Ankunft in einer neuen Heimat

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Die Landschaft zog am mir vorbei wie mein Leben vor meinem inneren Auge vorbeizog. Das einzige, was mich noch auf die Straße achten ließ, war mein Navigationsgerät, das gelegentlich mit seiner mechanischen Stimme darauf hinwies, dass ich abbiegen musste. Breath verhielt sich erstaunlich ruhig im Hänger, obwohl ich glaubte, dass er noch nicht verstand, was hier vor sich ging. Wahrscheinlich dachte er, er würde zu einem Rennen gefahren. Denn das war, was Rennpferden normalerweise passierte, wenn sie in Hänger geladen wurden. Dann waren sie schon beim Aussteigen heiß auf das Rennen. Die Kunst war es, sie so ruhig zu halten, dass sie das Rennen nicht schon vorher rannten. Wenn zu viel Unruhe ins Pferd kam, hatten sie nicht mehr genügend Kraft für das eigentliche Rennen und verloren. Und das war Wissen, das ich nie wieder brauchen würde - hoffte ich wenigstens. Ich hatte wirklich genug davon. Vor Monaten hätte ich niemals gedacht, dass ich jemals genug von dem Adrenalin kriegen könnte, das bei einem Rennen durch meine Adern schoss. Das mich hellwach machte und mich die Kälte des Windes und die Anstrengung gar nicht spüren ließ. Ich hatte geglaubt, ich würde auf ewig auf dem Hof meines Vaters arbeiten und eines Tages den Betrieb übernehmen - doch durch den Unfall hatte mein Leben eine völlig neue Wendung genommen.


Die Zeit war nur so an mir vorbei geflogen. Ich war einfach gefahren und gefahren, hatte den Anweisungen des Navis Folge geleistet und nur durch Zufall gemerkt, dass ich mein Zeil erreicht hatte, als ich auf einen schmalen Weg mit Kopfsteinpflaster abbog. Vor mir erhob sich das Eingangstor von Greenfield und hieß mich Willkommen wie ein alter Freund. Schon jetzt fühlte ich mich hier ein bisschen mehr zuhause als dort, wo ich herkam.

Im Hänger rumpelte es, scheinbar hatte auch Breath bemerkt, dass wir da waren. Ein helles Wiehern ertönte aus dem Hänger. Er roch die anderen Pferde und konnte es kaum erwarten, aus dem Hänger gelassen zu werden. Ob er wohl wusste, dass es hier kein Rennen zu laufen gab?

Als ich die Tür öffnete sog ich beinahe gierig die frische Stallluft ein. Irgendetwas hatte die Luft hier an sich, die sie so wunderbar machte. Hier war alles so unglaublich grün und freundlich. Hier konnte man die Zufriedenheit der Tiere beinahe spüren.

Zu gern hätte ich meinen kleinen Schimmel schon befreit, doch ich musste erst einmal jemanden finden, der mir sagen konnte, wo ich ihn unterbringen konnte. Deshalb ging ich schnellen Schrittes zum Hauptgebäude, wo Misses Johnson ihr Büro hatte.


"Misses Johnson?", fragte ich durch die Eingangstür, die in einen Flur führte, von dem einige Zimmer abgingen.

"Ja, hier bin ich!", erhielt ich prompt eine Antwort und die Hofbesitzerin trat kurze Zeit später aus einer der Türen. "Ah, Miss Meyers. Wunderbar, dass sie hier sind. Ich nehme an, Sie wollen erstmal ihr Pferd unterbringen?" Ich nickte einfrig.


Mit viel Gerumpel und Hektik stokelte der kräftige Schimmel aus seinem Hänger. Sobald er festen Boden unter den Füßen hatte, riss er den Kopf hoch und blähte seine Nüstern weit. Wie eine kleine Dampflock schnaubte er und sah sich aufgeregt um.

Ein Lächeln zeichnete sich auf meine Lippen. Er war so schön und stolz. In diesem Moment wirkte er wieder wie das Tier, das ich kennengelernt hatte, und nicht wie der gebrochene Hengst, der nicht mehr geritten werden wollte.

"Er ist wirklich imposant.", musste auch Misses Johnson zugeben. "Ein wenig kann ich schon verstehen, warum Sie ihn unbedingt mitnehmen wollten."

"Es liegt nicht nur an seiner Schönheit. Uns verbindet um einiges mehr.", murmelte ich leise, viel eher zu mir selbst als zu ihr.

Breaths Ohren zuckten kurz zu mir, als ich sprach. Damit hatte ich scheinbar seine Aufmerksamkeit zurück. Langsam senkte er den Kopf und sah mich aus seinen tiefbraunen Augen an. Lächelnd strich ihm über die graue Nase. "Na komm, jetzt siehst du erstmal dein neues Zuhause."


Die Box, in der er für die Zeit der Eingewöhnung stand, befand sich in dem U-förmigen Stalltrakt. Sie war schön hell und von angemessener Größe. Im Futtertrog lagen bereits ein paar Möhren bereit, die Breath jedoch vor Aufregung erst gar nicht anrührte. Fast wäre er mir wieder aus der Box gelaufen, doch ich war schneller mit der Boxentür als er auf seinen Beinen nach der langen Autofahrt.

"Nana, du bleibst schön da drin.", grinste ich und strich ihm liebevoll über die Stirn. Er schnaubte beinahe resigniert und drehte sich dann um, um seine Box zu inspizieren.

"Er bleibt dort erst einmal ein paar Tage zum Eingewöhnen. Dann wird er mit ein paar anderen Hengsten auf eine Koppel gestellt und darf dort zum ersten Mal in seinem Leben richtig Pferd sein. Das heißt für Sie, dass Sie erst einmal Zeit haben, sich einzuarbeiten und die ersten Dressurreitstunden zu nehmen.", wurde mir auf dem Rückweg zu meinem auto erklärt.

"Werden Sie mir die Reutstunden geben?", fragte ich wissbegierig nach und freute mich schon ein bisschen darauf, richtig reiten zu lernen. Natürlich konnte ich reiten, ich blieb sitzen in allen Gangarten und war auch schon oft ausgeritten, aber richtige Dressurreiterei war mir ein Fremdwort.

"Nein, dass wird Matt, unser Bereiter machen. Er wird dich auch betreuen und soweit es ihm möglich ist, einarbeiten. Du hast ihn vielleicht schon gesehen. Blonde, kurze Haare, relativ jung." In dem Moment ging mir ein Licht auf. Sie meinte doch nicht etwa... "Mr. Griesgram?", rutschte es mir heraus. Und Misses Johnson fing an, herzlich zu lachen.

"Ja, er kann durchaus manchmal etwas griesgrämig sein. Du hast ihn also schon kennengelernt."

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