16| Daheim

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Der Zug fährt im Bahnhof ein und dann öffnen sich die Türen.
Die 8a drängelt sich regelrecht nach draußen.
Denn egal wie schön Berlin doch war, Stuttgart ist um so vieles Schöner.
Doch mir ist die Schönheit jener Stadt im Moment so unwichtig geworden.
Gestern habe ich noch mit Jojo und Markus geredet.
Schonend wollten sie mir beibringen, dass Tim nun unsere Gang anführen will.
Dieses kleine Weichei.
Ich fand die Idee einfach nur scheiße und das habe ich Ihnen auch gesagt. Es gab einen großen Streit und nun haben wir entschlossen uns aufzuteilen.
Es funktioniert einfach nicht mehr.
Markus und Johannes wollen jetzt Carlos Beispiel folgen und auch ihr Abi schaffen.
Sie wollen es hier durchhalten.
Nun ist die Gang also wirklich zerbrochen und mit ihr bin ich auch am Boden angelangt.
Keinen Tag länger will ich in diese schreckliche Schule gehen und diese Leute sehen.
Ich fange eine Lehre an und dann verschwiende ich endgültig.
Es bringt doch sowieso nichts mehr.

Mit meinen Koffer in der Hand verschwiende ich so schnell wie nur möglich vom Bahnhof und laufe zu meinem Haus.
Das Geschrei von meinen Eltern kann man schon vom weiten hören und ich bleibe geschockt vor der Haustüre stehen.
Will ich da wirklich rein gehen?
Normalerweise wäre ich in so einer Situation gegangen und hätte mir mit Carlo meine Sorgen weggetrunken.
Doch nun bin ich alleine und zittere.
Ich nehme den Griff in meine Hand und bemerke, dass die Türe nicht abgeschlossen ist.
Ich betrete mit zitternden Knien den Vorraum und sehe sogleich meine Mutter welche meinen Vater anschreit.
"Ich brauche dich nicht"
"Na dann gehe ich halt"
Aber er wird nicht gehen. Ich kenne ihn doch.
Ich stelle meine Schuhe ab und probiere so leise wie möglich an ihnen vorbei zu kommen.
Doch ich stolpere über eine Weinflasche und liege gekrümmt auf dem Boden.
Das Klirren der Scherben macht meinen Eltern aufmerksam.
"Was fällt dir ein!", meint mein Vater mit wütender Stimme und zieht mich zu sich hoch.
"Es tut mir leid"
Mein Knie schmerzt und ich muss mir die Tränen unterdrücken.
Eine Glasscherbe steckt richtig tief drinnen.
"Wir werden ja sehen ob es dir leid tut"
Er holt seine Hand aus und kurze Zeit später brennt meine Wange vor Schmerz.
Sie tut so weh.
Ich will meinen Blick abwenden, doch mein Vater hebt meinen Kopf zu sich hoch.
Sein Atem stinkt nach Alkohol und seine Augen mustern mich.
Dann lässt er mich los.
Meine Mutter macht nichts dagegen.
Warum hilft sie mir nicht?
Ich schreie auf als ich direkt auf mein Knie falle.
Doch lange sitze ich nicht da.
Ich stehe auf und humple zum Badezimmer, sperre es ab und versuche die Glasscherben aus meinem Knie zu bekommen.
Es tut höllisch weh.
Schreie entfliehen mir.
Ich hole einen Verband und verbinde mein Knie.
Dann stehe ich auf, betrachte mich im Spiegel und fange an zu weinen.
Meine Wange glüht rot auf, auf ihr der Handabdruck meines Vaters.
Ich halte das alles nicht mehr aus.
Zaghaft nehme ich eine Rasierklinge von meinem Vater in die Hand.
Er wird es nicht merken, dass sie fehlt.
Das hat er noch nie.
Ich stülpe meinen Ärmel hoch und setzte an, ziehe durch.
Der Schmerz den ich jetzt spüre ist um so vieles erträglicher, als der an meinem Knie oder der Schmerz der sich tief in mir drinnen befindet.
Erneut setze ich an, hole Luft, ziehe durch.
Der Schmerz versteckt die eigentlichen Wunden.
Ich tue es nicht zum ersten Mal.
Nein, ich war schon oft genug unten angekommen.
Es ist eine Sucht, man kann sie nicht einfach beenden.
Erneut setze ich an und ziehe ein letztes Mal für heute durch.
Weine auf meinen verletzten Arm.
Starre eine Weile nur darauf, doch dann hole ich das Verbandszeug wieder hervor. Verbinde meinen Arm und ziehe meinen Ärmel wieder nach vorne.
Draußen streiten meine Eltern immer noch.
Deshalb lehne ich mich an der Türe an und rutsche auf den Boden hier bleibe ich sitzen.
Ich hole Kopfhörer aus meiner Hosentasche und stecke sie mir in die Ohren.
Tränen rollen unkontrolliert meine Wangen hinunter.
Ich halte das alles nicht mehr aus.
Vor ein paar Wochen, hatte ich Carlo angerufen.
Er wäre gekommen und zum Badezimmer hoch geklettert, er hätte es sich mit einem Picknick Korb neben mir gemütlich gemacht und zusammen würde ich das Geschrei von außerhalb verdrängen. Wie letztes Mal.
Die Erinnerung daran Schmerzt.
Denn Carlo wird nicht kommen.
Er wird mich alleine lassen. Er ahnt ja auch nicht was hier gerade vor sich geht.
Ich sollte nicht mehr an ihn denken.
Mein Handy ist jetzt eigentlich auch nutzlos.
Denn bis heute habe ich nur mit Carlo geschrieben und jetzt wo sich die Gang aufgelöst hat habe ich niemanden mehr.
Mein Leben lohnt sich eigentlich gar nicht mehr.
Was hält mich noch?
Ich lehne meinen Kopf an die Tür und mache meine Augen zu.
Dieser Streit ist noch lange nicht zu Ende.
Wieso können sie sich nicht einfach trennen?
Es würde alles leichter machen.

Fremde [CroFf]Where stories live. Discover now