Seitdem Torcaan vor einigen Tagen nach Granitfurt zurückgekehrt war, hatte Cyriana ungeduldig auf die Rückkehr Zurolons gewartet.
Um sich die Zeit zu vertreiben nahm sie sich Danares Buch vor und las es aufmerksam. Es musste außergewöhnlich alt sein, denn keine der genannten Personen kam ihr in irgendeiner Weise bekannt vor.
Durchaus denkbar, dass das Buch frei erfunden war. Allerdings sprach dagegen, dass die junge Hexe den gezeichneten Dämon gesehen haben wollte.
Jedenfalls fand sie keinen Hinweis auf die ungewöhnlichen Kräfte Danares. Als sie alle Seiten aufmerksam durchstöbert hatte, wusste sie zwar, wie sich der Schreiber vorgestellt hatte, Dämonen zu erkennen und diese auszutreiben, aber nichts Neues über Hexen. Dabei sollte doch das Werk gerade hierüber etwas erzählen.
Sie warf das Buch achtlos auf den Tisch und stand auf. Sie hatte selbst einige wenige alte Folianten gesammelt. Diese handelten zwar in erster Linie davon, Heiltränke und Salben aus diversen Kräutern anzurühren, aber, soviel sie sich erinnerte, fanden sich auch einige wenige Passagen über Hexentränke.
Vielleicht wurde sie ja hier fündig? Nur Minuten später türmte sich ein Stapel vergilbter Werke auf dem Tisch. Akribisch las Cyriana jeden Band einzeln durch, fand aber nichts. Enttäuscht lehnte sie sich zurück und griff geistesabwesend nach dem Buch, welches Danare ihr gegeben hatte.
Moment. Hier stimmte etwas nicht. Verwirrt hielt sie inne. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, was sie gestört hatte, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie nahm das dickste ihrer eigenen Bücher in die linke Hand und Danares dünnes Werk in die Rechte. Der Schmöker mit dem köchelnden Dämon war erstaunlicherweise etwa genauso schwer.
Andächtig legte Cyriana beide Folianten vor sich ab und musterte sie gedankenverloren. Das Dämonenbuch der Enkelin Madicas hätte viel leichter sein müssen, da es sowohl ein geringeres Format hatte, wie auch deutlich weniger Seiten. Der Umschlag war bei beiden Büchern etwa genauso dick. Sofern also keine Bleiplatten im Buchdeckel eingearbeitet waren welche den Gewichtsunterschied begründeten, blieb nur noch ein Zauber auf Danares Machwerk als Erklärungsversuch. Der wahre Inhalt des Buchs lag im Verborgenen.
Cyriana legte ihre Hand auf den Einband und suchte mit ihren Hexenkräften nach versteckter Magie. Tatsächlich. Sie fand einen kaum wahrnehmbaren, aber dafür umso kunstvoller verwobenen Fluch. Wer auch immer hier wirkte, verstand sein Handwerk.
Einen Moment zögerte sie. Was würde sie entdecken? Eine Abhandlung über eine Dämonenbeschwörung, welche sich mit einem Fluchzauber schützte, war vieles, aber ganz gewiss nicht harmlos.
Sie hatte selbst schon in einer fernen Vergangenheit Bücher mit Flüchen versehen und an die Archivare der Ordensburgen geschickt. Etliche der damaligen Wissenswahrer waren unter schrecklichen Qualen gestorben. Sie war nicht stolz darauf.
Aber sie hatte es Danare versprochen und würde jetzt nicht weichen. Wenn nicht sie, wer sonst war in der Lage sich dieser Gefahr auszusetzen?
Sie vertiefte sich in das Werk, zerriss den Schleier, den der Fluch gewoben hatte. Ihr Geist durchdrang das arkane Siegel.
„Wer seid ihr?", begrüßte sie eine sonore Stimme.„Ich nenne mich Cyriana."„Seid ihr eine Hexe?"
Die Druidin zögerte kurz. Die Stimme klang wissbegierig und war voller Vorfreude. Sie wagte es, die Unterhaltung fortzusetzen.
„Ja."„Dann seid ihr willkommen. Werdet ihr mich beschwören?"„Sollte ich das tun?"„Warum nicht?"„Wer seid ihr?"„Ich bin Megaruthos, der Wandelbare."„Ihr seid ein Dämon, Megaruthos."„Ihr habt Recht Cyriana, die ihr eine Hexe seid."„Ich beschwöre keine Dämonen. Ich bin kein Nekromant."„Das ist sehr schade. Ich könnte soviel Unheil anrichten."„Ein Grund mehr, euch dort zu belassen, wo ihr jetzt seid."„Aber ihr seid doch auch hier."
Cyriana zögerte. Im Umgang mit Dämonen war sie leidlich erfahren. Früher hatte sie oftmals mit diesen Kreaturen zu tun gehabt. Diese Wesen aus dem Dunkeln lebten in einer eigenen Welt, gierten sehnsüchtig danach, diese zu verlassen. Hexen vermochten ihren Geist zu beschwören und an Dinge oder sogar Menschen zu heften. Aber um einen Dämon leibhaftig wiedererstehen zu lassen, benötigte man einen mächtigen Nekromanten.
Die Erinnerung an Raden-Surs Sonnenscheibe kehrte zurück. Damals hatte Cyriana einen namenlosen Dämon mit dem Artefakt verbunden, um Diebe zu bestrafen. Berührte der Spitzbube das Relikt, so sprang der dunkle Geist über und fraß sich in dessen Seele fest. Bedurfte die Bindung bereits einer erfahrenen Hexe, so war das Vertreiben des Dämons ungemein schwerer.
„Ich sehe, ihr habt schon mit unsereins zu tun gehabt."
Cyriana schirmte ihre Gedanken ab. Es war gefährlich, sich diesen dunklen Kreaturen zu öffnen. Kaum ein Weg führte schneller zum eigenen Verderben, wie ein unbedachter Handel mit einem Dämon.
„Was ist eure Aufgabe, Megaruthos?"„Ich bin der Schreiber des Buchs."„Ihr seid ein Schreiber?"„Ja, ich handle mit Geschichten."„Was bedeutet dies, Megaruthos?"„Nun, ihr erzählt mir etwas aus eurem Leben. Aber es muss eine bedeutende Geschichte sein. Ich entscheide dann, wie ich diese Erzählung belohne."„Wie könnt ihr denn eine Geschichte honrieren?"„Mit einem Rätsel, werte Hexe."
Cyriana war verwundert. Dieser Dämon war anders als alles, was ihr bisher begegnet war. Aber dennoch war sie auf der Hut. Kein Geschöpf konnte seine eigene Natur verleugnen. Insbesondere nicht eine Kreatur der Nacht.
„Ein Rätsel? Ihr erhaltet eine Geschichte und ich bekomme ... nichts?"„Ich bin ein Dämon, werte Hexe, ein Handel ist nicht fair."„Was nützt mir ein Rätsel?"„Antworten sind Türen in die Zukunft. Rätsel die Schlüssel."
Nun war Cyrianas Neugier geweckt. Sie hoffte darauf, keinen Fehler zu begehen, wenn sie sich auf Megaruthos einließ. Als Druidin standen ihr die arkanen Künste des Lebens zur Verfügung. Mochte eine Hexe mit Dämonen handeln können, eine Druidin konnte sich ihrer erwehren.
„Gut ich will mein Glück versuchen."„Das erfreut mein Herz, Hexe."„Dämonen haben kein Herz."„Ihr seid pingelig."„Ich erzähle euch, wie ich zur Hexe geworden bin."„Das klingt leidlich unspannend. Habt ihr einen Kometen am Himmel gesehen und wurdet zur Feuerhexe?"„Ich bin eine Bluthexe."„Erzählt."
Cyriana legte dem Dämon dar, wie Halikarnosa die Dorfbewohner gegen ihre Eltern aufbrachte, wie sie getötet wurden. Ihr Bericht endete damit, dass sie mit ihrer Schwester in den Wald lief und in die Fänge der Göttin geriet, die ihnen die Moderbeere zum Essen gab. Erst dadurch kamen ihre latenten Hexenkräfte zur vollen Entfaltung.
„Das ist alles, Hexe? Nicht sonderlich spannend."„Nun. Die Geschichte geht auch noch weiter."„Dann erzählt."„Wo ist mein Rätsel?"„Wo ist meine Geschichte?"
Der Dämon würde sich nicht mit Episoden abspeisen lassen. Der Druidin wurde bewusst, dass sie mehr bieten musste. Sie erzählte vom Hexenkrieg, von Gorald, vom Blutritus und endete mit ihrer Flucht aus dem Hexenwald.
„Soviele Tote. Eine gute Geschichte, Bluthexe."„Habe ich das Rätsel verdient?"„Ich spüre da noch viele Geschichten in euch."„Ich gab euch die Erzählung und fordere den Handel, Megaruthos."
Der Dämon schwieg. Cyriana spürte, wie das Buch in ihrer Hand schwerer und schwerer wurde. Es schien Seite um Seite zu wachsen.
„Hier mein Rätsel, Hexe."„Auf was bezieht es sich?"„Das bleibt rätselhaft."„Sprecht."„Tief im dunklen Schein ihr Wahheit findet klar und rein."„Das ist alles?"„Das ist alles!"„Schade, ich hatte noch so viele Geschichten."„Dann erzählt."„Mein Interesse ist erloschen, Megaruthos."
Der Dämon zögerte.
„Bucklig ist die Straße, im Glanze die Oase."„Das war schön und hilft mir, Megharutos."„Ihr macht euch über mich lustig." „Keineswegs. Aber sei es drum. Ich hätte eine weitere Geschichte für euch."„Ist sie so gut wie die andere?"„Besser. Sie erzählt von einer neuen Bluthexe, die das Blutritual fast vollendet hätte."„Das erweckt mein Interesse."„Sehr schön."
Cyriana schwieg, wartete ab. Nach einigen Minuten regte sich der Dämon.
„Wo ist meine Geschichte?"„Euer Rätsel war so karg, wie ein Mahl Obdachloser."„Ihr wollt mehr Rätsel?"„Ich will einen Teil des Rätsels jetzt und einen deutlichen Hinweis nach meiner Geschichte."„Das klingt nach einem fairen Handel, Hexe."„Ja."„Dann muss ich ablehnen."„Schade, Megaruthos. Ich verabschiede mich nun."„Haltet ein."
Die Druidin hielt inne und wartete, ob der Dämon über seinen Schatten sprang. Allerdings war sie sich sicher, dass er ihr das heimzahlen würde. Kreaturen der Nacht waren nachtragend.
„Euer Ziel wird zur Qual, dennoch habt ihr eine Wahl."
Das war kryptisch, doch sie hatte nichts anderes erwartet.
„So hört zu, Dämon. Ich erzähle euch jetzt meine Geschichte weiter."
Im Folgenden erzählte sie die letztjährigen Vorfälle um Yenraven und Halikarnosa. Sie endete mit dem Tod der neuen Bluthexe und der Zerstörung des Hexensteins.
„Ihr habt gute Geschichten, Hexe. So viel Leid. Ich bin erfreut."„Mein Rätsel, Dämon."„Ich gab euch schon eine Zeile."„Ich fordere mehr, Megaruthos, der ihr euch der Wandelbare nennt."„Rätsel können leidvoll sein."„Das ist das Leben immer. Meines ohnehin."
Cyriana erschauerte. Mit dem Leid anderer hatte sie ihre Erfahrungen bereits gemacht. Vergangenes durfte sich nicht wiederholen.
„Ulmenstein muss euer Los sein, eure Freundin bleibt allein."„Das ist ein sehr deutliches Rätsel."„Ohh, ich habe noch mehr."
Gedankenverloren kratzte sich Cyriana am Kopf. Sie war unschlüssig, ob sie mehr hören wollte. Der Tonfall des Dämons missfiel ihr. Sie gab sich einen Ruck.
„Sprich, Megaruthos."„Nachdem ihr einen fairen Handel wolltet, werde ich offen zu euch sein."„Dann sprecht endlich."
Die Kreatur ließ sich Zeit. Sie genoss es, sie leiden zu sehen.
„Wenn Granitfurt soll überleben, wird erlöschen Araticas Leben."
Cyriana erstarrte. Der Schrecken saß tief in ihr. Sie schluckte.
„Wie kann ich das verhindern."„Die Zukunft verhindern?"„Gibt es einen Weg, Granitfurt und Aratica zu retten, Dämon?"„Gibt es noch eine weitere Geschichte, die ihr erzählen wollt?"„In der Tat."„Dann erzählt."„Ihr seid mir noch eine Antwort schuldig."„Ob ihr eure Ziehtochter retten könnt und gleichsam alle Menschen in Granitfurt?"„Ja"„Wenn die Geschichte gut ist, Hexe, werde ich mich anstrengen, eine Lösung zu finden."„Ihr bietet wenig, Megaruthos."„Ich biete viel mehr, als ich müsste, Hexe. Ich tue das, weil ihr so interessant seid."
Widerwillig erzählte Cyriana von den Nocturnen und den Nebelsirenen, von dem Portal in Leishas Welt und den Büchern des Liberatus. Als sie endete, schwiegen sie und der Dämon lange.
„Auch diese Geschichte hat mir gefallen, Hexe."„Dann erbitte ich die Antwort auf meine Frage."„Nein."„Nein? Ihr wollt mir keine Antwort geben?"„Nein, es gibt keine Rettung für beides."
Cyriana erschrak bis ins Mark. Megaruthos hatte sie betrogen. Aber sie gab nicht auf.
„Ich glaube euch nicht. Sogar für einen Dämon wäre dies ein schäbiger Handel. Ihr hättet nicht eingeschlagen, wenn mein Ansinnen unerfüllbar gewesen wäre."„Für uns ist nichts schäbig genug, Hexe."„Ein Handel ohne Gegenwert ist kein Handel."„Ihr wolltet eine Antwort, Hexe, und habt sie bekommen. Das war der Deal."„Der Handel war, mir eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie ich beides retten kann. Ihr wolltet euch anstrengen. Habt ihr das getan?"
Der Dämon schwieg ... lange. Cyriana spürte förmlich, dass da etwas war. Ein Weg ...
„Es tut mir Leid Hexe... ihr werdet euch für Granitfurt entscheiden und Aratica wird den Tod erleiden ... Aber ich gebe euch gerne noch einige Reime ... zur Klarstellung ... der Problematik."„Sprecht, Dämon."„Ihr habt zur Rettung keine Zeit,denn ihr seid entfernt zu weit, Dennoch eilt, seid nicht mürbe,denn Aratica bleibt nur die Würde."
Zum ersten Mal lachte der Dämon. Es war ein gehässiges Gelächter, das in der Seele schmerzte. Voller Wut klappte die Druidin das Buch zu.
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Magmageister - Die Legende der Bluthexe (Band 3)
FantasyBand 3: Nachdem die Nocturnen die Königsfamilie ausgelöscht haben, besteigt ein neuer Herrscher den Thron und ein wohlbekannter Abgesandter aus Dryadengrün trifft auf der Kaiserfeste ein. Zeitgleich breitet sich ein obskurer Kult mit mysteriösen Rit...