6. Unter Raubtieren

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Tuna saß auf den flachen Stufen einer hölzernen Treppe, die zu einem weitläufigen Netz aus Waldwegen gehörte

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Tuna saß auf den flachen Stufen einer hölzernen Treppe, die zu einem weitläufigen Netz aus Waldwegen gehörte. Ihre Bauchwunde schmerzte und die schaurigen Schreie der Witterhexe klangen ihr noch immer in den Ohren. 

Um sich davon abzulenken, konzentrierte sie sich auf das Geschehen, das nur wenige Meter von ihrem Sitzplatz entfernt stattfand. In einer niedrigen, mit Moosen und Flechten ausgepolsterten Senke maßen sich mehrere Waldleu im Zweikampf. Dabei kämpften sie sowohl aufrecht, in Menschengestalt, als auch auf allen Vieren, mit Klauen und Zähnen.

Tuna mochte es, den Kämpfenden zuzusehen. Das war eine Sprache, die sie verstand. Gewalt war überall gleich, egal, ob man sich in Myr Ryba oder in den Wodlanden befand. Wenn Fäuste auf Fleisch und Knochen trafen, Füße durch den Staub tanzten und Blut spritzte, spielte es keine Rolle mehr, woher man kam. 

Und dennoch war die Kampf-Sprache der Waldleu nicht ohne einen fremdländischen Akzent. Anders als auf den Straßen von Ryba, wo das Gesetz des Stärkeren galt und die Prügeleien in der Regel mit dem Tod eines Beteiligten endeten, schienen die Zweikämpfe der Waldleu festen Grundsätzen zu folgen. Beinahe wie die sorgfältig durchchoreografierten Säbelduelle der feinen Herrschaften, bei denen immer sichergestellt werden musste, dass sich auch niemand ernstlich verletzte. Tuna hielt nicht viel davon, sich nur zum Schein zu duellieren. Kit Herring, der wie ein Ziehvater für sie gewesen war, hatte sie jedenfalls nie mit Samthandschuhen angefasst, und Tuna war sich sicher, dass sie nur deshalb so gut mit dem Säbel umgehen konnte.

Doch so gerne sie sich auch über das Vorgehen der Waldleu lustig gemacht hätte; etwas an ihrer Art zu kämpfen, flößte ihr Respekt ein. Sie gingen brutal, aber auch kontrolliert vor. Sowohl in Menschen- als auch in Tiergestalt schienen sie sich jederzeit gut beherrschen zu können. Immer wenn einer der Kämpfer einen schweren Treffer gelandet oder seinen Gegner zu Boden geworfen hatte, wurde der Kampf von einer Art Ringrichter unterbrochen. Alle gehorchten den Anweisungen des älteren Leus. Niemand protestierte. Auch von den Umstehenden mischte sich niemand in das Kampfgeschehen ein. Das wäre in Ryba ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Kein Duell, das nicht innerhalb kürzester Zeit in eine wilde Straßenschlacht mündete, die – an langweiligen Schlechtwettertagen – die komplette Stadt erfassen konnte.

»Høy, Sirenasang!«

Auf einmal setzte sich jemand neben Tuna. Eine weibliche Waldleu mit einer orangefarbenen, von Zweigen und Blüten durchzogenen Haarpracht. Sie war nur mit einem losen Geflecht aus Ranken und Blättern bekleidet, das von einem Ledergürtel zusammengehalten wurde, und ihre nackte Haut wies ein interessantes Fleckenmuster auf, wie der Bauch eines Hundes.

»So sagt man doch in Myr Ryba, oder?«, fragte sie, wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab und zückte einen Trinkschlauch, der an ihrem Gürtel befestigt gewesen war.

»Nicht ganz«, antwortete Tuna.

»Hm«, machte die Waldleu, legte den Kopf in den Nacken und nahm einen Schluck aus dem Lederbeutel. Anschließend bot sie ihn Tuna an, die dankend ablehnte. »Würde dir aber vielleicht ganz gut tun«, meinte die Katzenfrau mit Blick auf Tunas Bauchwunde.

Die Forelli-Dynastie: Göttliches BlutWhere stories live. Discover now