The closer the better

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Chaerim rannte mich um, als ich sie am Montag nach meiner Entlassung vor der Uni traf.
Hyunjin ließ mich ungern wieder in meinen Alltag zurück, nachdem wir das Wochenende unter uns verbrachten.
„Die geht es ja wieder gut!" stellte sie begeistert fest und besah mich von oben nach unten. „Ich habe noch nicht damit gerechnet, dich wirklich zum Vorlesungsbeginn wieder hier zu haben." Grinste sie mich schelmisch an.
„Meine Versicherung hat mich sofort in eine hervorragende Reha-Klinik verwiesen." Erwähnte ich Schulterzuckend und drehte mich zum Parkplatz zurück.
Hyunjin saß noch immer am Steuer seines dunkelblauen Maserati Levante GT. Seinen Blick spürte ich wachend auf mir. Er würde erst den Parkplatz verlassen, wenn er auch wirklich sah, dass ich mich ins Gebäude begab.
„Die Bilder habe ich gesehen. Das hätte sicherlich ein Vermögen gekostet."
Ich zuckte mit den Schultern. „Die Rechnungen habe ich zum Glück nicht gesehen."
Mich interessierte es auch nicht.
„Wie war Europa?" stellte ich eine Gegenfrage an Chaerim und nickte Hyunjin im Wagen zu.
Er legte den Kopf schief, ganz nach dem Motto, ob ich denn nicht doch wieder in unsere Wohnung zurückwollte.
„Oh großartig. Zuerst waren wir in Paris!"
Ich lotste sie im Gehen zum Hauptgebäude der Uni und bekam es hin Hyunjin nebenbei zuzuwinken.
Er blieb mit seinem Wagen fest auf dem Parkplatz stehen.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich beinahe vermuten, er würde sich bis heute Nachmittag nicht von diesem Parkplatz fortbewegen.
„Wir hatten das Glück, dass wir noch durch Zufall Karten fürs Moulin Rouge bekommen haben. Natürlich nur gegen eine gutherzige Spende an die Betreiber der Show." Säuselte Chaerin verschwörerisch. Ihre Wolke an frisch gefärbten langen rosepinken Haaren zog sie elegant hinter sich her.
Sie plauderte munter weiter, als ich nebenbei mein Handy zog und auf den Stundenplan sah.
Felix und Han hatten es sich während meiner Abwesenheit zugeschrieben meinen Stundenplan für dieses Semester zusammen zu stellen.
Dementsprechend war er voll von den komplexesten Seminaren und Vorlesungen (Han) bis hin zu den seltsamsten und merkwürdigsten Themen (Felix oder was auch immer die anderen in Anwesenheit random in die Runde warfen), von denen ich gar nicht wusste, dass sie für den Studiengang Wirtschaftspsychologie überhaupt gefragt waren. Sozusagen studiere ich also für alle mit.
Das trug dazu bei, dass ich in den letzten Semestern Fächer belegte wie: Ethisches Hacken, Angewandte Psychologie im Glücksspiel, Chemie von psychedelischen Medikamenten und Pflanzen, Grundlagen im wirtschaftlichen Strafrecht und Psychoanalyse der musikalischen Werke von Park Jin Young (JYP).
Am schlimmsten jedoch war, dass in meinem Stundenplan immer nur die Abkürzungen der Kursnamen hinterlegt waren. Bedeutete, stellten die beiden meinen Plan zusammen, wusste ich bis zu den jeweils ersten Vorlesungen nie was mich erwartete.
„Nach Paris sind wir nach Venedig und zeitgleich hatte Valentino ihre Herbstmodenschau. Ich durfte die gesamte Kollektion kostenlos anschauen, direkt am Laufsteg!"
Ich freute mich für Charims gesammelten Erlebnisse und fand anschließend heraus, dass ich meine erste Vorlesung im Hauptgebäude im Erdgeschoss hatte.
Bedeutete, ich würde mit etwas annährend Normalen in den Tag starten.
„Was hast du als erstes?" Charim warf einen Blick auf mein Handy. „Oh." Stellte sie nach einem Blick auf meinen Stundenplan fest. „Du hast ja wieder ganz andere Kurse als ich."
Ich nickte. „Meine Freunde haben meinen Stundenplan zusammengestellt." Brummte ich.
„Kannst du mir wie die letzten Semester deine Aufzeichnungen von den Pflichtvorlesungen schicken?"
Chaerim druckste und bejahte. „Sind das die gleichen Freunde, die ich nie zu Gesicht bekomme?" hinterfragte sie und zog die ebenfalls gefärbten Augenbrauen verwundernd zusammen.
„Das stimmt doch gar nicht, du kennst meinen Freund!" widerlegte ich ihr und zeigte ihr meinen Sperrbildschirm.
Er zeigte Hyunjin und mich, wie wir uns an einem Strand in Busan umarmten. Das Bild entstand vor zwei Jahren, wenige Wochen nachdem Minho mir mein Leben rettete. Seit Jahren war dies der erste Moment, in dem ich mich wieder sicher fühlte.
„Aber auch nur flüchtig." Schmollte Chaerim und verzog ihre perfekt gezogenen beerigpinken Lippen.
„Das reicht doch." Tat ich ab zog die Tür zum Gebäude auf. „Meine Freunde sind sehr schüchtern." Changbin würde vor Lachen sterben, wenn ich ihn so beschreiben würde.
„Nein!" weigerte sie sich und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust.
„Ich will mehr über dich wissen. Wir studieren seit über zwei Jahren zusammen! Seit wir uns kennen weißt du mehr über mich als ich über dich."
Da hatte sie recht. Chaerim wusste nur einen Bruchteil über mich und von diesem bildete nur ein geringer Teil die Wahrheit.
„Ich will deine Freunde kennenlernen. Die Scherzkekse, die dir diese ganzen schrecklichen Kurse aufbrummen und ich will mehr Worte mit deinem Freund wechseln als Hi und Hallo!" verlangte sie und lief stampfend neben mir her.
Chanbin und Jeongin würden sie lieben. Chan würde sie hassen. Hyunjin hasste sie bereits für ihr lautes Organ.
„Da gibt es niemanden kennenzulernen, Chae." Ich unterdrückte ein Seufzen. „Du würdest sie nicht mögen. Sie sind sehr schüchtern."
Chaerim rollte so mit den Augen, dass ich es beinahe hörte. „Ich glaub auch, wenn die nur annährend sind wie Hyunjin. Ich kauf dir kein Wort ab!"
Stellte ich ihr die anderen vor würde ich ihren, so wie meinen und die Köpfe der anderen riskieren. Zudem brachte Chan mich um, wenn ich eine unschuldige in unsere Welt führte. Chaerim war zu gut, um meinen Weg zu gehen. Sie verdiente ein ehrliches und erfolgreiches Leben. Während ich in den Fängen der Organisation blieb.
Sie besaß Eltern, die sich um sie sorgten, die sie von vorne bis hinten verwöhnten und ihr nie ein Wort abschlugen.
„Dir bleibt aber nichts anderes übrig als mir zu glauben!" ich fuhr mehr aus meiner Stimme heraus, als ich wollte. Charim sah mich verstört an.
„Du brauchst nur zu sagen, wenn wir nicht mehr befreundet zu sein brauchen. Wir müssen uns nicht mehr abgeben. Das ist eh mein letztes Semester." Sie zog an mir vorbei zur Treppe ins erste Obergeschoss und ließ mich stehen.
Jetzt war ich es die auf den Boden stampfte.
Lieber so, als würde sie mich in die Enge zwängen und mich dazu zwingen, ihr alles über mich zu erzählen.
Sie riss sich spätestens bis zum Mittag wieder zusammen und fragte, ob wir gemeinsam in der Mensa etwas zu essen holen gehen. Sie konnte mir nie lange böse bleiben.
Dennoch stieß ich die Luft aus und zückte erneut mein Handy um nochmals, nachdem Raum zu schauen, zu dem ich jetzt musste.
Erstaunlicherweise erwartete mich am Morgen eine relevante Vorlesung zu meinem Studiengang. Laut der Aufschrift an dem viel zu kleinen Whiteboard befand ich mich in „Unternehmensorganisation".
Wie üblich marschierte ich durch den Vorlesungssaal und setzte mich in eine der hinteren Reihen. In meiner auserkorenen Reihe befanden sich nur noch drei freie Plätze.
Ich schob mich an meinen Kommilitonen vorbei und beschlagnahmte den Platz in der Mitte.
Hyunjin schickte ich ein Foto, dass ich den Raum gefunden hatte und er getrost den Tag mit seinen Angelegenheiten verbringen durfte.
Meine Tasche platzierte ich auf den Tisch und räumte dann mein Notebook und meine Trinkflasche raus, bevor sie unter meinem Stuhl landete.
Ich warf einen Blick auf die beiden, die je auf einen Stuhl abstand links und rechts von mir saßen, während ich meine Jacke auszog und über die Lehne hing.
Links von mir saß eine Gruppe Frauen, die sich bereits zu kennen schienen und alle gebannt auf das Handy der am nächsten zu mir schauten. Es sah aus, als würde sie ihnen Konzertvideos zeigen.
Rechts von mir saß ein Mann. Sein Gesicht hatte er in seinen auf den Tisch verschränkten Armen versteckt. Neben seinem Kopf stand ein großer To-Go Becher von Starbucks.
Bei seinder dunklen Kleidung und bei seinen schwarzen Haaren konnte ich schlecht unterscheiden, wo seine Kleidung aufhörte, und sein Kopf begann.
Wenn der erste Tag im neuen Semester schon so für ihn anfing, dürfte er sich bis zum Ende verpisst haben. Die die jetzt schon schliefen, hielten nie lange durch.
Neben seinem Stuhl ruhte ein Motorradhelm mit schwarz und orangenen Elementen.
Ich hielt inne und biss die Zähne zusammen. Meine Augen wanderten zu seiner Stuhllehne.
Darüber hing eine Motorradjacke in gleicher Farbgebung wie sein Helm. Es war die gleiche, wie die von dem Guerilla der mich umfuhr.
Mein ganzer Körper erstarrte und ich versuchte meinen Atem so ruhig zu halten, wie nur möglich.
Gerne wäre ich aufgestanden und zu einem anderen Platz gegangen. Doch ich hatte verschlafen und war dementsprechend später an der Uni, als ich für heute plante.
Zudem hat Hyunjin Frühstück geholt und wir haben gemütlich auf dem Sofa gesessen und Mocca getrunken und geredet.
Ich sah mich um. Jetzt waren fast nur noch Plätze in den ersten Reihen frei. Keiner, bis auf die Streber setzten sich in die erste Reihe. Zu den zählte ich mich noch nie.
Ich wagte einen erneuten Blick zu dem rechts von mir und hoffte ich hatte mich nur versehen.
Die Guerilla würden sich im Leben nicht in eine Universität verirren.
Doch genau, als ich den Gedanken ausdachte wachte das Dornröschen neben mir aus seinem Schlummer auf.
Mein Körper hingegen viel in einen Schlummer.
Seonghwa hob seinen Kopf, riss den Mund auf und gähnte während er sich streckte und die Schultern nach hinten kreisen ließ.
Er blinzelte ein paarmal verschlafen und griff dann nach seinem Kaffeebecher.
Ich konnte nicht mehr von ihm wegsehen, wie bei einem Unfall. Befremdlich, wie er so einfache, simple Gesten wie Gähnen und Strecken ausübte und gleichzeitig dafür beauftragt wurde meinen besten Freund umzubringen.
Er trug einen enganliegenden schwarzen Rollkragenpullover, der genau zeigte, wie und wo sich die Muskeln unter dem Stoff anspannten und bewegten.
Sein Seitenprofil war scharf geschnitten und beinahe wie aus Stein gemeißelt. Es war kein Geheimnis, dass er attraktiv erschien, doch eben umso tödlicher unterwegs war.
„Kaffee?" Er schob den Becher zu mir herüber, hob den Kopf und sah mich aus dunklen Knopfaugen an.
Ich machte genau den Moment in seinen Augen aus, in dem er sich an jene Nacht erinnerte. Seine Augen zuckten eine Millisekunde, der Rest seines Körpers verriet ihn nicht. Anders als es mir erging. Ich war starr, versuchte mich keineswegs zu bewegen, obwohl es jetzt zu spät dafür gewesen ist.
„Na sieh mal einer an." Gurrte er und rückte einen Stuhl näher an mich heran.
Ich riss meinen Blick los und starrte nach vorne.
Die Professorin befand sich bereits im Saal und schrieb ein paar Stichpunkte zu ihrer Person an das Whiteboard.
„Die kleine Cheonsa von den Strays." Säuselte Seonghwa neben mir und stellte den Kaffee direkt an mein Notebook.
„Was für eine Überraschung dich hier zu sehen."
Ich schielte zu ihm herüber. Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächlen, als plane er mich hier und jetzt aus dem Leben zu pusten.
„Ich habe gehört, ich habe dich heftig erwischt." Er griff nach meinem Arm, aber hielt inne, bevor er mich einfach berührte.
„Verschwinde." Zischte ich und fletschte die Zähne wie ein Tier.
Die Uni war mein einziger Hauch von Freiheit. Hier konnte keiner der Organisation sein, egal aus welcher Riege oder aus welchem Zweig. Han und Felix checkten das jedes Semester ab. Ich wollte an einem Ort sein, an dem ich mich für wenige Stunden am Tag nicht darum sorgte, ob mein Handeln Konsequenzen mit sich brachte.
„Ich war eher hier." Gurrte er.
„Das ist mir egal." Hauchte ich. „Verpiss dich." Die Uni war mein Revier!
Seonghwa lehnte sich zurück, sah nach vorne und lachte.
„Ich mag dich Cheonsa." Beschloss er und drehte seinen Kopf über den Nacken.
„Ich dich aber nicht." Biss ich zurück und rückte ein Stück von ihm weg.
Seonghwas Lachen wurde herzlicher. „Das ist wirklich schade." Beteuerte er und sah wieder zu mir. Seine Augen wirkten dämonisch, als sah er direkt in meine Seele und versuchte zu ergründen, was ich über ihn dachte.
Ich schauderte unter seinem Blick und an den Gedanken daran, was er mir antun konnte.
„Vielleicht wirst du mich besser leiden, wenn wir uns kennenlernen?"
Seonghwa schob den Kaffee jetzt direkt vor meine Nase. Ich wollte seinen dämlichen Kaffee nicht. Ich wollte in Frieden an der Vorlesung teilnehmen und den Tag überstehen.
„Ich will dich nicht kennenlernen." Wies ich ihn wiederholt ab und sah ihn aus grimmigen Augen an.
Er seufzte theatralisch und tat, als ob ich ihn eben mit einer Pistole erschossen hätte. „Das tat weh, dabei erschien es mir, als hätten wir nach dem Rennen damals einen Moment gehabt." Er wagte es behutsam nach meinem Unterarm zu greifen, doch stoppte sich erneut davor mich ungefragt zu berühren.
„Wir hatten keinen Moment, du hast versucht mich umzubringen, das war der Moment." Zischte ich, setzte an, meine Sachen in einer Bewegung vom Tisch zu nehmen, doch wurde von der Vorstellung der Professorin aufgehalten.
Die Türen gingen zu und das Mikrofon am Pult sprang an.
„Ich hatte aber Schuldgefühle und bin nochmal zurück, um nach dir zu sehen." Beteuerte er und schenkte mir einen Blick, der bei mir gewiss nicht ziehen würde.
„Du wolltest zurück, um zu schauen, ob du Hyunjin auch wirklich umgebracht hast." Ließ ich die Bombe platzen.
Er spannte sich neben mir an und sagte eine ganze Weile nichts.
Ich schob den Kaffee zu ihm herüber und öffnete ein neues Dokument für die Vorlesung in Organisation.
Seonghwa blieb die nächste Viertelstunde bedrohlich ruhig.
Ich spürte seinen Blick auf mir und wie er verfolgte, was ich eilig mittippte.
„Wer hat dir das erzählt?" Frage er mich irgendwann und lehnte sich wieder zu mir herüber.
Er trug genau das gleiche Parfüm wie aus jener Nacht. Irgendetwas teures, dass an keinem Mann gleich riechen würde. Es hüllte ihn ein und wohlmöglich würde ich nach dieser Vorlesung genauso riechen wie er.
„Das geht dich nichts an." Brummte ich.
Eine Weile blieb er ruhig, dann klappte er aus dem nichts mein Notebook zu. Ich blickte ihn anmaßend an und stand kurz davor ihm sämtliche Flüche in sein Gesicht zu schleudern, aber sein Blick ließ mich innehalten.
Sein Blick machte mir Angst. Es musste jener sein, den viele vor mir als den letzten in ihrem Leben sahen, bevor Seonghwa ihnen ein Ende bereitete.
Das ganze Gesicht hatte er angespannt, kein Muskel zuckte sich, die Lippen waren aufeinandergepresst, als versuche er mich nicht im Hörsaal anschreien zu wollen.
Ich versuchte seinen Blick zu spiegeln und hob meinen Kopf.
„Wer hat meinen Fehler verraten." Jetzt war es keine Frage mehr, die er mir stellte. Der leichte Ton in seiner Stimme hatte sich gewandelt, als würde er mir jede Sekunde den Gnadenstoß ins Jenseits verpassen wollen.
Ich holte tief Luft, hielt sie für zwei Sekunden und pustete sie durch den Mund wieder aus. Eine Technik, die Han mir zeigte, um nicht völligst seinem inneren Wahnsinn zu verfallen.
„Ich habe es mir selbst zusammengereimt." Ich sah nach vorn und schielte seitlich zu Seonghwa herüber, der jede Regung in meinem Gesicht aktiv mitverfolgte.
„Wie." Seine Stimme, seidig tief und Bedrohlich grab sich durch meine Ohren.
Lügen wäre bei weitem einfacher gewesen, wenn er weniger attraktiv und nicht so furchteinflößend dreinschauen würde.
Ich machte den Mund auf, um einen Ton zu sagen, irgendetwas, um diesen Knoten in meinem Hals zu lösen. Aber aus mir würde nur Gibberisch rausquellen, wenn ich nicht gut nachdachte.
„Cheonsa, wie." Die Art wie er meinen Namen betonte überzog mich mit einer verfluchten Gänsehaut. Der Knoten in meinem Hals wandelte sich zu einem Kribbeln, dass sich durch meinen Bauch bis zwischen meine Beine zog.
Ich presste meine Oberschenkel zusammen und drehte meinen Kopf zurück zu ihm.
„Du müsstest mich töten, um es herauszufinden."
Jetzt kam ich ihm näher. So nahe, dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten.
Ich achtete darauf meinen Blick bestimmt und selbstsicher zu halten und ihn nicht aus seinem zu reißen, ganz egal wie sehr er mich in meinen Wahnsinn trieb. Die Tatsache, dass ich seit Monaten in Abstinenz lebte, machte es mir keineswegs einfacher.
„Und wenn du das tust, wissen wir beide, wen du dir alles auf den Hals hetzt."
Jetzt atmete Seonghwa sichtlich schwer und sah an mir vorbei.
Ich spürte die Blicke einiger der Studenten in den Sitzreihen um uns herum. Über die Jahre hatte ich gelernt Anwesende in solchen Situationen im Hinterkopf zu verdrängen.
„Allerdings. Was denkst du, wieso ich ausgerechnet hier aufgetaucht bin, um dich zu erwischen."
Seonghwa glitt mit seiner Hand unter den Tisch, ließ sie über mein Knie schweben und lehnte sich mit seinen vollen plumpen Lippen zu meinem Ohr.
„Cheonsa..." raunte er beherrscht und abdriftend in eine sündhaft sinnliche Tonlage.
Ich kniff mich an Han's Atemtechnik fest. Einatmen, zwei Sekunden anhalten, durch den Mund wieder aus.
„... Wer hat mich verraten."
Er achtete darauf mich nicht zu berühren. Zu Beginn erschien das Ganze zu meinen Gunsten.
Jetzt, so sehr ich mich hasste, sehnte ich mich nach seiner Hand auf meinem Knie, meinem Oberschenkel, meinem Arm.
Ich tat es ihm gleich, doch behielt meine Hand über dem Tisch. Meine Finger flogen über seine Wange zu seinem Kinn. Ich zog sein Gesicht von meinem Ohr weg. Mit meinem Daumen strich ich ihm über die Unterlippe und ließ ihn da ruhen.
Seonghwa schien als erster von uns beiden zu Bröckeln. Er schloss die Augen und ein merkliches Beben huschte durch seinen Körper.
„Ich. Du warst dumm, wenn du glaubst dein Ausgang in jener Nacht sah für mich aus wie ein Zufall."
Ich rutschte mit meinem Daumen von Seonghwas Unterlippe und ließ sie knapp darunter ruhen.
„Ich weiß zu was du dazugehörst und lass dir sagen, wenn du Hyunjin nur einmal versuchst etwas anzutun, wird von dir nichts übrigbleiben."
Seonghwas Lippen verzogen sich zu einem abartigen Lächeln, bei dem mir gleichzeitig in jeder Pore meines Körpers unausstehlich warm wurde.
Seine Hand legte sich auf mein Knie.
„Ist das eine Drohung?"
Ich wanderte mit meiner Hand von seinem Kinn zu seinem Hals, bestens bewusst, dass wir uns mitten in einer Vorlesung befanden und viele unsere Situation eben sehr unterhaltsam beobachteten.
„Das ist ein Versprechen."
Ich drückte zu, nur ein wenig, um ihm klar zu machen, dass ich ihn genauso in der Lage war ihn umzulegen, wie er mich.
Seonghwa lachte leise auf und entfernte seine Hand von meinem Knie, dass sich aufeinmal sehr kalt anfühlte.
Er legte seine Hand auf meine an seinem Hals.
„Dann glaube ich, dass wir uns in Zukunft sehr gut verstehen werden."
Völlig aus der Bahn geworfen von seiner Reaktion, nutzte er die Gelegenheit um meine Hand von ihm zu entfernen und sie sanft los zulassen.
„Wir werden zusammenarbeiten Cheonsa." Bestimmte er und legte den Kopf schief.
Ich schoss Han's Atemtechnik in den Wind und atmete Fassungslos aus.
„Was?" zischte ich.
„Ich hab gehört, du bist nicht leicht zu brechen. Zudem hast du eines der bekanntesten Teams der Organisation an deiner Seite und bist Kai so nah, wie ihm nie jemand war."
Ich sah ihn ein wenig dümmlich und überfordert an.
Jetzt hatte er meine Fassade zum Fallen gebracht.
„Ich habe Minho selbst von dem Zwischenfall während des Rennens berichtet. Ich kenne ihn nicht gut, aber habe gehört er hat ein gutes Band zu dir. Das war hilfreich, um einige Sachen über dich in Erfahrung zu bringen." Säuselte Seonghwa als hätten wir uns nicht eben gegenseitig mitten im Vorlesungssaal an die Kehle gehen wollen oder unter die Gürtellinie. „Er redet gern von dir, wie ein großer Bruder über seine kleine Schwester."
„Es ist kein Zufall, dass du in dieser Vorlesung sitzt." Erkannte ich.
Seonghwa nickte.
„Ich hab meine Leute, wie du deine. An deinen Stundenplan zu kommen, war für sie wie ein Kinderspiel. Uniserver sind ein Witz." Er wandte sich der Vorlesung zu und besah seine Hand.
„Bist du Irre? Ich werde bestimmt nicht mit dir Zusammenarbeiten." Redete ich ihm und mir aus.
„Und was ist, wenn ich dir dadurch einen deiner größten Wünsche erfüllen kann?"
Meine Ohren stellten sich auf, ohne dass ich es wollte. Mein Bewusstsein zwang ich der Vorlesung zu folgen.
Die Professorin, Mrs Kang, redete eben über die Wichtigkeit von Strukturen in einem Unternehmen.
Sie hatte nicht viel Zeit mit ihrer Vorstellung und ihren literarischen Grundlagen verschwendet.
„Ich bin wunschlos glücklich." Widersetzte ich mich seinen Worten.
„Sicher?" Ich nahm im Augenwinkel wahr, wie er sich in seinem Stuhl zurücklehnte.
„Sicher." Bestätigte ich klappte mein Notebook wieder auf und tippte das eben gesagte der Professorin akribisch mit, selbst nur aus dem Zwang heraus mich von der eben geschehenen Situation abzulenken.
„Du willst also Kai nicht dafür bluten lassen, was er dir angetan hat?"
Ich achtete darauf keine zu starke Reaktion zu zeigen und mich weiter unbeirrt auf den Vorlesungsinhalt zu konzentrieren.
„Du willst nicht, dass andere kleine Mädchen von ihm verschont bleiben und dem was er mit ihnen macht?"
Ich ballte meine Hände nicht zu Fäusten und dachte in keiner Silbe darüber nach, was Seonghwa mir anbot.
„Du weißt besser als jede andere was er mit ihnen macht. Wohin sie kommen und was aus ihnen zum Wohl der Organisation wird."
Das war doch krank! Die Guerillas waren doch im näheren Sinne dafür verantwortlich, dass alle diese Mädchen in Kais Hände gerieten! Jetzt wollte Seonghwa davor aufeinmal einen Riegel davor schieben?
„Verarsche wen anders." Zischte ich Seonghwa zu und klappte mein Notebook zusammen.
„Richte Kai aus, er kann sich seine Falle in den Arsch schieben. Ich lass mich nicht von dir verarschen."
Ich schmiss meine Technik und mein Getränk in meine Tasche, schnappte mir meine Jacke und floh aus dem Vorlesungssaal zurück auf den Gang.
Keine Sekunde später folgte mir Seonghwa und noch bevor ich vor ihm fliehen konnte, bekam er mich an der Schulter zu fassen und schaffte es mich so zu wirbeln, dass er mich gegen die Wand drückte und mir viel zu nahe kam, erneut.
„Das ist keine Falle. Cheonsa, ich meine es tot ernst." Beteuerte er.
„Seine Machenschaften müssen ein Ende haben. Er muss ein Ende haben."
Ich suchte Seonghwas gesamtes Gesicht nach einem Hinweis auf eine Lüge ab.
Sein Blick wirkte weniger beherrscht, als er mich spüren lassen wollte.
Seine Hände drückten mich sanft gegen die Wand. Nicht, als würde er mich zu etwas zwingen wollen.
Sagte ich nein, würde er einen anderen Weg finden Kais Tun aufzuhalten. Sagte ich ja geriet ich in etwas, aus dem ich mein altes Trauma wieder aufwühlte, aber einer Menge junge Seelen das Leben rettete.
Etwas das ich damals nicht verspürte zu brauchen. Im Gegensatz zu vieler Mädchen unter Kais Zweig bekam ich das gleiche gelehrt, genoss aber vollkommene Unversehrtheit und Kais vollsten Schutz.
„Ich habe den Punkt verpasst, an dem das mein Problem ist." Ich lehnte den Kopf gegen die Wand und blickte ihn betont unbeeindruckt an.
Was würde ich bekommen, wenn ich ihm und seinen Leuten half Kai auszuschalten? Niemand würde mir meine Teenagerjahre und alles danach wiedergeben. Genauso wenig würde ich vergessen können, was ich durchgemacht hatte, wie sehr ich bluten musste mit dem Glauben es sei für mein bestes gewesen. Nur um Jahre später zu realisieren, dass nichts in diesen Jahren irgendwelche Vorteile für mich brachte.
„Weißt du nicht am besten, wie es diesen Mädchen erging? Willst du weitere leiden lassen, Cheongsa? Bist du so egoistisch? So kalt?"
Über die Jahre hatte ich gelernt einen Teil meiner Gefühlsregion auszuschalten. Eher, es wurde mir gezielt beigebracht bestimmte Gefühle nicht an mich heranzulassen. Mitgefühl war eines davon.
„Ja." Stieß ich ihm entgegen.
„Weil mir keiner diese Jahre wiedergeben kann, Seonghwa." Ich befreite mich aus seinem Griff, schubste ihn aus meinem Weg und eilte von ihm weg.
„Du darfst ihn eigenhändig umbringen Cheonsa!" rief er mir hinterher.
„Am Ende, wenn wir ihn haben, dann darfst du ihn büßen lassen, für alles, wirklich alles. Keiner wird dazwischen Grätschen, keiner wird dich aufhalten. Du darfst mit ihm machen, was du willst, und dann seid ihr Frei, du, Hyunjin, dann sind wir alle frei."
Die Hoffnung und Überzeugung, mit der er mir seinen Plan versuchte anzudrehen machte mich krank.
Ich hielt inne und drehte mich zu ihm um.
„Ich habe noch zwei Bedingungen."
Seonghwa kam auf mich zu, in seinen Zügen Erscheinungen der Erleichterung.
„Was du willst." Lenkte er ein und machte eine offene Geste mit seinen Armen.
Meine Bedingungen waren so aus der Luft gezogen, wie absurd, aber ich musste sie erfüllt wissen, nur um zu sehen wie weit er wirklich ging um mich und die anderen in Gefahr zu bringen.
„Wir genießen euren Schutz. Sobald Kai Mordpläne gegen einen meiner Leute verhängt, bin ich die erste, die Bescheid weiß."
Seonghwa nickte und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Selbstverständlich."
„Zweitens. Ich will das du mir verrätst und beibringst, wie du ungesehen und ungehört hinter mir hergefahren bist."
Seonghwa nickte erneut. „Deal."
Er schloss die letzten Schritte zu mir auf und hielt mir seine Hand hin.
„Sollte sich das alles als Falle herausstellen, werde ich dich ebenfalls umbringen." Schwor ich ihm und zum dritten Mal nickte er.
„Das darfst du gerne."
Ich sah mich auf dem Gang um, als erwartete ich, dass Kai samt Knarre in der Hand aus irgendeiner Ecke auftauchte und mich dem Erdboden gleichmachte. Als ich sicher war, dass mich keine Kugel traf, sobald ich Seonghwa einwilligte, reichte ich ihm meine Hand und besiegelte damit eine Zusammenarbeit von der ich keine Ahnung hatte, wie sie funktionieren sollte.

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