Kapitel 2 : Die Hölle, das sind die anderen

128 10 56
                                    

Die Hölle, das sind die anderen.

- Jean-Paul Sartre

Als Jean-Paul Sartre sein Werk ‚Geschlossene Gesellschaft' verfasste, konnte er nicht ahnen, wie treffend seine Beschreibung der Hölle mal für mich sein würde

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.



Als Jean-Paul Sartre sein Werk ‚Geschlossene Gesellschaft' verfasste, konnte er nicht ahnen, wie treffend seine Beschreibung der Hölle mal für mich sein würde.

Man stelle sich vor, drei Menschen seien in einem Raum eingesperrt. Ihnen wird schnell klar, dass sie verstorben und in der Hölle sind. Zuerst sind sie erleichtert, denn Fegefeuer und Folterwerkzeuge sind nirgendwo in Sicht. Die Umstände sind jedoch alles andere als angenehm: Es gibt weder Tag noch Nacht, sie haben keine Augenlider mehr;

Sie sehen ihr eigenes ‚Ich' im Blick des anderen und können ihm nicht entrinnen.

Wie schon zu Lebzeiten wollen sie ihren Mitmenschen ein Bild von sich selbst vermitteln, mit dem sie sich wohlfühlen. Sie sehnen sich nach einer positiven Bestätigung ihrer Existenz, ihr Spiegel ist der bewundernde Blick des anderen.

Es gelingt jedoch einfacher, sich zu zweit gegenseitig etwas vorzugaukeln, als in einer komplizierten Dreiecksbeziehung; denn dem Blick eines kritischen Dritten hält kaum eine noch so sauber aufgebaute Fassade stand und so kommen alle Lügen ans Licht.

Und nachdem alle idealisierenden Bilder zerbrochen sind, sehen die drei einander nun wirklich, und noch schlimmer - sie wissen auch ganz genau, wie sie gesehen werden.

Die Hölle ist ein verdammter Lockdown.

Die Hölle, das sind die anderen.

Um dem kleinen Theorieexkurs jetzt ein Ende zu bereiten und zu resümieren - genau so fühlte ich mich, als mich die bernsteinfarbenen Augen durchlöcherten.

Es dauerte nur wenige Herzschläge lang, doch es reichte aus. Hilflos und wie zu Eis erfroren dem Blick des Fremden ausgeliefert, krochen eisige Schauer meinen Rücken hinauf, während diese verdammte Augen Schicht um Schicht meine Seele durchleuchteten.

Schicht um Schicht um Schicht, bis sie auf den Kern trafen, bis sie meine ganze Fassade zum Bröckeln brachten und nur noch mein nacktes Ich da stand.

Und ich wusste, dass dieses Ich keine gute Erscheinung war.

Ich schätzte, dass jeder Mensch seine verdorbenen Seiten hatte. Diese Seiten mochten vielleicht verschieden stark ausgeprägt sein, doch ein gewisses Maß an etwa Neid und Habgier trug doch jeder in sich, so banal das auch klang.

Aber ich hatte mehr dieser verdorbenen Seiten in mir, als mir lieb war, und ich fühlte mich unter der Beobachtung des Fremden entblößt wie auf einem Präsentierteller. Denn er blickte nicht auf mein Äußeres, auf mein Leben, auf meine Geschichte, auf die Situationen, die mich geprägt hatten. Er blickte nur auf mein gegenwärtiges Ich und ließ sich von keinem noch so schönen Erscheinungsbild täuschen.

House of Crescent Moon: ErwachtWhere stories live. Discover now