Widerstand regt sich

13 4 0
                                    

„Nur leere Worte."

Die Stimme der jungen Frau klang zornig und verzweifelt zugleich. Danare, die neben ihr saß, legte ihr die Hand auf den Unterarm und drückte ihn.

„Wir dürfen nicht übereilt vorgehen, Schwester. Jeder Schritt muss wohl überlegt sein."Die anderen Frauen in dem kleinen Nebenzimmer der Graumühle zeigten gemischte Reaktionen.„An unserer Situation hat sich nichts geändert. Früher wurden wir zwar vom Orden verfolgt, blieben aber unerkannt und daher hat man uns in Ruhe gelassen", warf eine etwas ältere Hexe ein, in deren Haaren sich schon die ersten grauen Strähnen zeigten.

„Jetzt, da wir vor Verfolgung sicher sind, werden wir für jegliche Krankheiten und Missernten verantwortlich gemacht", meldete sich eine kleine, untersetzte Frau am Ende des Tischs. „Cyriana hat unser Leben nicht besser gemacht, sondern es nur verschlimmert."

Danare schüttelte den Kopf und wandte sich der korpulenten Hexe zu. „Nein Carissa, ohne Cyriana müssten wir weiterhin um unser Leben fürchten."

„Daran hat sich nichts geändert", meldete sich eine hochgewachsene Frau mittleren Alters, die deutlich besser als die anderen Anwesenden gekleidet war. Im Gegensatz zu diesen war sie eine Dame aus dem niederen Adel, die ihre Natur jedoch weiterhin vor den Bewohnern Granitfurts verborgen hielt.

Die Freifrau sah in die Runde. „Ich weiß von einem Knecht, dass der Wolfsstecher die Traumhexe lieber umbringen wird, als sie freizugeben. Der Besuch Cyrianas auf dem Hof hat ihre Lage nur verschlechtert."

Danare schluckte. Sie gab sowohl der älteren Frau, als auch Carissa Recht. Die Situation ihresgleichen in Granitfurt gestaltete sich weiterhin schwierig. Von Cyriana, der Retterin vor den Nachtschrecken, Bezwingerin der Yenraven mal abgesehen, behandelten die Bewohner des goldenen Reichs die Hexen auch jetzt noch wie Abschaum. Und seltsamerweise bemerkte die Druidin gar nicht, mit welcher Ehrfurcht man ihr hier begegnete. Sie sah überall böse Blicke.

„Vielleicht sollten wir wieder aufbegehren", schlug eine weitere Hexe in der Runde vor. Carissa nickte und erhob sich ruckartig. „Mit Cyriana an der Spitze könnten wir sie alle hinwegfegen", behauptete sie leise flüsternd, um somit ihren Worten den notwendigen Nachdruck zu verleihen.„Ein neuer Hexenkrieg? Ihr seid verrückt, Schwestern. Cyriana hat der Gewalt abgeschworen ... und das kann auch nicht unser Weg sein", versuchte Danare die Gemüter zu beschwichtigen.

Eine der Hexen, die bisher geschwiegen hatte, legte ihre Hand auf den Tisch. Mit Erschrecken sah Danare, dass drei Fingerglieder fehlten.

„Der Erste wurde mir abgeschnitten, als das Kalb in der Nacht der Geburt starb. Der Zweite folgte, als die Scheune nächtens brannte. Der dritte Finger..."

„Hört auf, Schwester." Danare hielt sich die Ohren zu. „Ich kenne diese Geschichten alle schon. Wir verbessern unsere Situation aber nicht, wenn wir aufbegehren. Das bringt doch nur den Orden wieder ins Spiel."

„Die Bluthexe wird den Orden zermalmen", entfuhr es der kleinen Carissa. Ihre hellbraunen Augen blitzten verärgert. „Sie hat schon einmal einen Hexenkrieg begonnen. Sie wird sich wieder für uns einsetzen."

„Sie wird nichts dergleichen tun, Schwestern. Ich habe mich im Archiv mit der Geschichte der Hexenkriege beschäftigt. Da gab es keinen Gewinner, nur Tod und Leid."

Kaum eine der Anwesenden war überzeugt. Danare erinnerte sich daran, dass die hochgewachsene Adelige einst eine Schwester gehabt hatte, bei der die Hexenkräfte schon in jungen Jahren aufgetreten waren. Die Familie hatte sie fortgebracht. Niemand wusste wohin, doch keiner glaubte daran, dass sie am Leben war. Seither warf ihre Verwandtschaft stets ein wachsames Auge auf die ältere Frau mit den asketischen Gesichtszügen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Hexenkräfte bekannt wurden und dann ... war es unklar, wie ihre Familie damit umging. Danare begriff, dass die Freifrau Angst um ihr Leben hatte.„Was sollen wir deiner Meinung nach tun, Danare?", wandte sich eine der ruhigeren Hexen an die junge Frau.

„Wir sollten noch etwas abwarten. Unser Bürgermeister hat versprochen, sich für die Traumhexe auf dem Hof des Wolfstechers einzusetzen. Warten wir doch mal ab, bis..."

Die Tür wurde aufgerissen und eine beleibte Küchenmagd stürmte herein. Sie hatte vor der Tür darauf aufgepasst, dass sie nicht belauscht werden konnten. Doch nun wirkte sie verängstigt.„Ein Gast kam gerade in die Herberge. Er sagte, der Wolfsstecher sei mit einer leblosen Frau auf seinem Karren in den Ort gekommen."

Sofort stoben die Anwesenden auf und davon. Die Adelige warf Danare einen fragenden Blick zu. Die junge Frau nickte ihr zu. Sie würde klären, was passiert war. Ein banges Gefühl machte sich in ihr breit.

„Ich komme mit", beschied ihr Carissa. Sie beide waren als Hexen im Ort bekannt und gingen kein Risiko ein, enttarnt zu werden. Aber viele der anderen Frauen wagten es nicht, sich in ihrer Nähe zu zeigen.

Der Wirt der Graumühle öffnete einige Hintertüren. Er war mit einer Hexe verheiratet und deckte sie. Die Versammlung löste sich prompt auf.

Sie folgten der Küchenmagd ins Freie, die dort in Richtung Archiv deutete. „Er ist vor das Ratshaus gezogen. Dort werdet ihr ihn finden." Sie wandte sich ab und verschwand in der Dunkelheit einer nahegelegenen Gasse.

Zusammen mit Carissa eilten sie die Straße hinab. Unterwegs schlossen sich ihnen immer mehr Bewohner Granitfurts an. Die Ankunft des Wolfsstechers hatte für Aufsehen gesorgt.Direkt vor dem Amtssitz Torcaans sahen sie dann den Karren des Bauern. Der wohlhabende Hofherr stand auf dem Kutschbock und schrie die Umstehenden an.

„Diese verfluchte Hexe hat Gruben in die Unterwelt geöffnet, in die mein Vieh hineingezogen wurde."

Eine Menschentraube umschloss den Karren, so dass Danare und Carissa nicht sehen konnten, ob darin jemand lag. Aber sie hörten, wie eine der Marktfrauen weiter vorne zu weinen begann. „Sie war doch noch so jung."

Torcaan stürmte aus dem Rathaus, das er mittlerweile auch bezogen hatte. So wie er aussah, hatte er bereits geschlafen und sich etwas überstürzt wieder angezogen. „Sie ist es, er hat deine Freundin erschlagen." Carissa hatte wohl einen Blick in den Karren geworfen, denn sie war leichenblass.

„Verstreut euch", schrie Torcaan derweil laut, doch kaum einer folgte seiner Anweisung. Sie hingen allesamt gebannt an den Lippen des Wolfsstechers, der sich jetzt dem Bürgermeister zuwandte.

„Und ihr steckt auch mit diesem Hexengesindel unter einer Decke."

Torcaan kniff seine Augen zusammen. Tatsächlich hatte ihn Danare noch nie so entschlossen und abgebrüht gesehen. In ihm erwachte der frühere Söldner. Auch der Wolfsstecher merkte, wie sich etwas in dem Amtsträger veränderte. Sein stechender Blick verfolgte jede Bewegung des Bürgermeisters.

„Was ist geschehen?"

„Na was wohl. Diese hintertriebene Hexe hat fünf rießige Löcher in meine Weide gebrannt. Das sind kleine Seen voller kochender Magma ... und all mein Vieh ist darin zugrunde gegangen." Torcaan umrundete den Karren und blieb wie angewurzelt stehen, als er sah, wer dort lag. „Ihr habt sie getötet."

„Nein, ich habe sie ihrer gerechten Strafe zugeführt. Mit Hexen macht man das eben so. Am Schluss hat sie gewinselt und alles zugegeben."

Danare merkte, wie sich die Menschen in ihrer Nähe von ihr zurückzogen. Auch Carissa schluckte nun und sah sich nervös um. Die Stimmung kippte.

„Ihr seid ein Narr. Habt ihr gesehen, wie eure Magd das bewirkt hat."„Natürlich ..."„Ihr lügt."

Der Blick des Wolfsstechers streifte umher und blieb auf Danare hängen.

„Dort steht ihre Komplizin." Er streckte seinen Finger anklagend auf die junge Magd, die in der nächsten Sekunde vollkommen allein stand. Alle anderen Menschen waren panikerfüllt zur Seite gewichen.

„Tötet sie, bevor sie eure Kinder verbrennt", brach es zornig aus dem Bauern hervor. Doch noch ehe sich jemand aus der Menschengruppe rühren konnte, zog Torcaan sein Schwert, zog sich auf den Kutschbock und legte es an die Kehle des Wolfsstechers.

„Ihr seid verhaftet wegen Mordes." Der Blick des Bürgermeisters fiel auf einige Stadtwachen, die nun ebenfalls herbeiliefen. Sie drängten sich in die Menge und trieben sie auseinander.„Was fällt euch ein? Ihr steht unter dem Bann dieses Packs."

„Wenn auf euren Feldern Gruben mit Lava entstanden sind, dann kenne ich die Urheber bereits ... und es sind nicht die Hexen."

Die Menge verhielt unschlüssig. Natürlich. Hexen waren als Schuldige schnell ausgemacht, doch Torcaan hatte es verstanden, mit seinen entschlossenen Worten Zweifel zu säen.„Geht in das Ratshaus, Danare. Rasch."

Gerade als sich die junge Frau in Bewegung setzte, spürte sie, wie ihre Kräfte erwachten. Der Boden zu ihren Füßen verschwamm, wurde durchscheinend. Seltsame, schattengleiche Gestalten jagten unter der Straße stadtauswärts.

Sie schwankte und musste von Carissa gestützt werden.

Ein Magmafluss bildete sich, floss träge unterhalb des Erdreichs. Fratzen schälten sich aus der Glut und lösten sich wenig später wieder auf.

„Wir müssen von hier fort", schrie sie und stolperte rückwärts.

Vor ihr brach der Boden auseinander und feurige Fontänen spritzten in den Abendhimmel.

Magmageister - Die Legende der Bluthexe (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt