62. Kapitel

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- Weylyn -

Es hatte Stunden gedauert, bis Ace gelernt hatte das Wirrwarr aus verschiedensten Eindrücken und Reizen weitestgehend zu sortieren. Ich hatte gewusst, dass es ihm nicht immer leicht viel mit sich selbst fertig zu werden und nun hatte ich ihm auch noch eine zusätzliche Bürde aufgeladen.
Auch für mich war es im ersten Moment eine Herausforderung gewesen dem Ganzen gerecht zu werden, doch da ich mit mir selbst im Reinen war, fiel es mir deutlich leichter mit der zusätzlichen Hürde umzugehen. Natürlich lief auch bei mir noch nicht alles hundertprozentig, aber derart heftig wie bei meinem Mate war, es eben nicht einmal angeschlagen.
Das, was von Ace zu mir herüber geschwappt war, hatte mich anderweitig schwer getroffen. Es half mir sicherlich ihn zu verstehen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich all jenes hatte überhaupt wissen wollen.
Sachte strich ich die Konturen des anderen nach, der sich gerade lediglich auf meine Berührungen konzentrierte. Er hielt die Augen nach wie vor lieber geschlossen, als sich selbst mit dem trüben Bild zu konfrontieren, dass er nach wie vor, vor den Augen hatte.
Ace hatte nicht wirklich gelernt mit seinen Problemen umzugehen und verschloss auch jetzt lieber wieder die Augen.

„Spürst du das?", hauchte ich ihm sanft einen Kuss auf den Hals, er nickte, also fuhr ich fort. „Und das?", hauchte ich ihm einen Kuss auf die Brust, wieder ein Nicken. „Möchtest du mich ansehen?", wollte ich wissen und er schüttelte den Kopf. Ich würde nicht lockerlassen, bis er es schließlich tat.
„Was ist mit Jace? Möchtest du ihn sehen?", versuchte ich es weiter und tatsächlich flatterten seine Lieder. Sein Blick war nicht wirklich zielgerichtet und seine Pupille war nach wie vor sehr weit. „Ich hole ihn kurz!", versprach ich und kehrte kurz darauf mit unserm Sohn zurück, der sich zuletzt nicht selten in Obhut meiner Eltern befunden hatte. Meine Mutter liebte ihn und hätte sicherlich auch nichts dagegen, wenn bald noch jemand nachkam, aber damit sollten wir uns lieber Zeit lassen.

Vorsichtig setzte ich dem Alpha das Baby auf die Brust. Sein Blick fiel auf Jace, aber er schien auch ihn nicht wirklich klar zu fokussieren. Sachte griff ich nach seiner Hand und führte sie an den Kopf des Kleinen, dessen anfänglich helles Haar allmählich bereits dunkler nachzuwachsen begann. Jace schien sich in der Gegenwart seines Vaters deutlich wohler zu fühlen, als ich zunächst befürchtet hatte und Ace wiederrum wirkte in seiner Gegenwart bedeutend ruhiger.
Vielleicht war es Instinkt, dass er mit einem so zerbrechlichen Geschöpf auch vorsichtig umging. Ich hatte wirklich ganz andere Befürchtungen gehabt und nun lagen wir alle drei dicht beieinander, während er unserem Sohn über das kleine Köpfchen strich.
Die Augen des Kleinen leuchteten noch in strahlendem blau, genauso strahlend sah er auch seinen Vater an.
„Welche Farbe trägt er?", wollte ich nach einer Weile von Ace wissen. Die Frage war nicht ganz fair, schließlich hatte Ace nicht selten Probleme Farben zu sehen, wie ich inzwischen bemerkt hatte. In voller Transformation erkannte auch ich nicht jene Farben, die das menschliche Auge, auf Grund des zusätzlichen Farbrezeptors sah, aber auch in dieser Hinsicht war der andere wohl näher am Tier.
Ace antwortete zunächst gar nicht und brachte dann mit: „Gelb?", auch nicht die Antwort, die ich mir vielleicht gewünscht hätte. „Es ist grün!", klärte ich ihn auf: „Nicht schlimm!" Ace Pupille zuckte, doch es kam nicht wirklich etwas dabei rum.
„Was habe ich an?", fuhr ich weiter fort. Wenn ich es richtig einschätzte, schwebte meinem Mate gerade eine Farbpalette von verschiedensten grau bis blau Tönen vor. „Blau!", hatte er offenbar tatsächlich entschieden. „Nicht ganz, es ist eher Flieder. Das geht in Richtung Lila, eine Mischung aus Rot und Blau!", klärte ich ihn auf. Selbst wenn Ace die Farbe meines Shirts tatsächlich erkannt hätte, hätte er sicherlich nicht gewusst, als was man sie bezeichnete.

„Willst du deinem Vater mal zeigen wie viele Finger du hast?", wand ich mich nun wieder an unseren Sohn und bedachte mich einer neuen Taktik. Jace verstand längst nicht alles, was um ihn herum geschah, freute sich jedoch steht, wenn er angesprochen wurde.
Als ich seinen kleinen Arm hielt, streckte er Ace stolz seine kleine Hand entgegen.
„Das sind fünf Finger! Siehst du sie?", meinte ich zunächst an beide, letzteres eher an meinen Mate gewandt. Die Stirn des Alphas legte sich in Falten, ehe er nickte. „Und wie viele sind es jetzt?", wollte ich wissen und knickte vorsichtig drei der Finger weg. „Drei?", war sich Ace zurecht nicht ganz sicher. „Es sind zwei!", ließ ich ihn wissen, aber damit war er ja immerhin schon mal nah dran.
Zu Jace Belustigung spielten wir das Spiel noch eine ganze Weile und tatsächlich wurde es zum Ende hin auch besser. Die ganze Konzentration hatte den Alpha allerdings so geschafft, dass er irgendwann auch einfach wieder abschaltete und mir zu verstehen gab, dass er genug für heute hatte.

Am nächsten Morgen sah es noch nicht viel besser aus, aber immerhin waren Ace Augen nun ausgeruht und es gelang ihm Umrisse wieder klarer zu erkennen. Wirklich fokussiert sah er noch nichts, aber das Jace Puzzle mit den sechs großen bunten Stücken, bekam er schnell gelöst, ohne herumprobieren zu müssen.
„Welche Farbe hat die Sonne?", wollte ich nun von ihm wissen. Das Puzzle hatte viele bunte Bestandteile und kam mir so gerade recht. „Ernsthaft?", wollte der andere wissen: „Gelb!" „Sehr gut und das Viereck hier?", ich tippte auf das rote Viereck. „Auch gelb!", entschied sich Ace schnell, nach einem kurzen Kopfschütteln fuhr ich weiter fort. „Und das Dreieck?", deutete ich auf dieses, wieder legte sich Ace Stirn in Falten. „Auch gelb?", das Dreieck war definitiv grün und nachdem ich Ace ein weiteres Mal enttäuschen musste, hatte er von diesem Spiel definitiv genug.
Ich entschied, dass ich, während ich Jace das Sprechen beibrachte, meinem Mate wohl auch gleich Farben beibringen konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ihm nicht irgendwie gelang auch den letzten Farbrezeptor abzurufen, der dem Wolf in ihm zwar fehlte, nicht aber unserer menschlichen Seite.

Territory [manxboy]Where stories live. Discover now