Totenstille

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Er wäre das Risiko nie eingegangen, hätte er gewusst, dass sich das Nekronomikon nicht in der Gruft befinden würde. Der Grabstein, der seine Inschrift wechselte, war genau Elphias' Kaliber gewesen. So versteckte er Sachen, die niemand - nicht gar niemand, nur nicht er - finden sollte. Elphias war sorgfältig, talentiert mit Magie und konnte ein Geheimnis bewahren. Wahrscheinlich würde er eines Tages viele Geheimnisse mit ins Grab nehmen, denn Dumbledore vermutete, dass er nicht der Einzige war, der auf diese Weise auf seinen alten Freund vertraute. Obwohl er bestimmt die größte Bitte an ihn herangetragen hatte - das Nekronomikon, mit dem er sich selbst nicht vertraut hatte. War es ein Fehler gewesen? Hätte er dieses Risiko eingehen sollen? Er hatte mit eigenen Augen gesehen, welchen Wahnsinn es in Gellert gesät hatte und er konnte von Glück sprechen, dass es in ihm nicht die gleichen Früchte getragen hatte.

Obwohl ... Wer weiß? Er dachte in letzter Zeit oft, er würde verrückt werden.

Dumbledores Weg führte direkt wieder zu Elphias' Haus zurück, seine einzige Anlaufstelle, um das Nekronomikon aufzuspüren. In der einen Hand hielt er seinen Zauberstab, denn er wusste nicht, ob er seinen gelbäugigen Verfolger abgehängt hatte. Das Weidenkörbchen mit dem entstellten Kind schaukelte in seiner anderen Hand. Es schlummerte, wenn auch nicht friedlich. Die schrecklichen Deformitäten ließen einen solchen Ausdruck nicht zu.

Schon wieder erwischte er sich, wie er grübelte, ob es wirklich wachsen sollte. Erwachsen werden. Er schüttelte seinen Kopf. Das lag nicht in seinem Entscheidungsbereich. Er würde sich kein Urteil anmaßen, nein, im Gegenteil, er würde es schützen und ein Aufwachsen ermöglichen. Wie könnte er sich sonst einen Humanisten nennen?

Elphias' kleines Häuschen auf dem Hügel sah schon, als es sich am Horizont abzeichnete, merkwürdig aus. Dumbledore musste wegen der weiten Appariergrenze noch ein ganzes Stück zu Fuß gehen. Er beeilte sich, dass ihm die Puste ausging, denn irgendetwas an dem verzerrten Anblick ließ sein Herz bis zum Hals schlagen. Das Dach saß nicht richtig auf den Wänden, die Winkel waren zu spitz und es hatte einen rot glühenden Schimmer, als würde es von der untergehenden Sonne angeleuchtet, die aber schon längst völlig hinter dem Horizont versunken war. Die Dachschindeln funkelten wie eine Wasseroberfläche. Es wirkte, als würde sich Lava über sie ergießen.

Dumbledore eilte noch schneller. Der Anblick war zu vertraut.

Die Tür quietschte wie ein jammernder Hund, als Dumbledore sie aufstieß. Er warf einen Blick hinein und sah eine surreale Kulisse. Die Küche, in die er direkt hineinsehen konnte, war noch genauso, wie er sie verlassen hatte. Sogar die beiden Weingläser standen auf dem Tisch und neben dem Brotkasten waren zwei Teller mit Kuchenstücken, die er nie bekommen hatte. Am vergangenen Abend noch hatte er auf jenem Stuhl am Fenster gesessen und auf die Büsche und Erdbeerpflanzen im Vorgarten geschaut. Der Stuhl war leicht verrückt, als wäre er gerade eben erst aufgestanden. Ungewöhnlich, hatte Elphias doch einen äußerst ausgeprägten Ordnungssinn.

„Elphias?", rief Dumbledore.

Stille.

Er hätte den Stuhl gerade gerückt, würde ihn nicht irgendetwas daran hindern.

Er stellte den Weidenkorb mit dem schlafenden Kind an der Schwelle ab und sprach einen Lumos, bevor er einen Schritt in die Küche setzte. Sein Herz pochte kräftig, wie ein Spickoskop, das Gefahr meldete.

Es gab keine Spur von seinem Freund, aber auch keine Anzeichen für einen Kampf. Das hieß aber noch lange nicht, dass Elphias sich freiwillig gefügt hatte ... Die aus dem Boden fahrende Gruft ließ Dumbledore das Schlimmste annehmen. Irgendjemand hatte sich seines Freundes bemächtigt, denn Elphias war zwar magisch talentiert, aber nicht in der Lage, solch imposante und geradezu altertümliche Magie zu wirken.

Der Herrscher der TräumeWhere stories live. Discover now