A little party never killed nobody

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„Ich sehe aus, wie eine viktorianische Bordsteinhure." Ich blickte entgeistert in den Spiegel vor mir und zuppelte und zog an meinem zu kurz geratenem Rock herum.
Seonghwa, außerhalb der Umkleide prustete amüsiert los und steckte seinen Kopf durch den Vorhang.
Sein Outfit für diese schreckliche Party heute Abend saß in der Sekunde, als wir diesen Laden betraten.
„Du siehst aus wie meine viktorianische Bordsteinhure."
Ich stieß die Luft aus. „Ich bring dich um." Drohte ich und sah an mir herab.
Das Oberteil mochte ich, es erinnerte mich an Piraten. Der Rock dagegen sah aus, als habe sich Johnny Depp in Bridgerton verirrt und etwas zu viel Rum konsumiert, während er mit den Lords und Ladies über die Tische tanzte.
Chaerim würde es lieben, sie mochte diese Serie. Ich nicht.
Ich hasste es.
„Ich will eine Hose." Beschloss ich und zog entschlossen den Rock von meinen Beinen.
Seonghwas Kopf in der Umkleide machte große Augen, die schnell enttäuscht blitzten, als ich er sah, dass ich unter dem Rock noch eines dieser aufgeplauschten Höschen anhatte.
„Wer denkt sich so ein Motto auch aus? Modern Victorian..." schimpfte ich und riss die Umkleide auf.
Mit dem Rock in der Hand stiefelte ich in den Verkaufsraum zurück.
Seonghwa winkte der Dame, die mich beraten hatte.
„Das ist komplett bescheuert!" Ich stand kurz davor den Rock in Stofffetzen zu zersäbeln. Mein Katana lag auf dem Rücksitz unseres Mietwagens. Ich hätte keinen langen weg.
Seonghwa brach in Lachen aus. „Ich kann nicht glauben, dass du ruhig bleibst, wenn du einen Mann davon überzeugst sich umzubringen, aber das lässt dich flippen?"
Ich stieß ihm meinen Ellenbogen in die Rippe und er schrie erschrocken auf und erklärte meiner Verkaufsberatung anschließend auf japanisch, dass ich eine Hose gegenüber dem Rock bevorzugte.
Sie besah mich verstört darüber, wie ich in Puffelhosen und meinem Oberteil mitten im Laden stand, nickte und verschwand wieder.
„Sag ihr, dass ich diese blöden Hosen auch nicht haben will!" fuhr ich ihn an und stapfte zurück zu den Umkleiden.
Von Seonghwa war nicht mehr als eine Staubwolke zu sehen, als ich ihm den Befehl gab.
Mich kotzte das alles hier an. Anscheinend sagte die Einladung, die wir gestern erhalten nicht aus, dass wir auch zur Party durften, wenn wir uns nicht an den Dresscode hielten.
Seonghwas Freund musste einen Schaden haben. Einen gewaltigen!
Er fand es äußerst amüsant, wie ich mich über solch eine Kleinigkeit aufregen konnte.
Ich hasste Mode und Mode mit Motto umso mehr.
Ich trug was mir gefiel, da konnten sich Marken, Epochen und was nicht noch alles hintenanstellen.
Seonghwa hatte da das offensichtlich bessere Auge. Denn selbst nach einer weiteren geschlagenen Stunde brachte mir die Verkäuferin einen Rock, ein Kleid nach dem anderen.
Irgendwann machte ich ihr fluchend klar, dass ich keine Kleider tragen wollte, keinen Rock. Ich war kein Mensch dafür. Nicht mehr.
Er übernahm es ab dann mit mir an einem Outfit zu basteln. Ich hatte keine Vorstellung davon, was ich tragen wollte. Er hingegen wuselte nach meiner Freigabe von einem Regal zum nächsten. Die junge Verkäuferin betrachtete mich eingeschüchtert aus dem anderen Ende des Ladens.
Zwei Stunden später standen wir mit vollen Armen an der Kasse.
Seonghwa hatte alles, in dem ich mich länger als auch nur eine Sekunde im stummen Bewundern musterte, wegbringen lassen, bereit es auf der Stelle für mich mitzunehmen.
Er hatte ein Auge für Kleidung. Was er aussuchte, passte zusammen und glich keinem zusammengeschmissenem Chaos.
In der Zwischenzeit hatte ich mich beruhigt und schmiegte weder Mordpläne gegen ihn noch gegen die Verkäuferin. Ich hatte, was ich brauchte. Gerissene Nerven und ein Outfit für heute. Seonghwa hatte ebenfalls, was er brauchte. Einen Heidenspaß mich im Thema Kleidung zu beraten und mich mit dummen Bemerkungen zur Weißglut zu treiben...

Seonghwa bestand darauf mir meine Haare zu machen.
Als würde das diesem Tag nicht noch die Kirsche aufs Eis setzen...
Ich beschloss ihm jedoch zu vertrauen. Das hatte ich, als ich ihm mein Outfit in die Hände gab, das würde ich nun noch ein zweites Mal durchstehen.
Nach dem Shopping Tripp durfte ich den Rest des Tages bestimmen, was wir unternahmen. Ich schlug vor auf den Tokyo Tower zu gehen.
Was ich bis dato nicht wusste. Er hatte tierische Höhenangst. Das konnte er während dem Aufstieg sehr gut verdauen. Als wir die Erste Plattform erreich hatten, spürte ich seine Hand in meiner zittern und schwitzig werden. Bis wir ganz oben waren, lief er Leichenblass an und wagte es weder nach unten noch in die Weite zu sehen.
Als ich merkte, dass er taumelte, griff ich ihn unter den Armen und führte ihn zum Aufzug, um auf den schnellsten Weg wieder nach unten zu fahren.
Ich sah es also nun nur als Ausgleich ihm mein Vertrauen um meine Haare zu schenken.
Sie waren lang, dick und widerspenstig. Am unkompliziertesten hielten sie in einem Pferdeschwanz, das war Seonghwa zu langweilig. Als er mir auf dem Rückweg den Vorschlag machte, hielten wir an dem nächsten Mädchenladen. Neben Haargummmis, Spangen und anderen Haarutensilien landete Make-Up im Korb.
„Ich weiß, was ich mache," versicherte Seonghwa mir, als er eine weitere Riesentüte im Kofferraum des Wagens verstaute.
Ich zog wortlos meine Augenbraue hoch und stieg ein.
Nun saß er hinter mir auf dem Bett, in seinem Mund tausende Haarspangen, seine Hände dabei meine Haare hin und her und hoch und runter zu bugsieren. Aller zwei Minuten versicherte er sich, ob er mir weh tat, meine Kopfhaut zog oder ob er lockerlassen sollte.
Ich gab ihm mein okay und fing irgendwann an seine Frisurenkünste zu genießen.
Es war absurd, dass ein Mann mir die Haare machte, dass ich Seonghwa überhaupt an sie ließ.
Sie waren über die Jahre zu einer unbändigen Mähne gewachsen, die ich aus trotz nur dann abschnitt, wenn ich mehr gespaltene Spitzen, als Haare selbst hatte.
Früher durfte ich meine Haare nie über Schulterlänge tragen. Aus Sicherheitsgründen im Lager in das Hyunjin und ich als erstes gebracht wurden, dann weil Kai es nicht mochte, wenn sie lang waren. Sie ließen mich aussehen, wie eine Wilde. Das sagte er damals immer.
„Du hast so wunderschöne Haare." Seonghwa mit einer faszinierten Tonlage, ließ seine Hand durch meine Spitzen gleiten. „Ich habe noch nie jemanden mit so viel Haar kennengelernt."
Er begann die nächste Strähne zu flechten.
„Die sind das einzig Gute, was meine Eltern mir mitgegeben haben." Murmelte ich und starrte in meinen Schoß.
Ich saß eingemottet in einem von Seonghwas Oberteilen und einer Puffelhose auf dem Bett.  Die ging nur mit, weil sie bequem war. Optisch war sie ein Debakel!
„Das bezweifle ich." Seine Stimme war nahe meinem Ohr und ein sanfter Kuss an dem Punkt zwischen meiner Schulter und meiner Halsbeuge. Ich schüttelte von der plötzlichen sanften Berührung.
„Sie haben mir mein Aussehen mitgegeben." Nahm ich Seonghwa das Argument weg, dass er sicherlich gleich gebracht hätte.
„Und dieses Leben, als sie mich im Kinderheim abgegeben haben."
Seonghwa und ich verfielen in ein Schweigen, diesmal eines der unangenehmen Sorte.
„So bist du zu den Ssang Young Pa gekommen?"
Ich nickte.
„Ich bin im Heim aufgewachsen und war keines der leichten Kinder." Enthüllte ich Seonghwa und spielte mit der Packung Haarspangen in meinen Händen. Auf einmal war ich mir überbewusst, wie nahe Seonghwa mir war. Wie leicht er aus dem nichts eine Waffe zücken und mich umbringen könnte. Doch alles, was er tat, war es mir die Haare zu flechten. Ein komischer Gedanke.
„Wo Hyunjin als kleiner Junge intelligent war, brachte ich die Aggression und den Tatendrang mit."
Seonghwa war der erste außerhalb meiner eingeweihten Kreise, mit dem ich über diesen Teil meiner Vergangenheit sprach.
„Ich wollte nicht verstehen, wieso meine Eltern mich nicht mehr wollten. Das hat mich wahnsinnig gemacht. Als vierjährige gehen da schnell die Nerven durch."
Es... war befreiend das alles abzulegen.
„Verständlich. Das sind Empfindungen, mit denen kein Kind umgehen kann." Er beendete eine Strähne und nahm die nächste in die Hand.
„Und du und Hyunjin habt das Heim terrorisiert?" kam es trocken von ihm.
Ich fasste meine Hände, schmunzelte und nickte.
„Wir haben die älteren Kinder um süßigkeiten gebracht. Ich habe sie erpresst mit Hyunjin Uno zu spielen. Er hat die Karten vorher so gelegt, dass er alle guten abbekommt. Nach einer Runde hatten wir genug Süßigkeiten für eine Woche."
Seonghwa hinter mir brach in Lachen aus.
„Wie alt..."
„Sieben." Die Erinnerung daran, versetzte mich ebenfalls ins Lachen.
Von Seonghwa folgte eine Fassungslose stille.
„Ein halbes Jahr darauf hat einer der älteren Jungs ein Bild von Hyunjin zerrissen, dass er mir zu meinem Geburtstag einen Tag später schenken wollte."
„Das hast du nicht auf dir sitzen lassen." Erkannte Seonghwa.
Ich nickte. „Ich habe den Kerl mit einem Stuhl Windelweich geprügelt. Erinnern kann ich mich nicht mehr an viel. Nur dass irgendwann zwei Erzieherinnen und der Hausmeister eingreifen mussten. Hyunjin hat gesagt ich sah aus, als habe mich ein Dämon überfallen."
Ich legte meine Arme um mich und hielt einen Moment inne. Es fühlte sich an wie stundenlange Stille, bis ich weitersprach.
„Der Vorfall hat es in die Zeitung geschafft. Der Arm des Jungens wird für den Rest seines Lebens unbrauchbar sein. Man solle mich einweisen lassen. Ein Monster wie ich gehöre in kein Kinderheim."
Jene Worte, die die Erzieherinnen mir damals predigten. Ich durfte nur noch unter Aussicht aus meinem Zimmer, wurde isoliert.
„Du hast nie gelernt deine Emotionen zu regulieren." Erkannte Seonghwa etwas, dass mich bis heute heimsuchte.
„Ich nenne es meinen Dämon zu bändigen." Schrieb ich um und deutete mit meinem Zeigefinger an meine Schläfe.
„Durch die Aktion haben die SSang Young Pa mich aufgetrieben und mir ein besseres Leben versprochen. Ein Leben für Menschen wie mich."
„Und die Erzieherinnen haben dem einfach zugestimmt?"
Ich druckste. „Sie werden genug Geld bekommen haben, um es zu dulden." Schulterzuckend ließ ich meine Arme wieder von mir ab.
Seonghwa hatte in der Zwischenzeit zwei weitere Strähnen zum Ende gebracht und begann nun mit den Haarspangen herumzustecken.
„Meine Einzige Bedingung war damals, dass ich Hyunjin mitnehmen will. Wieso solle ich besser leben, aber meinen einzigen Freund zurücklassen."
Ich schloss meine Augen, um das Brennen in ihnen schwinden zu lassen. Das waren Erinnerungen, so alt... und doch noch so klar in meinem Gedächtnis.
Ich erinnerte mich genau daran, wie die Anzugträger damals ins Spielzimmer kamen... mich ins Visier nahmen und wussten, ich war das Kind aus den Nachrichten.
„Du hast das richtige gemacht." Seonghwa beugte sich erneut näher an mich heran und küsste sanft meine Wange.
Die Erinnerungen wurden fortgespült. Die ängstliche kleine Cheonsa trat zurück. Ihr Verstand so vernebelt von der Zeit im Kinderheim, dass Kai in weiter Ferne ihrer Interessen lag.
Die friedliche Cheonsa, schmiegte sich wie eine kuschelnde Katze in meinen Fokus.
„Manchmal bezweifle ich das."
Stieß ich aus.
Seonghwas Hand schob sich an meine Wange und drehte meinen Kopf sanft zur Seite. Ich sah in seine Augen und meine Welt drohte anzuhalten.
In ihnen lag Verständnis, Anerkennung für die Entscheidung meines kindlichen Ichs. Verständnis, für mein Chaos an Emotionen, die durch meinen Dämon mit mir durchdrehten, wenn es zu viel wurde, für meinen undurchsichtigen, manchmal kalten Character, den er nach und nach zum Schmelzen brachte.
„Rede dir das nicht ein. Du könntest in der Gosse sein, wäre es anders gekommen und wir wären uns nie begegnet." Seonghwa kam meinem Gesicht nahe, seine Lippen waberten nahe und doch unerreichbar weit weg vor meinen.
„Vielleicht hättest du mich dann gerettet." Schmunzelte ich dann und gab meinem Drang nach meinen Erinnerungen zu löschen und seine Lippen endlich wieder auf meinen haben zu wollen.
Ich seufzte erleichtert und hielt den Kuss, so lange wie ich atmen hatte.
Mehr wollte ich nicht, außer zu spüren, dass ich im jetzt war. Weg von allem das mir was anhaben konnte.
„Deine Haare sind fertig." Flüsterte Seonghwa mir zu, küsste fix meine Nasenspitze und half mir dann übereifrig vom Bett ins Bad, damit ich sein Werk betrachten konnte.
Ich fand mich im Spiegel und erstarrte.
Seonghwa hatte meine Haare in der Tat gebändigt bekommen.
„Wow..." Meine Augen flatterten immer wieder auf und zu, mein Mund klappte auf.
Ich fasste nach meinen Haaren, als seien sie auf einmal zu einer Perücke geworden. Seonghwa hatte das Deckhaar zu unzähligen kleinen Strähnen geflochten. Einige legten sich wie ein Diadem um meinen Kopf, links und rechts in die Strähnen waren Silberelemente eingeflochten.
Als ich in einen anderen Spiegel blickte, sah ich die Frisur von hinten. Seonghwa hatte meine Strähnen wie ein Netz zusammengesteckt, auf welchem kleine Pentagrammspangen thronten.
„Wo hast du sowas..." Ich fasste keinen klaren Satz mehr.
Das war der Wahnsinn. Ich war nie ein Fan von Flechtfrisuren, ich hasste meine trägen Haare, aber das...
Seonghwa fasste sich an den Hinterkopf und lief pink im Gesicht an.
„Ich... ich..." er blickte von mir weg, durch das Bad und zurück zu mir und fasste sich dann ein Herz.
„Ich habe eine kleine Schwester, wenn meine Mutter auf Arbeit war, dann... dann musste ich ihr die Haare flechten. Das war eine ihrer Lieblingsfrisuren."
Ich schüttelte den Kopf, noch immer in einem Verlust von Worten.
„Danke." Hauchte ich aus.
Seonghwa winkte betont gelassen ab. „Nicht dafür. Sie hat fast genauso viele Haare wie du."
Schmunzelte er.
Ich fuhr über eine der Strähnen, drehte mich dann zu ihm um und zog Seongwa in einen Kuss, so markerschütternd voll von Dankbarkeit und Fassungslosigkeit, Geborgenheit, dass es mich vor Wochen noch hätte kotzen lassen.
Gleichzeitig spürte ich tief in meinem Bauch das ungute Gefühl, dass er mir immer wichtiger wurde, dass ich ihn nicht mehr so schnell loslassen könnte, wie ich es mir bis eben noch zwanghaft versuchte einzureden.

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⏰ Letzte Aktualisierung: 4 days ago ⏰

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