-𝟷𝟿-

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"Fahr mich zu Yvette!", befahl ich harsch, während mein Kopf zwischen den Vordersitzen hervorragte.
Jesse konzentrierte sich weiter auf die Straße, Kayden drehte sich jedoch um. „Es ist fünf Uhr morgens.
Geh jetzt schlafen und lass dich für den Rest der Woche krank schreiben", riet er mir, doch ich würde mich nicht mehr hin und her schubsen lassen. Ich wollte das Ruder nun an mich reißen. Die letzten Stunden brannten wie Glut unter meinen Füßen. Ein Vampir hatte mich verarscht und der andere fast ermordet und noch immer wusste ich nicht genug.

„Wenn ihr mich jetzt nach Hause fahrt, werde ich sowieso zu Fuß zu ihr gehen!", weigerte ich mich also. Jesse nahm eine scharfe Rechtskurve, um in die Richtung unserer Vorgesetzten abzubiegen. Kayden rieb sich daraufhin nur über seine verschwitzte Glatze.
„Lass sie machen, Kay. Nivia muss ihren eigenen Weg finden." Es tat so gut das aus dem Mund eines Freundes zu hören. Auch wenn Jesse damit eventuell nur bezweckte, uns weiter auseinander zu treiben. Er zählte wahrscheinlich die Tage, bis er endlich wieder in sein trautes Amerika fliegen konnte.

„Ich warte auf dich vor Yvettes Wohnung", teilte Kayden uns mit, was mir mehr als widersprach.
„Nein, ich möchte alleine sein", stellte ich klar und bewunderte dabei die Strenge in meiner Stimme. Meine Eltern erzählten mir immer, welch stures Kind ich doch war. Scheinbar kehrte diese Charaktereigenschaft genau zum richtigen Zeitpunkt zurück.

Wir durchquerten Cesena, um nach Forli zu kommen, wo Yvette in der Nähe des Flughafens in einem modernen Appartment lebte. Die Straßen in Forli waren breiter, die Häuser ein wenig moderner. Ich mochte es hier noch nie. Der Charme Italiens nahm in diesem Ort ab.

Das Auto hielt vor einem mehrstöckigem Gebäude, dessen senfgelbe Fassade mir sonst unangenehm ins Auge stach. Da die Sonne aber gerade erst am aufgehen war, lag das Gebäude noch im Schatten der Nacht.
„Danke für eure Hilfe, aber ab hier schaffe ich selbst", verabschiedete ich mich von meinen Begleitern. Endlich verließ ich die drückende Stimmung im Fiat. Die kühle Nachtluft schlich sich unter meine dünne Kleidung. Hinter mir hörte ich nur noch den Motor aufheulen. Jesse und seine Fahrangewohnheiten... Das Quietschen der armen Reifen bewies mir, dass ich nun alleine hier stand, vor den Säulen, auf denen dieses Haus erbaut wurde. Ich lief unter einem der weißen Bögen hindurch.

Unter den vielen Klingeln, kannte ich nur Yvettes. Sie hatte mir einige Male geschrieben, ob ich ihr Essen aus dem Bellissimo Verde vorbei bringen könnte und ich hatte es jedes mal getan.
Sie sollte es jetzt nicht wagen, mir nicht die Tür zu öffnen, wo es einmal, um mich ging.
Ich drückte das rot leuchtende Knöpfchen mehrmals hintereinander und nach einer Pause wiederholte ich das Prozedere, bis ein Rauschen vor einem Knacken erklang.
„Sie wissen, dass Sie es mit einer Hauptkommissarin zutun haben", begrüßte sie mich. „Ich wünsche dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Yvette. Nivia, hier", gab ich mich zu erkennen. Das typische Surren signalisierte mir, die gläserne Tür nun öffnen zu können.

Die erste Erleichterung trat ein, als ich das warme Innere betrat, doch mein Herzschlag donnerte nur wenige Sekunden später wieder durch meine Brust, als ich die Treppen empor stieg. Es lag gewiss nicht an meiner guten Kondition, sondern eher an den Vorwürfen, die ich dieser Frau gegenüber hegte.
Sie stimmte mich rasend mit ihrer überlegener Art, obwohl sie alles vermasselte.
Hätte sie mich, wie es eine verantwortungsvolle Chefin auf die Gefahren vorbereitet, die auf mich lauerten, wäre es niemals soweit gekommen. Ich hätte gewusst, dass ich einem Leontes nicht trauen durfte. Ich wäre Roel nicht mit so einer Angst begegnet und seine Wut wäre mir vermutlich erspart geblieben.
Mein Blick wanderte an mein Handgelenk.
Kein Blut mehr, nicht mal der Ansatz einer Wunde. Nur der verschmutzte Ärmel meiner Jacke zeugte noch von dem Kampf, den ich führte.

„Liebes, hast du mal auf die Uhr geguckt?", empfing mich die ältere Dame in ihrem geblümten Morgenmantel. Die Schlafmaske hing ihr schief über der Stirn.
„Um Gottes Willen, was hast du da für braune Flecken im Gesicht?", setzte sie gleich fort, als die gedimmte LED-Leuchte des Korridors mich im vollen Maße erwischte. „Ist nicht der Rede wert", antwortete ich trocken. Sie musste nicht alles wissen. Das selbe machte sie immerhin über Jahre auch mit mir. Ich vergaß meine guten Manieren und schob meinen zierlichen Körper an ihr vorbei in ihr geräumiges Appartement.

So ließ es sich doch aushalten.
In ihrer offenen Wohnküche brannte noch der Gaskamin, eingebettet in die schwarz marmorisierte Wand. Auf dem grauen XXL- Sofa lagen Decken und Kissen wild verstreut. Vermutlich war sie vor dem Feuer eingeschlafen.

Ich übersprang die höflichen Floskeln. „Leontes hat mich bestohlen. Frag nicht wie, oder warum, aber ich habe vor mich hin gezeichnet und dabei ist eine Blume entstanden. Er hat mir diese Zeichnung entwendet. Was könnte es damit auf sich haben?"
Yvette verschrenkte ihre Arme und ging um mich herum. Ihre Augen beobachteten mich mit einer gewissen Skepsis. Zugegeben, ich hätte es mir auch nicht geglaubt.

Sie setzte sich an das Feuer und streichelte über ihre wilden Locken. Die weißen Strähnen färbten sich golden im Tanz der Flammen.
„Wie sah diese Blume aus?", wollte sie wissen.
Ich tat es ihr gleich, nur begab ich mich direkt auf den Boden vor die wärmende Scheibe. Nach so viel Kälte, vernahm ich die Hitze als Geschenk Gottes.
„Weiße, nach außen gewölbte Blüten. Der Stiel und die gezackten Blätter sind mit unnatürlich vielen Stacheln besetzt. Was hat es damit auf sich? Leontes wollte dieses Bild unbedingt haben, bevor er es mir einfach weggenommen hat."

Yvette versank in ihren eigenen Gedanken. Das Feuer spiegelte sich in ihrer Netzhaut wider.
„Vor langer Zeit entstand die Legende über den weißen Sonnenkelch. Ihr Milchsaft soll die Menschheit vor Krankheiten und sogar dem Altern schützen. Allerdings wurde die Pflanze gerade wegen ihrer Fähigkeiten ausgerottet."
Es kam mir vor, wie eine Märchenstunde am Lagerfeuer. Die düstere Atmosphäre wurde eins mit dem Knistern der Glut.
„Und Leontes glaubt diese Geschichte?", schlussfolgerte ich.
„Fast jeder Vampir tut es und mittlerweile auch viele Menschen." Ihr Blick traf auf mich.
„Deswegen bekriegen sie sich gegenseitig, nicht, weil sie die jeweils andere Spezies nicht akzeptieren."
Ich verstand es nicht ganz.
Wozu kämpfte man um eine Blume, die es laut der Legende gar nicht mehr gab? Yvette schien meine in Falten gelegte Stirn richtig zu deuten.
„Es gibt sie, die die den Saft gekostet haben und sie verweilen unter uns, die Weltenwandler. Ihr Blut ist ein fertiges Elixier, das Rezept zur Unendlichkeit."

Gut, das erläuterte, weshalb dieses Zeug für Menschen einen enormen Wert darstellte, doch Vampire besaßen all das doch schon.
„Nivia, du bist soweit. Ich werde dir morgen etwas zeigen, was deine Welt noch einmal verändern wird."
Na da packte sie meine Erwartungen, die ich ihr gegenüber gar nicht mehr hatte, ja auf ein ganz neues Niveau. Um es mir nicht zu verscherzen, hielt ich meinen Mund. Nur diese eine Frage brannte mir noch auf der Zunge. „Wofür brauchen Vampire dieses Mittel?"

Yvette schaute mich an, ein zartes Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Die Ewigkeit ist eine enorm lange Zeit, ohne einen Menschen, der sie mit dir teilt."

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