte, mobbte Noah und seinen besten Freund ebenso, und der dunkelhaarige Junge wollte einfach nicht einsehen, dass das nichts mit Tarnung zu tun hatte. Liebte man jemanden, wollte man diese Person nicht verletzt sehen und Noah hoffte, dass das Theo irgendwann begreifen würde. Der Junge war zu lieb für diese Welt und verdiente nur das Beste vom Besten. Und dazu gehörte definitiv nicht dieser Béla.

„Naja, dann mal los in die Hölle", seufzte Theo ignorierend, der den Weg zum Klassenraum erneut einschlug, und Noah hoffte, dass der Tag schnell zu Ende ging. Denn gerade Erik musste in dieselbe Klasse gehen.

Irgendwann, hoffte Noah, würde es besser werden, würde alles besser werden. Irgendwann...

𝐈𝐦 𝐒𝐜𝐡𝐚𝐭𝐭𝐞𝐧 𝐝𝐞𝐬 𝐁𝐥𝐮𝐭𝐞𝐬 | ⁿᵒˡⁱⁿ ᶠᶠ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt