Kapitel 4

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Zuerst musste ich nach Luft schnappen wegen dem vielen Blut. Aus einer Platzwunde über der Augenbraue lief die rote Flüssigkeit quer über sein ganzes Gesicht; seine Nase war ein wenig blau angelaufen, und eine Menge weiteres getrocknetes Blut klebte darunter, aber sie war wie durch ein Wunder nicht angeschwollen. Doch was mich wirklich gucken ließ, waren die Augen. Wer hätte gedacht, dass ein Idiot solche Augen haben konnte? Sie waren von einem solch durchdringenden, wunderbaren meerblau, dass ich meine eigenen nicht von seinen abwenden konnte, bis er sich dezent räusperte. „Und? Schlimm?". Seltsam, wie kleinlaut er war. Als ob ich ihn bei irgendetwas ertappt hätte.

„Lass mich das mal wegputzen". Ohne lange zu überlegen kramte ich nach einem Taschentuch, wollte einfach eine Hand auf seinen Kopf legen, um besser arbeiten zu können, hielt mich jedoch im letzten Moment noch zurück. „Ich ... äh ...". Verlegen deutete ich auf das Tuch. „Darf ich?".

Er zuckte die Schultern und senkte den Blick, womit endlich diese hypnotisierenden Augen, die mich so nervös machten, von mir abgewandt wurden. „Wenn du meinst". Das klang gar nicht mehr so angriffslustig wie vorher die ganze Zeit.

„Okay". Ich begann also, vorsichtig das Blut von seinen Wangen zu tupfen und, so gut es ging, die Wunde zu reinigen. Ich machte wirklich schnell, damit zumindest das Gröbste weg war. Und dabei wusste ich nicht einmal WIESO! Wieso machte ich das? War ich wirklich eine soziale Wohltäterin, die jedem half, wo es nur ging, oder war ich einfach nur neugierig auf das Gesicht, zu dem diese Augen gehörten?

Überraschenderweise hielt er sich ganz ruhig, schloss die Augen und moserte nicht herum, bis ich mein Werk vollendet hatte. Ich trat einen Schritt zurück, um das Taschentuch auf einer der Kisten abzulegen, bevor ich mich wieder dazu bringen konnte, ihn anzusehen.

Moooment.

Argwöhnisch beugte ich mich vor und studierte seine Gesichtszüge. „Ich kenne dich".

„Ach". Er sah aus, als ob er sich am liebsten wie sein Freund unter seiner Kapuze verkrochen hätte.

Jetzt, ohne dem ganzen Blut, kam er mir durchaus bekannt vor.

Du hörst dich an wie Niall Horan, wisperte Nicis Stimme in meinem Kopf.

Nicht. Dein. Ernst.

Ohne meinen Blick von ihm abzuwenden zog ich die Konzertkarte aus meiner hinteren Hosentasche, betrachtete eingehend die fünf Gesichter darauf, dann Ni, dessen Mund mittlerweile vor Entsetzen ein Stück offen stand, dann wieder die Typen auf dem Ticket. Ich konnte ein verblüfftes Keuchen nicht unterdrücken. Der Blonde in der Mitte, der grinste, als ob er kein Wässerchen trüben konnte. Auf der Karte waren seine Haare um einiges geordneter, er hatte weder Blut noch sonstigen Dreck im Gesicht, aber es bestand kein Zweifel. Der auf der Karte und der, der vor mir an einen Stuhl gefesselt dasaß, waren ein und die selbe Person.

Mein Mund klappte auf. „Du bist ...!".

Ein verzweifelter Blick von ihm brachte mich augenblicklich zum Schweigen. Seine Lippen formten eindringlich das Wort bitte! während er mit dem Kopf in Nicis Richtung nickte. Ich verstand. Das Letzte, was Niall Horan jetzt brauchen konnte, war ein Fangirl, das wahnsinnig herumsprang, kreischte und Selfies mit ihm machen wollte.

Benommen wankte ich zu Harry hinüber. Plötzlich war mir alles klar. Wieso diese beiden vermummt auf die Straße gingen, wieso sie sich bei Interviews gegenseitig Zeug aus der Tasche klauten, wieso sie Harry und Ni hießen und wieso Ni möglicherweise ein Einzelteil eines Mikrofons mit sich herumtrug.

Vor Harry zögerte ich kurz, dann schob ich die Kapuze herunter, unter der er die wirr vom Kopf abstehenden dunklen Locken und seine Gesichtszüge verborgen hatte.

Night Of Captivity (1D-FF)Where stories live. Discover now