„Aua", schrie die Druidin und ruckte hoch. Mit einer fließenden Bewegung entfernte sich Dunkelgreif aus ihrer Nähe.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt sich die Kräuterkundige die Seite.Favulkos beugte sich über sie und half ihr, aufzustehen. „Es tut mir leid, Cyriana, ich war zu langsam. Er hat euch einfach in die Rippen getreten."
Sie hielten sich in einem karg eingerichteten Raum auf. Durch das offenstehende Fenster wallte weißlicher Dunst herein.
„Du hast lange geschlafen und immer schlechter ausgesehen. Wir haben uns Sorgen gemacht", meldete sich Zurolon zu Wort. Die kleine Drachenschlange saß auf dem Fensterbord und blickte hinaus in den wogenden Nebel, der weiterhin ganz Ulmenstein umschloss.
Favulkos reichte ihr einen Wasserschlauch. „Trinkt. Ihr müsst durstig sein. Ihr ward über einen Tag bewusstlos."
Dankbar ergriff die Druidin den Schlauch und nahm beherzt einige Schlucke. „Ich kann mich nicht erinnern. Was ist geschehen?"
„Ihr seid gestern aus diesem schwarzen Schlund gestolpert und habt dabei diesen Stab, den ihr immer noch in eurer linken Hand haltet, dabeigehabt", berichtete Favulkos und Zurolon ergänzte „Wir wollten ihn dir wegnehmen, doch du hast nicht losgelassen, ihn fest umkrallt." „Er hat euch zuerst das Leben ausgesaugt, aber irgendwann dann damit aufgehört", erklärte Dunkelgreif.
Nun kam die Erinnerung zurück. Der Stab hatte sie nicht als Druidin akzeptiert und, schlimmer noch, sich geweigert aus dem Dämonenreich fortgebracht zu werden. Aber das war der Handel, den Cyriana abgeschlossen hatte. Der Erzdämon hatte ihr eine Waffe gegen die Sandkultisten versprochen, wenn sie ihm half, etwas aus seinem Reich fortzuschaffen.
Dieser mächtige Stab hatte ihn und seine Kreaturen der Nacht bedroht. Unfähig sich diesem druidischen Artefakt zu nähern, hatte er Cyrianas Hilfe benötigt.
Sie hatte die Dämonen aus der Klemme befreit, und eine Druidin, die sich einst geopfert hatte, um das Dämonenreich zu zerstören, war umsonst gestorben.Weil sie den Stab zurückgeholt hatte.
„Ihr seid aus dem Raum des Lebens herausgetorkelt und hattet das Druidae Baculum dabei. Wir danken euch, denn jetzt können wir wieder gesunden."
Ungläubig starrte die Kräuterkundige den Dämon an. „Danken? Ihr verspracht mir eine Waffe. Aber der Stab hat mich abgelehnt. Er schweigt."
„Wir haben unseren Teil des Handels erfüllt, Cyriana ... und ihr einen Teil des euren. Vergesst aber nicht, den Rest einzulösen, denn sonst sind wir zu drakonischen Maßnahmen gezwungen."„Ich habe nur diesen nutzlosen Gegenstand erbeutet, der mich lieber töten würde, als mir zu Diensten zu sein."
Dunkelgreif schwieg.
Die Druidin ging in sich. Hatte der Erzdämon das gewusst? Hatte er damit gerechnet, dass sich Baculum ihr verweigern würde, sobald sie ihn aus dem Dämonenreich schaffen würde? Hatte der Stab sie vielleicht gerade deshalb abgelehnt, weil sie einen Handel mit den Dämonen eingegangen war? Was plante der Erzdämon? Hatte er eine Gelegenheit gesehen, den Druidae Baculum aus seinem Reich zu entfernen und diese genutzt? Gewiss hatte er kein Interesse daran, dass sie mit dem Druidenstab Ulmenstein verließ. Was würde er unternehmen? Über all diese Fragen zermarterte sie sich den Kopf, kam aber zu keinem Ergebnis.
Dunkelgreifs Stimme riss sie aus ihren Überlegungen. „Es ist soweit, Cyriana. Ihr müsst nun Palthor aufhalten und Ogwinas Opferung verhindern."
Wieso hatte die Kräuterkundige nur das Gefühl, ein Spielball fremder Mächte zu sein? Sie war sich sicher, dass die Dämonen handfeste eigene Absichten verfolgten. Die Eile, zu der sie der Wächterdämon antrieb, wies darauf hin, dass sie den Dschinnmeister weiterhin aufhalten sollte. Demnach lag die Erfüllung des zweiten Teils ihres Handels immer noch im Interesse des Erzdämons. Weshalb?
Das Schicksal des goldenen Reichs hing am seidenen Faden. Palthors Plan musste scheitern ... aber gleichfalls auch der der finsteren Kreaturen.
„Und deshalb habt ihr mich getreten?"„Ja, denn die Zeit eilt."Cyriana blieb keine Wahl. Sie nahm den Holzstock in beide Hände und fixierte ihn mit ihrem Blick. Er sah so unscheinbar aus.
Stab, hilf mir. Was geht hier vor?
Schweigen. Es war nicht einmal so, als ob der Druidae Baculum nicht antworten würde. Nein, in der Stille lag eine eisige Verachtung.
„Wir müssen jetzt gehen, Cyriana." Dunkelgreif wandte sich ab und schwebte durch die Tür in den Gang hinaus. Die Druidin wankte ihm etwas wackelig nach. „Wartet."
Favulkos kam an ihre Seite und stützte sie, während Zurolon den Abschluss bildete. Sie verließen das Gebäude und folgten dem Dämon, der zwischen zwei Häusern in eine Gasse eintauchte.
Immerhin gab der Stab einen brauchbaren Wanderstock ab. Cyriana fühlte sich müde und erschlagen, keinesfalls in der Lage, sich mit einem Dschinnmeister und hunderten von Sandkultisten herumzuschlagen.
„Wird der Erzdämon mich mit seinen Dämonen unterstützen?", wollte sie von Dunkelgreif wissen, kaum dass sie zu ihm aufgeschlossen hatte.
„Nein. Zwar hat sein Bruder den Handel geschlossen, nichtsdestotrotz muss auch mein Herr ihn respektieren. Aber deshalb seid ja ihr hier ... um zu verhindern, dass der Dschinnmeister obsiegt."
Statt einer Antwort schnaubte Cyriana zornig.
Dunkelgreif glitt hinaus auf eine breite Straße. Sie folgten ihm und fanden sich inmitten dutzender Sandkultisten wieder, die in sich versunken alle in dieselbe Richtung strömten. Keiner nahm Notiz von der Kräuterkundigen und dem Ordensritter.
„ZercerusFadorusToktavianErigatosGonshasa.", murmelten sie in einer unheimlichen Eintracht und im Gleichklang.„Sie beachten uns nicht, weil auch wir Kutten tragen. Lassen wir uns von ihnen zum Ziel führen", schluf Favulkos vor, wich der Druidin weiterhin nicht von der Seite.„Erzählt mir alles", zischte Cyriana Dunkelgreif zu. Als dieser beharrlich schwieg, blieb sie stehen. „Nein. Ich gehe nicht weiter."Der Dämon verhielt unschlüssig. Unablässig schritten weitere Kuttenträger an ihm vorbei. „Ihr werdet die Tochter des Torfbauern nicht im Stich lassen. Ihr seid dazu nicht in der Lage, nicht einmal im Ansatz ..."„Ich habe vor 800 Jahren ganze Dörfer abgefackelt. Erzählt mir nicht, wozu ich fähig bin, Kreatur."
Die Sandkultisten um sie herum waren derart vertieft, dass sie weiterhin nicht auf Cyriana, Favulkos und dem Dämon achteten. Und schon gar nicht auf Zurolon, der geschickt zwischen den Beinen der Kultisten herumwuselte.
Dunkelgreif deutete die Straße hinunter. „Es wird gleich geschehen, und dann wird es zu spät sein."„Dann erklärt euch schneller, Kreatur."„Ogwina, zu deren Rettung ihr gekommen seid, wird sterben."„Mich beschleicht aber das ungute Gefühl, dass die Rettung nicht von Dauer sein könnte."„Eure Gefühle täuschen euch."„Lasst mich das entscheiden."
Dunkelgreif sah noch einmal in die Richtung in welche die Kultisten strömten, ehe er herumwirbelte und unter seiner Kapuze Cyriana wild anfunkelte.
„Es wird mir eine Freude sein, euch zu töten, Hexe."„Dann kommt her."Die Kreatur zögerte. Immer weniger Kultisten schritten, vertieft in ihren Ritualen an ihnen vorbei. Die Straße leerte sich. „Mein Herr gab euch sein Wort, euch und eure Begleiter unbehelligt ziehen zu lassen. Aber wagt es niemals wieder, hierherzukommen."„Ich warte, Dunkelgreif."„Nun gut. Der Magnus Palthor will einen Dämonendschinn erschaffen. Dazu braucht er einen geeigneten Wirt. Diesen hat er in Ogwina gefunden."„Das ist nichts Neues."„Ja, aber Garstons Tochter ist eine Gezeichnete. In ihren Adern fließt dämonisches Blut."Cyriana runzelte die Stirn. Die junge Torfbäuerin besaß Dämonenblut? Was hatte es damit auf sich? „Fahrt fort."„Aus einer Gezeichneten wird kein einfacher, sondern ein großer Dämonendschinn."„Was hat Palthor damit vor?"„In den südlichen Landen existiert eine Dschinnschmiede, die außer Rand und Band geraten ist. Von dort aus überfluten die Lavaströme die Welt. Mit dem Dämonendschinn erlangt Palthor die Kontrolle."
Ein eiskalter Schauer rann der Druidin über den Rücken. Verspielte sie mit der Rettung Ogwinas die Chance, das goldene Reich und die südlichen Lande vor den Magmaströmen zu schützen?War das die Absicht des Erzdämons? Half er ihr, damit die Welt unterging? Musste sie den Tod des jungen Mädchens als ein notwendiges Opfer akzeptieren? Sie schüttelte sich. Ihr kam ein Gedanke.
„Warum will euer Herr, dass ich Palthor aufhalte? Sicherlich nicht, um das goldene Reich und die südlichen Lande zu retten."Die dunkle Kreatur wand sich gereizt. Mittlerweile standen sie alleine auf der Straße. „Wir müssen jetzt los, sonst ist es zu spät."
„Ihr habt euch Recht lange Zeit gelassen, bis ihr mich geweckt habt, Dunkelgreif. Ich vermute gar, ihr wolltet dass ich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt Palthor gegenübertrete. Keinesfalls zu früh."
„Verfluchte Druidin. Wir mussten abwarten, bis Palthor die Auserwählten zu Dschinns gewandelt hat. Sie gehören gemäß dem Handel uns. Ein Eingreifen eurerseits war nicht gewünscht. Aber wenn Ogwina zum großen Dämonendschinn geweiht wird, ist sie auch die Herrin über diese. Sie wird sie uns entreißen."
Cyriana verstand. Die Weihe Ogwinas spielte Palthor in die Hände. Er würde die Dämonen um ihren Lohn berauben. Erneut fragte sich die Druidin, ob sie nicht die Tochter Garstons aufgeben musste. Ihr Opfer beendete die Gefahr durch die Lavaströme und entriss den finsteren Kreaturen die Dschinns.
Ganz automatisch lief sie los. Auch wenn es nur ein Leben war und sie damit viele andere aufs Spiel setzte, so würde sie es sich nie verzeihen, Ogwina ihrem Schicksal zu überlassen.„Seid ihr euch sicher?", hörte sie Favulkos Stimme. Der Ordensritter trabte neben ihr her.„Sind wir besser als Dämonen, wenn wir Leben einfach so verschachern?"„Ich habe ein ungutes Gefühl. Die Dämonen planen mit ihren Dschinns irgendetwas Furchtbares."
Die Kräuterkundige schwieg, gab dem Ordensritter aber Recht. „Wir müssen uns sputen, Cyriana. Die Gesänge haben geendet. Ich höre jemanden laut sprechen", zischte Zurolon.
Palthor! Die Druidin nahm ihre Kräfte zusammen und stolperte den Weg weiter. Sie hatten mit hunderten Kultisten gerechnet, doch waren es viel mehr. Sie lagen alle bäuchlings am Boden und hatten ihre Hände ehrerbietig in Richtung des großen Marktplatzes ausgestreckt. Dort waberte der Dunst rötlich.
Eine Stimme hallte aus dem Nebel.
„Erzdämon, mein Part des Handels ist erfüllt. Ihr habt die Dschinns erhalten. Nun vollziehen wir die letzte Weihe. Ich werde nun für die eine Auserwählte das Ritual durchführen. Ihr werdet mich dabei unterstützen und uns dann, gemäß der Vereinbarung alle ziehen lassen."„Der Handel gilt als erfüllt, wenn Ogwina, Garstons Tochter auf euch geweiht wurde", erklang eine uralte, krächzende Stimme. Die Kräuterkundige konnte den Sprecher nicht entdecken.Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Wenn sie Palthor aufhielt, dann war der Handel nicht vollendet und der Erzdämon war nicht an das Abkommen gebunden. Er würde dem Dschinnmeister und seinen Sandkultisten den freien Abzug verwehren.
„Wo ist er, ich kann ihn nicht sehen", raunte Cyriana dem Wächterdämon zu.„Er schwebt über dem Lavasee."
Die Druidin war überrascht. „Kann er denn fliegen, Kreatur? Warum spricht er seinen Zauber nicht vom Ufer aus?"
Dunkelgreif stieß einen seltsamen Laut aus, der spöttisch und verächtlich klang. „Die mächtigsten Erdelementare des Magmasees leben stets im Zentrum. Diesen versucht er nahe zu sein. Zwei geflügelte Dämonen halten ihn dort in der Luft."
Das war ausgesprochen mutig. Sie verspürte Hochachtung vor dem Dschinnmeister. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, um seine Heimat zu retten war steinig und gefährlich. Dennoch versuchte er, den Schaden in Grenzen zu halten. Indes, sie standen auf verschiedenen Seiten. „Wie tief ist der Lavasee?", wollte Favulkos wissen.
„Er reicht bis in die tiefsten Höllen hinab. Dadurch ist es auch ein eigenständiger Lavasee und ist kein Ausläufer zu jenem auf der Geisterperle", antwortete Dunkelgreif.Die Kreatur wandte sich Cyriana zu. „Ein Geflügelter wird Ogwina dort hinaufbringen." „Weiter."
An den liegenden Kultisten vorbeieilend, erreichten sie schließlich das Ufer des Magmasees, der den gesamten Marktplatz bedeckte. Die Hitze ließ die rötlichen Schwaden aufsteigen und erlaubte einen nahezu ungetrübten Blick auf die Szenerie. Über dem Zentrum des Sees gewahrte Cyriana eine Gestalt, die, getragen von zwei großen fledermausartigen Kreaturen, in der Luft hing.
„Favulkos, umrundet den Marktplatz. Stellt euch genau mir gegenüber auf und wartet ab."Der Ordensritter rannte los, sprang über die liegenden Jünger, die derart in ihren Riten vertieft waren, dass sie nichts mitbekamen. Zurolon sah Cyriana aus weit aufgerissenen Augen an. „Das ist Wahnsinn. Du wirst sie töten ... und dich auch."
Irgendwo am rechten Rand des Marktplatzes schraubte sich ein weiterer geflügelter Dämon in die Höhe. In seinen Krallen hielt er Ogwina gepackt.Stab? Hilfe ist gern gesehen!
Der Druidae Baculum blieb stumm. Er wirkte ohnehin nicht mehr so wie das strahlende Artefakt, welches Cyriana in den Kavernen des Dämonenschlunds gefunden hatte. Es strafte sie weiterhin mit Verachtung.
Palthor entrollte vor den Augen Ogwinas eine Pergamentrolle. „Lies laut vor, Ogwina."„Nein, ich will nicht."„Tu es und der Wahnsinn hier wird enden."Das junge Mädchen zögerte. „Wirklich?"„Natürlich.", erwiderte Palthor aalglatt.
Stockend las die Tochter Garstons die ersten Zeilen vor. „Unter den Augen der allmächtigen Dschinngötter fordere ich, die Leserin der heiligen Rolle, die gleißenden Fluten der Schmiede dazu auf, mein Blut zu binden..."
Cyriana schloss die Augen. Mit ihrer Druidenmagie kam sie hier nicht weiter, sie musste ihre Hexenkräfte nutzen.„Palthor!", schrie sie laut.Der Kopf des Magnus ruckte herum und fixierte die Druidin. „Wer seid denn ihr?"„Cyriana", entfuhr es Ogwina erfreut.
„Lasst sie gehen, Dschinnmeister. Ihr werdet betrogen. Die Dämonen spielen falsch."Der vollbärtige Südländer lachte laut auf. „Ihr habt wohl keine Ahnung, wie man mit mit diesen Kreaturen umgeht. Ich habe einen Handel geschlossen. Der ist bindend."Dann sah er die Gestalt Dunkelgreifs neben Cyriana stehen. Er stockte. „Geht zu eurem Herrn, Dämon. Ihr habt hier nichts verloren."
Die finstere Kreatur hielt es für unter ihrer Würde, zu antworten. Sie bewegte sich nicht, harrte seelenruhig der weiteren Ereignisse.
Die Sandkultisten reagierten weiterhin nicht. Sie intonierten in sich vertieft die fünf Namen ohne sich darum zu scheren, was um sie herum vorging. Palthor wurde ungeduldig.
„Fahr jetzt fort, Ogwina", forderte der vollbärtige Dschinnmeister die Vierzehnjährige auf. Cyriana zögerte. Ein verzweifelter Plan nahm Gestalt an. Er basierte auf Hoffnung und Wunschdenken. Aber mehr hatte sie nicht. „Ja, Ogwina, lies weiter."Dunkelherz schreckte aus seiner Erstarrung. „Was soll das, Bluthexe. Beendet das Ritual. Ihr könntet ..."
„Was kann ich, Dunkelgreif?"
Der Dämon senkte seine Stimme, so dass Palthor, der sich wieder Ogwina zuwandte, ihn nicht hören konnte.
„Euer Ziel ist euch schutzlos ausgeliefert. Holt ihn von dort oben herab, schleudert ihn in die Fluten. Die Geflügelten sind gegen Feuermagie empfindlich. Wir haben sie extra deswegen ausgewählt. Lasst sie in Flammen aufgehen."
„Und Ogwina? Wie rette ich sie?"„Verschont den Geflügelten der sie trägt. Er wird sie hier absetzen, sobald ihr Palthor in den Fluten des Sees versenkt habt."
Nachdenklich wiegte Cyriana ihren Kopf. Sie glaubte nicht daran, dass die Dämonen die Gezeichnete am Leben lassen würden. Keinesfalls.
Ogwina, ermutigt von Cyrianas Worten fuhr fort, aus der Rolle vorzulesen.„Ihr müsst euch eilen, Hexe. Wenn sie die Bindung spricht, wird Palthor sie in das Lavameer fallen lassen. Sie wird sich mit einem mächtigen Erdelementar verbinden und sich zum großen Dämonendschinn wandeln."
„Zeigt Geduld, Kreatur."„Wir haben einen Handel. Ihr seid dabei ihn zu brechen."„Keineswegs, Dämon. Ich halte mein Wort."
Ogwina endete. Einige Sekunden lang herrschte Stille. Auch wenn Cyriana das Gesicht Palthors nicht sah, so war sie dennoch sicher, dass der Südländer glücklich war.
„Lasst sie fallen", gebot er eiskalt dem Geflügelten, der Ogwina in seinen Klauen hielt.Noch bevor der Dämon der Aufforderung des Dschinnmeisters folgte, entfesselte Cyriana ihre Hexenmagie. Von einer gigantischen Faust getroffen wirbelte der Geflügelte über den Lavasee. Zwar versuchte er, seine Krallen zu öffnen, um Ogwina in die Fluten stürzen zu lassen, doch mit ihrer Magie hielt sie die Greifhand fest umschlossen.
Palthors Kopf ruckte herum. Er hatte die Bluthexe unterschätzt, sich absolut als Herr der Lage gefühlt. „Was seid ihr?"„Euer Ende."
Mit einem Fingerschnippen entstanden vor ihr schwebend zwei kleine Feuerbälle. Auf einen einzigen Wink hin rasten sie auf die beiden fledermausartigen Kreaturen zu, die den Magnus in der Luft hielten.
Am anderen Ende des Marktplatzes krachte derweil der Dämon mit Ogwina gegen einen Brunnen. Jetzt erst löste sich Cyrianas Verriegelung und die junge Torfbäuerin entwand sich flugs dem Griff des Geflügelten.
„So kommt ihr nicht davon, Hexe", schnarrte Dunkelgreif und setzte sich in Bewegung. Er wollte den Marktplatz umrunden, um zu Ogwina zu gelangen. Cyriana hatte keinen Zweifel, dass er versuchen würde, das junge Mädchen zu töten.
Sie sah nach dem Dschinnmeister. Der Vasall des Erzdämons würde warten müssen, bis der vollbärtige Magnus aus den südlichen Landen gefallen war. Solange die Weihe vollziehbar war, stand die Tochter Garstons unter dem Schutz des Handels.
Cyrianas Feuerbälle fanden, wie zu erwarten war, ihr Ziel. Natürlich hatte der Erzdämon den Geflügelten befohlen, sich treffen zu lassen. Die Kreaturen gingen sofort in Flammen auf, kippten zur Seite ab und fielen flatternd in den Lavasee.
Palthor stürzte schreiend in die Tiefe, landete auf dem gleißenden Magma ...Feurige Fontänen spritzten in die Höhe. Die Gestalt rappelte sich auf und stakste taumelnd auf sie zu. Die Druidin sah, wie sich sein Körper in massiven Fels verwandelte. Gleich einer Schutzhülle verhinderte sie, dass das Magma zu ihm durchdrang. Und dennoch bildeten sich auf der Felsenhaut Blasen und Risse. Allzulange würde ihn der Steinpanzer nicht vor der Lava schützen.
Über den Marktplatz hinweg sah sie Favulkos, der dem Geflügelten soeben mit seinem goldenen Schwert den Kopf abschlug. Gleich darauf packte er die Hand Ogwinas und lief das Ufer entlang, weg von Dunkelgreif, der in diesem Moment den Brunnen erreichte.
Derweil war die Steingestalt nur noch wenige Meter vom Rand des Lavasees entfernt. „Verdammte Hexe. Ihr wisst gar nicht, was für ein Unheil ihr angerichtet habt."
Leider hatte Cyriana eine allzugute Vorstellung davon. Nicht nur, dass Sie Ogwinas Weihe zu einem großen Dämonendschinn verhindert hatte, sie hatte damit den Plan Palthors durchkreuzt, die entfesselte Dschinnschmiede unter Kontrolle zu bringen. Offen blieb, ob die Dämonen noch von der geplatzten Weihe profitieren würden.
Um Cyriana herum richteten sich nun die Sandkultisten auf und starrten sie hasserfüllt unter ihren Kapuzen heraus an. Sie waren aus ihrem tranceähnlichen Zustand erwacht und schienen über die Situation nicht erfreut.
Ihr blieb keine Wahl. Die Zeit lief ihr davon. Sie ließ den Stab fallen und konzentrierte sich auf Palthor, der soeben den Rand des Magmasees erreichte. Wie ein Hammerschlag traf eine unsichtbare Faust den Dschinnmeister, trieb ihn zurück auf den Lavasee. Diesmal jedoch schien er gewappnet. Er stemmte sich ins Magma und blieb aufrecht stehen.
Es ging um Sekunden, denn der Körperpanzer, der Palthor vor dem Lava schützte, platzte mehr und mehr auseinander.
„Tötet sie.", schrie der bärtige Südländer verzweifelt. Er war sich der akuten Gefahr für sein Leben durchaus bewusst.
Als einer der Sandkultisten sich auf Cyriana werfen wollte, erstarrte er jäh und kippte rücklings um. Über seinen toten Körper huschte ein katzengroßes Reptil und sprang einen weiteren Südländer an.
Ein Schwanz mit einem Dorn am Ende peitschte durch die Luft, traf den Unglückseligen und ließ ihn auf der Stelle leblos zusammenklappen.
Die Kultisten wichen erschrocken vor der kleinen Drachenschlange zurück, die sich fauchend vor die Druidin warf.
Gerade als sich Palthor in Sicherheit wähnte, ließ Cyriana ein wahres Trommelfeuer an unsichtbaren Schlägen und Tritten los, die den Magnus trafen und Schritt um Schritt zurück in die Fluten trieben.
In den Eingeweiden Cyrianas brach brüllend eine alte, längst vergessene Wunde auf. Sie klappte zusammen. Blut floss ihr aus Mund und Nase.
„Ich hole euch, Hexe." Palthor stemmte sich gegen die arkanen Kräfte und bugsierte seinen Körper nach vorne. Einige seiner Anhänger sprangen auf ihn zu, um ihn zu packen. Doch kaum berührten ihre Stiefel das Magma, wurden sie unerbittlich in die Tiefe gezerrt. Ein Sandkultist, der seinen Arm nach Cyriana ausstreckte, schrie auf, als sich Zurolons Zähne in seinen Arm verbissen und ihn zurücktaumeln ließen.
„Zurück", donnerte die Druidin und griff den Dschinnmeister erneut mit ihrer ganzen Kraft an. Ein Feuerball raste auf den Magnus zu, verpuffte aber wirkungslos an seiner steinernen Haut.Oder doch nicht? Überall zogen sich feine Verästelungen über den Körper. Die Risse wurden breiter ...
Mit einem befreiten Schnauben setzte Palthor seinen Fuß auf die Pflastersteine des Marktplatzes. Um Cyriana drehte sich die Welt. Sie hatte sich verausgabt. Die schwärende Wunde in ihr öffnete ihre Pforte und verbrannte sie innerlich. Die faulenden Ränder rissen auf.„Ihr habt versagt, Hexe." Palthor zog seinen zweiten Fuß nach und stand grinsend auf festem Boden. Sein Körperpanzer zersprang splitternd und er verweilte schweratmend und schwelend vor ihr. „Und jetzt naht euer Ende."
Etwas huschte an Cyriana vorbei und warf sich auf den Dschinnmeister. Ein Schwanz zuckte und der Dorn landete zielgenau im Nacken Palthors. Der Magnus erstarrte und kippte langsam rücklings in den Lavasee zurück.
Augenblicklich umschlang ihn das feurige Grab und zerrte den Magnus in die Tiefe.„Idiot", knurrte Zurolon und sprang auf Cyrianas Schulter, die am Boden kniete und Luft holte, während sie aus Mund und Nase blutete.
Der Lavasee begann wild zu brodeln, kaum dass Palthor versunken war. Gewaltige Säulen aus Lavagestein stießen aus den Fluten in die nebeligen Höhen. Geysire bildeten sich und spuckten glühendes Gestein in alle Richtungen.
Schreiend rannten die Sandkultisten davon. Einige in dunkelgelben Roben forderten sie zur Ruhe auf, deuteten auf den See. Augenblicklich begannen sich etliche zu setzen, sich an den Händen zu halten. Verzweifelt intonierten sie wieder und wieder rituellen Worte.Würde das den Lavasee beruhigen?
„Cyriana, wir müssen weg. Der Marktplatz explodiert gleich."Die Druidin griff nach dem Stab und zog sich mühsam in die Höhe.„Wohin denn, Zurolon?"„Erstmal? Irgendwohin."
Sie torkelte einige Schritte weiter. Die Hexenkräfte, die sie entfesselt hatte, forderten ihren Tribut. Und zur Heilung fand sie keine Zeit.
Da packte sie ein kräftiger Arm und zog sie mit sich. Eine kleine Gestalt glitt unter ihre andere Seite und stützte sie. Ogwina!
„Wo ist der Dämon, Favulkos?", keuchte sie.„Irgendwo dicht hinter uns. Er macht keinen sehr glücklichen Eindruck."„Wir können ihm nicht entkommen. Er wird Ogwina töten wollen."Direkt vor ihr schälte sich eine Gestalt aus dem Nebel.„Ihr habt uns betrogen, Cyriana.", zischte Dunkelgreif böse.„Das habe ich nicht. Unser Handel war, dass ich Ogwina rette."„Aber nicht nachdem die Bindung ausgesprochen wurde."„Das hattet ihr nie so vereinbart."
„Wir wussten nicht, dass ihr derart lange brauchen würdet, um euch von dem Stab zu erholen."„Nun, das war doch wohl genau so beabsichtigt. Ich durfte erst eingreifen, nachdem Palthor euch die Dämonendschinns geschmiedet hatte."
Der Handlanger des Erzdämons näherte sich ihnen, doch beherzt stellte sich ihm Favulkos in den Weg. „Wenn ich mich recht erinnere, Dämon, dürft ihr uns nichts antun. Wir dürfen sogar unbeschadet Ulmenstein verlassen."
Dunkelgreif zischte erbost. Er hob die Hände und die Erde bebte. „Das muss ich gar nicht. Der Lavasee am Marktplatz wird in Bälde ausbrechen und die Stadt überfluten."„Aber er wird die Stadt nicht verlassen können, denn dieses Magma kommt aus eurer Welt", versetzte Cyriana hart.
Die finstere Kreatur brach in ein infernalisches Gelächter aus. Für einen Sekundenbruchteil erhaschte die Druidin einen Blick auf das schreckliche Antlitz des Dämons unter der Kapuze. Sie erschauerte.
„Die Welt wird brennen. Die Dschinnschmiede gehört beiden Hemisspähren an. Das Magma kann Ulmenstein verlassen. Eine flammende Woge wird alles Leben hinfortspülen." Cyriana wurde schreckensbleich. „Die Dämonendschinns", folgerte sie und schluckte. Die Kreatur vor ihr deutete auf das junge Mädchen.
„Überlasst uns Ogwina und ihr könnt gehen."„Ich habe meinen Teil des Handels erfüllt, Dämon und darf unbeschadet Ulmenstein verlassen."Unter der Kapuze Dunkelgreifs glühte das Augenpaar. „Die Erde um Ulmenstein ist aufgebrochen. Ein gewaltiger Lavasee umgibt die Stadt. Ihr dürft gehen." Er lachte.„Dann habt ihr den Handel gebrochen, Dämon."„Wir erlaubten euch die Stadt zu verlassen. Mehr nicht."
Dunkelgreif zog sich langsam zurück in den Nebel. „Ich bekomme sie noch."Cyriana zog Ogwina nahe zu sich heran. „Bleib dicht bei mir."Sie sah sich suchend um, wusste nicht, was sie tun sollte. Immer noch hörte sie Eruptionen aus Richtung des Marktplatzes.
„Wozu braucht er Ogwina?", erkundigte sich Favulkos leise.„Ich weiß es nicht, aber ich vermute mal, es hängt mit der Bindung zusammen, die Palthor gewirkt hat, unmittelbar bevor er sie in das Magma werfen wollte."„Habt ihr deshalb so lange gezögert?"„Ja, es war ein Gefühl. Ich konnte gar nicht anders."„Die Mörder Palthors sind in diese Richtung gelaufen", hörten sie eine laute Stimme schreien.„Da haben sie aber gut aufgepasst, wohin wir uns gewandt haben", murmelte Zurolon erbost. „Nein, das mussten sie nicht. Dunkelgreif führt sie auf unsere Spur. Er kann uns nichts antun, aber die Sandkultisten stehen außerhalb des Handels. Sie können es."
„Wir dürfen hier nicht bleiben", beschied Favulkos und zog die Druidin mit sich die Straße hinunter. Überall um sie herum schälten sich die Anhänger des Dschinnmeisters aus dem Nebel. Viele wirkten weiterhin abwesend, murmelten rituelle Worte vor sich hin. Aber etliche wirkten aufgebracht und sahen sich suchen um.
Ihre Glückssträhne endete. Einige Südländer kamen aus einer Seitengasse herausgelaufen, sahen sich um und entdeckten die kleine Gruppe sofort.„Dort sind die Mörder Palthors", schrie einer der Kultisten.
Auf der Stelle blieben die Anhänger stehen und drehten sich nach Cyriana um. Sie zogen unter den Kutten Krummsäbel hervor und rückten wie eine Mauer auf sie zu.„Bring sie weg, Ogwina, versteckt euch im Nebel", befahl Favulkos dem jungen Mädchen. Er zog sein Schwert und stellte sich der Meute.
Nun trug die Tochter der Torfbäurin die gesamte Last auf ihren Schultern. Während Favulkos in ihrem Rücken die herannahenden Sandkultisten auf Abstand hielt, tauchten Cyriana, Ogwina und Zurolon in eine kleine Gasse ein.
„Hier entlang", fauchte die Drachenschlange, als sie zwischen zwei Häusern einen schmalen Spalt entdeckte, der so eng war, dass ihn Männer wohl nicht nutzen konnten.„Was ist mit dem Ritter?", wollte Ogwina wissen, doch wie zur Bestätigung, dass es keiner Antwort bedurfte, endete auf einmal der Kampflärm auf der Hauptstraße.
Wenig später hörten sie die Schritte mehrerer Männer, die in die dunstige Gasse hineinstürmten. Sie warfen sich einen betretenen Blick zu. Mit Mühe zwängten sich die beiden Frauen durch den Spalt und erreichten dahinter eine breitere Straße. Sie ließen sich auf der Stelle links und rechts an der Mauer herabgleiten. Zuletzt folgte Zurolon.
„Sie sind vorbeigelaufen." „Weiter", ächzte Cyriana, wobei sie keine Hoffnung mehr hegte. Natürlich wusste Dunkelgreif jederzeit, an welchem Ort sie sich aufhielten. Es war ihm ein Leichtes, die Kultisten zu ihnen zu lotsen. Spätestens das Magma würde sie holen.
Aber warum brauchte er dann die Sandkultisten, wenn sie ohnehin verloren waren?„Kann ich euch helfen?" Eine Hand streckte sich ihr entgegen und, als die Druidin ihren Blick hob, starrte sie in die kalten Augen eines gnadenlosen Mörders.
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Magmageister - Die Legende der Bluthexe (Band 3)
FantasyBand 3: Nachdem die Nocturnen die Königsfamilie ausgelöscht haben, besteigt ein neuer Herrscher den Thron und ein wohlbekannter Abgesandter aus Dryadengrün trifft auf der Kaiserfeste ein. Zeitgleich breitet sich ein obskurer Kult mit mysteriösen Rit...