Kapitel 6 : Alle Sünden neigen dazu, süchtig zu machen

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Alle Sünden neigen dazu, süchtig zu machen, und der Endpunkt einer Sucht ist die Verdammnis

- W. H. Auden





Schon immer war das Atelier mein heiligster Rückzugsort

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Schon immer war das Atelier mein heiligster Rückzugsort.

Egal, ob es Wut, Glück oder Trauer waren, die mich dazu brachten meine Emotionen auf die Leinwand zu bringen, es war immer das Atelier, in dem ich mich zu jeder Tageszeit wiederfand. Nirgendwo anders fühlte ich mich unbeobachtet genug, um mich fallen zu lassen, nirgendwo anders war ich dazu bereit, mich der Person zu stellen, die ich wirklich war. Die Person, die mit jedem Pinselstrich ein Stück ihrer Selbst verschenkte.

Nirgendwo anders ließ ich diese Verletzlichkeit zu, die mir die Tür zur Kreativität öffnete.

Nirgendwo anders war ich wirklich ich.

Als kleines Mädchen war ich ins Atelier meiner Mutter geschlichen, um mich hinter ihren Gemälden zu verstecken und heimlich auf die Rückseiten Fantasiewesen aus meinen Träumen zu malen. Als Teenager nutzte ich jede freie Minute, um das Chaos in meinem Kopf auf Papier, Keramik oder jede andere Oberfläche zu bringen, bevor es mich in den Wahnsinn trieb.

Und genau das tat ich bis heute: Dem nie endenden Strom der Gedanken in mir ein Ende bereiten.

Das Malen war meine Entspannung, meine Meditation, meine Religion.

Aber auch meine Droge.

Und nun war da ein Eindringling, mitten im Herzen meines Heiligtums und starrte ungeniert auf die Leinwand, die mitten im Raum an eine Staffelei gelehnt stand.

Auf meine Leinwand, die entschieden zu viel von mir preisgab.

„Das ist privat!", entfuhr es mir mit schriller Stimme, als mir innerhalb von Sekunden bewusst wurde, wie intim das Bild wirklich war. Panisch stürmte ich an dem verdammten Fremden vorbei und riss es so heftig an mich, dass die Staffelei gefährlich zu schwanken begann. „Und wie zur Hölle bist du hier reingekommen?", fauchte ich angriffslustig.

Erst dann machte es in meinem Hirn klick und mein Verstand erfasste das volle Ausmaß der Situation. Das blanke Entsetzen ließ meine Knie weich werden. Dass mir peinlich war, wenn jemand ungefragt meine Bilder ansah, war sekundär; ich war alleine mit einem Typen, der mich seit gestern zu verfolgen schien, weit entfernt von jeder anderen Menschenseele. In einem Raum, der eigentlich von innen verschlossen gewesen ist.

Gott im Himmel, niemand würde meine Schreie hören können. Vielleicht blieb mir noch Zeit für ein letztes Gebet, falls mich irgendwer dort oben überhaupt erhören würde.

„Hatte ich Euch nicht bereits aufgeklärt", seufzte der Fremde beinahe resigniert und tippte mit seinen langen, tätowierten Fingern gegen Holz der nun leeren Staffelei, „dass Euch Gebete nicht helfen werden? Gott ist lediglich eine menschliche Illusion."

House of Crescent Moon: ErwachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt