Teil 1

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Teil 1

Ever

Es gibt Momente im leben in denen alles einstürzt. Nicht das was man sich in den letzten Wochen oder Jahren aufgebaut hat. Nein es stürzt wirklich alles zusammen. Alles beginnt sich zu drehen. Nach links, nach rechts und um sich selber. Man scheint unter den Trümmern vergraben zu werden und für einen Moment schließt man die Augen und verliert sich. Wenn man denkt es kann nicht schlimmer kommen wird es das umso mehr. Etwas regt sich und verändert alles. Man muss nur einen Faden ziehen um alles zu zerstören. Alles was einem wichtig war verblasst immer und immer mehr bis es nur noch eine Erinnerung ist. Man verliert nicht nur sich selbst man verliert alles was je von Bedeutung war. Alles um einem herum macht keinen Sinn, ist so bedeutungslos wie man selbst.

„Wie konntest du ihr nicht sagen, dass er bald sterben wird?" Lorena's Worte hallten ununterbrochen in meinem Kopf herum und sorgten anschließend dafür, dass meine Knie nachgaben und ich zu Boden fiel. Ich fing mich mit einer Hand ab und hielt mir die andere an meine Brust. Lauter unsichtbare Messer stachen in jede erdenkliche Stelle meines Körpers. Ich krümmte mich unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Die Trümmer vergraben mich, rauben mir die letzte kraft und zerdrücken mich anschließend ganz. Ich zitterte nicht um genau zu sein konnte mein Körper keine einzige Reaktion zeigen. Die Blockade verbreitete sich in meinem Körper. Es fühlte sich so an als würde ich zu einer Steinskulptur werden.

Ein lautes schluchzten durchfuhr mich. Meine Tränen färbten einen kleinen Teil vom Teppich dunkler. Es wirkte so surreal, doch das war es nicht. Es war unfassbar, dass ich die ganze Zeit nicht gemerkt hatte dass Nando krank war. Seine blasse Haut kam nicht von der Kälte, sie kam davon weil er Todkrank war. Aber wie konnte das sein? Er hatte immer gelacht und gesund gewirkt. Ich will mir den Kopf anschlagen und das Gedächtnis verlieren. Ich will alles vergessen, die Zeit zurück drehen bis zu dem Moment meiner Geburt. Ich wünschte, dass mein Zwillingsbruder mich getötet hätte. Ich wünschte ich wäre nicht so ein Monster.

„Ever."

Es war Damian's verzweifelte Stimme. Er legte seine Hände auf meinen Rücken, doch ich schüttelte ihn von mir ab. Ich stellte mich wieder auf meine Füße, doch sie waren wackelig wie als würde ich auf Eis laufen. Irgendwie schaffte ich es mich auf Beinen zu halten, auch wenn ich das Gefühl hatte mein Kopf würde jeden Moment abfallen. Er wurde immer schwerer und schwerer.

„Wie konntest du mir das all die Zeit verheimlichen! Wie konntest du nur..."

Meine Stimme stockte. Ich schluchzte auf und kehrte Damian und seiner Mutter den Rücken. Meine Sicht war so verschwommen und meine Knie so weich, dass ich beinahe die Treppen hinunter flog. Ich hielt mich am Treppengeländer fest bevor ich weiter lief. Die Gäste im Wohnzimmer starrten mich entgeistert an, doch das war gerade das letzte was mich kümmerte. Meine Atmung ging stoßweise, während ich zur Haustür schlenderte. Meine Beine fühlten sich wie Blei an. Mit jedem Schritt den ich ging entfernte sich die Tür umso mehr. Ich bekam keine Luft mehr.

„Ever bleib stehen."

Damian's Stimme war ganz nah, doch sie konnte mich nicht aufhalten. Was war schlimmer als jeder Albtraum, den ich gehabt hatte. Schlimmer als der ganze Schmerz, den Damian mir angetan hatte. Schlimmer als jeder Schmerz der mir zugefügt wurde. Ich wollte und konnte es nicht wahrhaben. Nando würde nicht sterben. Das war unmöglich. Er war doch so jung. Er war nicht krank. Nando würde uns nicht verlassen. Gerade als ich nach der Türklinke griff, öffnete sie sich von alleine.

„Ever!" kreischte Nando fröhlich und schlang seine kurzen Arme um meine Beine. Der Klang seiner Stimme sorgte dafür, dass ich erneuert zusammenbrach. Doch diesmal war es nicht der Schock, sondern die Verzweiflung. Allein die Vorstellung daran, ich würde seine Stimme irgendwann nicht mehr hören bereitete mir eine Gänsehaut. Ich ging in die Hocke und schlang meine Arme um Nando's Körper. Als seine Locken meine Wangen kitzelten, wurde mein Griff um ihn fester. Ich schluchzte auf und fuhr mit meiner noch immer zitternden Hand über seinen Rücken.

TimelessWhere stories live. Discover now