11/Ohne Aussicht auf Rettung

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Elena

Till und Ben heißen eigentlich Tillmann und Benjamin. Keine Ahnung wie unsere Eltern auf genau diese Namen gekommen sind, meiner Meinung nach passen sie irgendwie nicht so richtig zusammen und klingen etwas seltsam, wenn man sie direkt nacheinander laut ausspricht...

Stürmisch falle ich meinen Zwillingsbrüdern um den Hals, die sich überhaupt nicht ähnlich sehen und auch komplett verschiedene Interessen haben. Als Kind dachte ich immer, dass sie sich doch eigentlich ähnlich sehen müssen, immerhin ist das ja bei Hanni und Nanni auch der Fall. Bis ich gelernt habe, dass es sowohl eineiige Zwillinge, als auch zweieiige gibt...

„Wie geht's dir, Sissi?", fragt Till  und drückt mich an seinen strammen Oberkörper. Seine Muskeln drücken sich durch das T-Shirt, das er anhat und ich kann irgendwie verstehen, warum Nadia gestern dermaßen von ihm geschwärmt hat.

Ben dagegen wirkt neben seinem Zwilling eher etwas schmächtiger, kann aber dafür mit seinen blonden Locken punkten, die ihn wie einen Engel aussehen lassen.

Dabei ist er alles andere als das...

Es gab eine Zeit, da war er ein richtiges Arschloch, um es noch harmlos auszudrücken. Irgendwann in seiner Pubertät meinte er doch wirklich, dass er am Rad drehen will und er hat damals ziemlich viel Mist gebaut.

„Es ging schon mal besser", fällt meine knappe Antwort aus und ich luge in das Gitterbettchen, in dem Fred schlummert.

„Ist das Freddy?", fragt Ben scherzhaft, nachdem er meinem Blick gefolgt ist. „Wie lange ist es her, seit ich euch damals im Krankenhaus besucht habe? Es kommt mir vor wie gestern und jetzt schau dir nur diesen riesigen Kerl an... Wahnsinn, ey."

„Er ist heute auf den Tag genau sechsunddreißig Tage alt, dabei kam es mir auch erst wie gestern vor, dass er geboren wurde. Und es ist..." Ich überlege fieberhaft, wie ich die nächsten Worte ausdrücken soll, aber ich bekomme sie einfach nicht in meinen Gedanken geformt. „Er ist erst fünf Wochen auf der Welt und eigentlich sollte ich glücklich sein...Aber ich...ich schaffe es einfach nicht. Zumindest nicht für lange."

„Sissi, ich bin immer für dich da, wenn du jemanden zum Quatschen oder einfach nur ausheulen brauchst", meint Till. „Du musst da nicht alleine durch und ich bin froh, dass Nadia auch an deiner Seite ist. Sie ist... Sie ist wirklich klasse." Er errötet etwas und tastet sich unbeholfen im Gesicht herum, als könne er so die Farbe wieder ändern oder gleich ganz daraus verschwinden lassen.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du sie geknutscht hast?" Ich stupse ihm scherzhaft in die Seite, was ihn sofort zusammenzucken lässt. Mein Bruder geht auf Abwehrhaltung, weil er total kitzelig an der Stelle ist und weiß, dass er sowieso als Verlierer dastehen wird.

„Es war einfach vieles, was im letzten Monat passiert ist und es muss wohl irgendwie total untergegangen sein", rechtfertig er sich. „Dieser Kuss entstand auch mehr aus dem Moment heraus und ehrlicherweise weiß ich nicht einmal, ob er was zu bedeuten hatte. Für mich irgendwie schon, aber ich bin mir einfach unsicher, wie Nadia dazu stand, bzw., steht."

„Na ja...Sie ist Feuer und Flamme", kichere ich. „Es sieht also fast so aus, als hätten wir bald ein neues Traumpaar, das wir bejubeln dürfen."

„Nur bei ihr bekomme ich dieses Gefühl im Bauch", sagt Till verlegen.

„Aw, Schmetterlinge?"

„Nein, eher so Magen-Darm", wirft Ben ein.

„Hahaha, sehr witzig, Benni Blümchen... Torööööööö", zieht Till seinen Zwilling auf.

„Ihr beide seit solche Kindsköpfe." Ich schüttele ernst mit dem Kopf, kann mir ein Grinsen aber nicht verkneifen.

„Jetzt mal ernsthaft...", meint Till und fährt sich durch das dunkelbraune Haar, das ihm vorne strähnig auf die Stirn fällt. „Ich glaube ich habe wirklich Schmetterlinge im Bauch, wenn ich an Nadia denke. Auf jeden Fall flattert irgendwas darin rum und es geht mir gehörig auf die Nerven, weil es einfach nicht aufhören will. Kannst du nicht irgendwas mit deiner Bestie drehen, Elena?"

„Du willst, dass ich Verkupplerin für euch beide spiele? Wo ich es jetzt erst erfahre, dass ihr beide hoffnungslos und ohne Aussicht auf Rettung, ineinander verknallt seit?" Empört schaue ich in die graublauen Augen von Till, der zunehmend nervöser wirkt. „Natürlich bin ich da dabei... Ich habe dich nur hochgenommen und wollte sehen, wie du darauf reagierst, Bruderherz." Mein Lachen ist beinahe fies, als ich ihn ein zweites Mal in die Seite kneife, aber dieses Mal habe ich weniger Gnade und kitzele ihn, was Till sofort auf die Knie gehen lässt und zu einem herzlichen, doch sehr lautem Lachen führt, das Fred aus seinem Nickerchen holt.

„Ich nehme ihn... Ich nehme ihn", ruft Ben und eilt zu meinem Sohn. Vorsichtig nimmt er ihn aus der Wiege und rümpft dann angewidert die Nase. „Ich glaube er hat eine Stinkbombe abgelassen. Vielleicht magst du ihn doch wieder übernehmen?"

„Es könnte sein, dass deine Angebetete nachher auch noch vorbeikommt", meine ich an Till gewandt, während ich Fred vorsichtig aus Bens Armen nehme. „Aber brich ihr ja nicht das Herz... Ich will mich nämlich ungern zwischen meiner besten Freundin und meinem Bruder entscheiden müssen. Dabei liebe ich euch beide viel zu sehr."

„Geht klar, Sir", sagt er scherzhaft, wird dann aber sofort wieder ernst. „Bitte melde dich bei Mama, Elena. Sie fragt jeden Tag nach dir, aber traut sich einfach nicht... Bitte ruf sie einfach an und wenn es nur für ein paar Minuten ist."

Dieser abrupte Themenwechsel gefällt mir so gar nicht und sofort wird mir heiß und kalt, während mein Herz kräftig gegen meinen Brustkorb schlägt.

„Ihr wisst genau, warum ich mich nicht bei Mama gemeldet habe, seit Armin gestorben ist." Es war so schön und losgelöst. Der Schmerz in mir, ganz weit weg, aber jetzt überrollt er mich wieder wie eine Lawine. Krampfhaft versuche ich die Schluchzer zu unterdrücken, die aus mir herausdrücken. Zum Glück holt mich Freds volle Windel wieder zurück ins Hier und Jetzt, so dass ich wieder Herrin über meine Gefühle werden kann. „Ich bin gleich wieder zurück."

Im Schlafzimmer lege ich meinen Sohn auf die Wickelkommode und lasse meinen Blick dann ganz kurz auf mein Bett gleiten.

Wie sehr ich Armin vermisse! Es zerreißt mich innerlich.

„Ich liebe deinen Papa von Herzen, kleiner Mann", wispere ich meinem Sohn zu. „Und er liebt dich von ganzem Herzen. Das darfst du niemals vergessen, mein Schatz."

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