Die Entscheidung

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Lexa stand vor dem Spiegel in ihrem Zimmer und beäugte sich kritisch in ihrem Abschlussballkleid. Dabei war das eigentlich gar nicht nötig, denn sie sah umwerfend aus. Eliza war so stolz auf sie und stand in diesem Moment unbemerkt bei ihr. Lexa war nun 17 Jahre alt und hatte sich zu einer ausgesprochen hübschen jungen Frau entwickelt - kurz gesagt, sie war eine regelrechte Augenweide. Ein Kloß bildete sich in Elizas Hals, als sie Lexa bewunderte. Es war eine Seltenheit, das Mädchen in einem Kleid zu sehen. Das royalblaue Kleid war mit einem goldenen Band um die Taille verziert und betonte Lexas zierliche Figur. Ihr Haar, das sonst meist zu Zöpfen geflochten war, trug sie offen, und es fiel über ihre nackten Schultern hinab.

Plötzlich horchte Lexa auf. „Eliza, Eliza bist du da?", fragte Lexa in die Stille.

Elizas Augen wurden groß. Mist, sie hat nicht aufgepasst. Für einen kurzen Moment muss sich ihr eigenes Spiegelbild neben Lexa gezeigt haben. Engel glitzern im Spiegel, und Lexa hatte es bemerkt.

Ein beklemmendes Gefühl überkam Eliza, sie sollte nicht hier sein, insbesondere in Anbetracht der Möglichkeit, dass Lexa ihre Anwesenheit erahnen konnte. Und noch schlimmer, bald würde Lexa 18 Jahre alt werden, und dann durfte Eliza niemals wieder hier sein. Es war unausweichlich, dass sie sich von Lexa distanzieren musste, sobald diese volljährig wurde. Das schlechte Gewissen plagte Eliza. Sie sollte keinen Kontakt mit Lexa halten, sie waren jetzt beide erwachsen. Die Zeit des Loslassens war gekommen, eine Phase, die Eliza stets durchlebte, wenn ihre Schützlinge erwachsen wurden. Lexa und sie waren sich zu nah und das war nicht gut. Für keinen von beiden.

Mit einem schweren Herzen und einem letzten Blick auf Lexa schwebte Eliza stillschweigend davon.

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Eliza hat ihre Entscheidung sorgfältig überlegt getroffen. Aber ehrlich gesagt, sie kann nicht anders.

Lexa rief nach ihr, sie rief Elizas Namen in einem Ton, der wie ein verzweifelter Hilferuf klang. Nach diesem Ruf gibt es für Eliza wirklich kein Zurück mehr.

Es gibt eine Sache, die Eliza für Lexa tun kann, es ist jedoch nahezu unmöglich. Es wäre ein gewaltiger Schritt, dessen Ausgang ungewiss ist und der Eliza viel kosten würde. Dennoch hat sie in letzter Zeit immer häufiger darüber nachgedacht, diesen Schritt zu wagen. Wenn sie es tut, wird es kein Zurück mehr geben, sie würde alles aufgeben und nie mehr dieselbe sein.

Doch Eliza kann Lexa nicht vergessen. Sie hat es immer wieder versucht, aber Lexa bleibt tief in ihrem Herzen verankert. Sie ist sich bewusst, dass sie alles tun würde, was notwendig ist, um Lexa zu beschützen, so wie sie es früher immer getan hat. Sie muss einfach bei Lexa sein, sie kann nicht anders. Es gibt nur einen Engel, der diesen Schritt bereits gewagt hat, der sich getraut hat, aber niemand weiß, was aus ihm geworden ist.

Eliza hat längst ihre Entscheidung getroffen. Sie wird es ebenfalls tun.

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Eliza findet Jaha auf der Erde, wo er über seinen Schützling Toni wacht. Der kleine Junge sitzt einsam auf dem Boden vor dem Waisenhaus und spielt mit ein paar dreckigen Kiessteinen, als wären sie Puppen, und spricht mit ihnen.

Beide beobachten Toni eine Weile beim Spielen, dann spricht Jaha, ohne Eliza vorher angesehen zu haben, er weiß einfach, dass Eliza anwesend ist.

„Du hast deine Entscheidung getroffen? Du hast mit Ihm gesprochen?", fragt Jaha.

Ihm ist der große Gott oben über den Wolken. Niemand kennt seinen richtigen Namen und die wenigen, die ihn kennen, sprechen ihn nicht laut aus, also heißt es immer Er oder Ihm.

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