Der Mann zwischen den Zeilen

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Mrs Doris Fletcher ist eine ca. 70-jährige, alleinstehende Dame aus Greenwich, die sich seit längerer Zeit über Albträume beklagt. Sie hat von Dingen gesprochen, über die sie als Muggel nicht Bescheid wissen sollte. Dazu zählen insbesondere genaue Beschreibungen zu Zauberstäben und Zauberern. Ebenso übt sie sich in Prophezeiungen. In einer intensiven Unterredung mit Mrs. Fletcher habe ich festgestellt, dass das meiste, was sie spricht, geblümter Unfug ist. Einzig die Erwähnung des Namens Dumbledores hat Sinn ergeben, jedoch ist unklar, woher sie diesen kennt. Sie gab an, Professor Dumbledore in ihren Träumen begegnet zu sein (wie sie übrigens auch ihrer verstorbenen Mutter begegnete). Mehrere Tänze ...

Er hatte es sich nicht eingebildet! Die Striche der Buchstaben wurden immer breiter. Sie wuchsen in alle Richtungen und dann begannen sich schwarze Punkte herauszulösen wie ein Mückenschwarm, der über das Papier krabbelte. Die weißen Stellen im Pergament in den As und Os schauten zu Dumbledore hoch, er wurde von hundert oder mehr Augen beobachtet.

Instinktiv zog Dumbledore seine Hand zurück, ehe die hungrigen Mäuler nach seinen Fingern schnappen konnten. Sie begannen zu brummen, ein dunkles Hintergrundrauschen. Von Schmatzgeräuschen und Rascheln begleitet, steckten sich die Einzelteile der Buchstaben voneinander weg und zu anderen hin. Sie verschwammen immer mehr zu einem schwarz-weißen Wirrwarr, bis sich aus diesem das Wort wachsam bildete.

Immer wachsam, hörte Dumbledore Mad-Eye knurren. Du hast gepennt, Albus. Wie konntest du nur das Nekronomikon aus den Augen verlieren? Es wurde dir anvertraut. Er hörte Moody lachen. Du verfügst nicht über die nötige Selbstbeherrschung, wurdest du doch schon einmal von den dunklen Künsten verführt.

Alastors Stimme versank im Rauschen des Insektenschwarmes. Hunderte Flügel flatterten umher, zuckten gequält, bis sie es schafften, ihre Buchstabenbäuche vom Pergament zu hieven. Nach und nach erhoben sich alle Lettern vom Bogen, der strahlend leer zurückblieb und schwirrten um Dumbledore herum. Das Summen der Flügel hatte eine ohrenbetäubende Lautstärke angenommen. Spitze Kanten schienen sich durch sein Trommelfell zu bohren. Dumbledore hielt sich die Ohren zu, doch fluchte er nicht, denn sie würden womöglich in seinen Mund fliegen.

Die dünnen Insektenkörper schwebten dicht beieinander, so nah, dass sie ein Netz formten und gleich darauf einen Körper. Einen, der gar menschlich anmutete. Er hatte einen Rumpf, ein Haupt und vier Extremitäten, aber kein Gesicht. Durch hundertfache klitzekleine Bewegungen war er definiert - ein Schwarmling. Er materialisierte sich so dicht bei Dumbledore, dass sie sich Nasenspitze an Nasenspitze gegenüberstanden und Dumbledore den herben Geruch der Insekten riechen konnte.

Dumbledore wollte zurückschrecken, doch der Impuls krachte gegen seine Muskeln. Er bewegte sich kein Stück, seine Füße waren wie festgeklebt. Mit größter Anstrengung neigte er seinen Kopf nach unten und blickte auf seine Schuhe: Insekten hatten das Leder lückenlos besetzt, sie wanderten seine Beine hoch und hinderten ihn an einer Bewegung. Was war das?

Schnell schaute er wieder nach oben, in das Angesicht des Neuen und schreckte nochmals zusammen, diesmal so, dass er einen kleinen Teil der Buchstaben abschüttelte, die sich jedoch sogleich wieder auf ihm niederließen. Er blickte in Augen, nicht eines, nicht zwei, sondern hunderte, große und kleine, menschlich anmutende sowie Facettenaugen. Das ganze Gesicht war mit ihnen übersät, selbst auf der Nasenspitze sah er ein kleines kreisrundes, das ihm zuzwinkerte.

Dumbledore wusste nicht, wo er hinschauen sollte. Er probierte seinen Fuß zu heben, aber war erfolglos. In seinen Manteltaschen fand er nur noch mehr Insekten, sein Zauberstab war plötzlich verschwunden.

Ein schwarzer Spalt zwischen den Augen wurde größer und aus dem Inneren des Schwarmlings ertönte ein Zirpen: „Dumbledore, alter Freund."

Wieder zuckte Dumbledore zusammen. „Ich kenne dich nicht."

Der Herrscher der TräumeOnde histórias criam vida. Descubra agora