Prolog

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Wir waren Jockeys, schon immer. Seit ich denken konnte waren wir Jockeys. Und wenn wir aufhörten Jockeys zu sein? Dann wurden wir Trainer. Mein Vater, mein Onkel, mein Großvater trainierten die vielversprechendsten jungen Rennpferde Großbritanniens. Sie machten aus Material, aus einem Einjährigen in wenigen Monaten Muskelpakete. Sie brachen schnell ihren Willen, schickten sie möglichst jung mit einem Jockey auf die Rennstrecke. Runde um Runde. Gegen die Zeit. Gegen ihre Weidenkumpanen. Doch spätestens, wenn sie es in den Sport schafften, gab es keine Weidenkumpanen mehr.

Schon viel zu früh hatte ich das Adrenalin kennen und lieben gelernt. Ich hatte die Angst und die gleichzeitig aufbrausende Energie in meinem Körper lieben gelernt. Es war wie eine Droge. Die Geschwindigkeit, die ein Rennpferd auf der Geraden erreichen konnte. Der Wind, der an deiner Haut, deiner Kleidung zog und davon zu träumen schien, dich vom Pferd zu stürzen. Das Donnern der Hufe auf der Rennbahn. Und wenn ich Donnern sage, dann meine ich das auch so. Im gestreckten Galopp ist das einzig hörbare Geräusch ein einziges Donnern und das unbändige Rauschen, gar Stürmen des Windes. Nichts um dich herum scheint einen Laut zu machen, alles ist stumm als wären die Menschen, die Vögel und alles andere ausgestorben. Und es gab die Momente, in denen ich mich fragte, ob nicht einfach die Zeit stehen geblieben war, während ich ritt - denn genau so fühlte es sich an. Wie auf Drogen, unglaublich schnell und doch im Vergleich zu anderem unglaublich langsam. Es war ein surreales Gefühl, ein mächtiges und doch machtloses Gefühl. Vielmehr als der Jockey hatte das Pferd die macht über uns. An ihm lag es, uns über die Ziellinie zu tragen. Mit uns über die Hecken zu springen. Oder uns einfach abzuschütteln und uns den Hufen der anderen zu überlassen.

Ich hatte schon immer vermutet, dass es nur an der Gutmütigkeit junger Pferde lag, dass sie uns dem nicht auslieferten. Sie wussten nicht, was wir ihnen antaten. Sie hatten keine Ahnung, wie gut sie es in ihrem Leben haben könnten. Sie kannte nicht die Liebe und Zuneigung, die ein Pferd von einem Menschen erfahren konnte. Nein, diese Pferde waren Sportgeräte, die dazu da waren, Profit zu erwirtschaften. Ihr einziger Nutzen war, Rennen zu gewinnen, dadurch ihren Preis zu steigern und fünf- oder sechsjährig, wenn sie bis dahin überlebten, in die Zucht zu gehen. Ja, wenn...


Es war der 12. Juni 2015 als ich mit dem 3-jährigen Schimmel in die Startbox getrieben wurde. Er hieß Breath of Life, ein ziemlich paradoxer Name für ein Rennpferd. Denn Breath war heute alles andere als ein Lebensodem, er war nicht einmal ein Hauch davon. Schon seit ich ihn von unseren Pflegern übernommen hatte, wirkte er wie ein Häufchen Elend. Er war schlapp und ließ nun sogar die grauen Ohren zur Seite hängen. Mir war schon jetzt klar, dass ich mit diesem Pferd heute nichts gewinnen würde. Eher würde er sich an der ersten Hecke aufhängen als sie zu überspringen.

Ich sah mich um. Noch hatte ich Zeit. Ich zog meinen Handschuh aus und strich ihm über den grauen Hals. Sein Fell war noch trocken, nichts deutete darauf hin, dass er krank war. Was zum Teufel hatte dieser Gaul denn dann heute. Testweise schnippte ich ihn leicht mit der Gerte an den Hals.

Mit einem Ruck erwachten seine Lebensgeister wieder. Die Mähne des Schimmels kam mir ein wenig zu schnell sehr nah und ehe ich mich versah, verließen seine Vorderhufe den Boden. Gerade bekam ich noch den ledernen Halsriemen zu fassen. Und dann hörte ich bereits das Schicksalhafte Klingen der Starglocke. Ich hatte bereits einen meiner Steigbügel verloren, doch sobald die Vorderhand von Breath wieder aufsetzte und sein Instinkt ihn vorwärts trieb, war auch der zweite Bügel überall, nur nicht dort, wo ich ihn gebraucht hätte.


Mein Blick war von einer dunklen Aura umgeben, als ich die Augen öffnete. Leicht hob ich den Kopf, ein Schmerz zog von meinem Bein in meinen Oberkörper, lähmte mich so sehr, dass ich es nicht wagte, mich weiter zu bewegen. Das einzige, was ich sah, war der weiße Hengst, der vor der Hecke suchend umhertrabte und sich schließlich entschloss wieder zurück zum Start zu trotten.

"Breath...", wisperte ich ihm zu, ehe mir schwindelig wurde. Mein Kopf knallte zurück auf das Gras und die Welt wurde schwarz.

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