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„Geht's wieder?", fragte Taddl und strich mir etwas unbeholfen über meinen Rücken. Ich saß schon gefühlte achthundert Jahre auf den Fliesen im Badezimmer und beugte mich über die Toilette, um auch den letzten Rest des Alkohols aus meinem Magen zu würgen.
Taddl reichte mir ein Glas Wasser, mit dem ich meinen Mund ausspülte, doch der ekelhafte Geschmack blieb erhalten. Mit wackeligen Beinen erhob ich mich, Taddl hielt mich behutsam im Arm fest, was mir Sicherheit bot. Mit halb geschlossenen Augen griff ich nach meiner Zahnbürste, die mir gleich darauf herunter fiel.
Ich klammerte mich an das Waschbecken, während Taddl die Zahnbürste aufhob, mit Zahnpasta bestrich und vor mein Gesicht hielt. Müde schielte ich darauf und wollte sie gerade nehmen, als Taddl mein Kinn nach unten drückte, sodass mein Mund sich wie von selbst öffnete, und die Zahnbürste in diesen führte.

Ich fühlte mich wie ein zweijähriges Kind, was selbst noch nicht in der Lage war sich die Zähne zu putzen oder zu waschen, als Taddl mir immer wieder Anweisungen wie „Mach' ahh", „Weiter auf" oder „Lächel' mal" gab. Zum Schluss spülte ich meinen Mund ein weiteres Mal aus und tapste Richtung Zimmer, mit Taddl an meiner Seite.
Dieser schob mich bestimmend in das Wohnzimmer, wo er sich neben mich auf das Sofa setzte. Um nicht einzuschlafen stützte ich mein Kinn auf meinen Handballen ab und riss meine Augen anormal weit auf.
„Ich bin müde."
„Du darfst schlafen, wenn du mir das", er zeigte auf das Bad, „erklärt hast." Seufzend drehte ich mich zu ihm und sah direkt in seine stahlblauen Augen, die mich enttäuscht musterten.
„Irgendwie hab' ich was getrunken", flüsterte ich, da meine Stimme immer noch angeschlagen war.
„Irgendwie?" Ich nickte. Natürlich wusste ich den Grund. Doch den würde Taddl nicht erfahren, noch nicht. Mein Gehirn schaltete sich langsam wieder an und schrie, dass er die Wahrheit verdient hatte. Das letzte Mal, als ich mich in dieser Situation befand, wollte es mich dazu überreden, Ju nicht zu küssen. Genervt musste ich feststellen, dass es auch damals die richtige Entscheidung gewesen wäre. Die Erinnerung an jenen Tag tat mehr weh, als die unglaublichen Kopfschmerzen.

„Alles ok? Musst du wieder-"
„Nein, nein", entwarnte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Lieber wäre ich jetzt dicht in meiner eigenen Kotze gelegen, als Taddl nüchtern anlügen zu müssen. Ein ungewolltes Schluchzen kam aus meiner Kehle, ich biss mir sofort auf die Unterlippe.
„Brudi?", ein wohliger Schauer überkam mich, als Taddl mich mit diesem Wort ansprach. Er hatte es schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt und es war fast schon wieder in Vergessenheit geraten. Trotz unserer Beziehung waren wir Brudis und liebten uns auch so. Ich sah in Taddl meinen besten Freund, meinen Bruder und meine große Liebe. Vermutlich war das einer der Vorteile an meiner Sexualität.
„Hast du schon 'mal etwas getan, was du bis an dein Lebensende bereuen wirst?", fragte ich ihn, um das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken. Es stimmte, dass er die grausame Wahrheit endlich verdient hatte, auch wenn das vielleicht das Ende unserer Beziehung bedeuten könnte.
„Ja", antwortete Taddl mir sofort, woraufhin ich ihn fragend ansah.
„Ich habe Fehler gemacht." Er schien nicht genauer darauf eingehen zu wollen, da er auf den Boden schaute und stumm blieb.
„Ich auch", meine Stimme war immer noch leise, doch mit jedem Wort wurde sie lauter. Meine Müdigkeit wurde durch Angst ersetzt; ich wusste nicht, was mir lieber gewesen wäre. Gerade als ich wieder etwas sagen wollte, brach meine Stimme ab und versank in einem Wimmern, was ich selbst nicht verstehen konnte.

Taddl beugte sich zu mir vor, zog mich in seine Arme und lehnte sich zurück. Ich krabbelte auf seinen Schoß und ignorierte das schlechte Gewissen, als er mich zärtlich berührte. Diese liebevollen Berührungen hatte ich nicht verdient. Hass, Gewalt und Traurigkeit waren Dinge, die mir zustanden.
„I-ich", stotterte ich und spürte wie Taddls Shirt unter meinem Gesicht nass wurde. Dieser hob mein Kinn an und presste seine Lippen auf meine. Liebe versuchte mich einzunehmen, doch ich riss mich unsanft von ihm los. Ich hätte mich selbst schlagen können, als ich Taddls traurigen, besorgten Gesichtsausdruck bemerkte.
„Das hab' ich nicht verdient", schluchzte ich und wich ein Stück zurück. Spätestens jetzt war Taddl aufmerksam geworden und durchdrang mich mit seinen kalten Augen.
„Kannst du dich noch an den Tag erinnern, an dem wir unsere Prüfungen bekommen haben?" Ein Nicken seinerseits.
„Seitdem hat sich viel verändert", nach diesen Worten merkte ich, wie Taddl sich ein wenig anspannte. Aus Höflichkeit wich ich seinem Blick nicht aus und versuchte stattdessen seine jetzigen Gefühle zu erkennen.
„Ich hab' einen großen Fehler gemacht", begann ich und riss mich zusammen, damit ich nicht wieder in Tränen ausbrach. Dazu wischte ich mir mit dem Handrücken über's Gesicht und atmete tief ein und aus. Mein Herz klopfte, da die Angst Taddl zu verlieren sehr stark war. Leider hatte ich erst zu spät gemerkt, dass Taddl der Einzige war, der mich je glücklich machen könnte.

„A-als ich einmal beim Training war...", stotterte ich, jetzt konnte ich die Tränen nicht zurückhalten.
„Da hab' ich dich betrogen", schrie ich nun. Ohne eine Reaktion mitzubekommen wurde mir schwarz vor Augen. Mein ganzer Körper schien zu vibrieren, die Übelkeit stieg wieder an und der Gedanke, dass er mich jetzt hassen würde, schien meinen Kopf platzen zu lassen. Instinktiv krallte ich mich an Taddls Shirt fest und heulte hemmungslos.
Meine Augen brannten und verloren – obwohl sie zusammengekniffen waren – immer wieder salzige Flüssigkeit. Ich war mir sicher, dass ich in meinem Leben nie so ängstlich und traurig zugleich gewesen war, höchstens, als ich Angst um Taddl gehabt hatte, weil Tommy ihn bedroht hatte.
„Ich weiß", kam die trockene Antwort von ihm. Augenblicklich hörte mein Schluchzen auf, ich riss meine Augen auf und blickte in seine stahlblauen, die leer und feucht aussahen. Reflexartig ließ ich ihn los und wich noch ein bisschen von ihm zurück, er verfolgte jede meiner Bewegungen.
„W-woher?", hörte ich mich fragen. Taddl lächelte. Er lächelte gequält und schien angestrengt nachzudenken. Dann fiel mir wieder ein, wie abwesend er gewesen war, als er mich an diesem verhängnisvollen Tag abgeholt hatte. Hat er es etwa...?
„Ich hab's gesehen", erklärte er, damit war auch meine Frage beantwortet. Für Taddl muss es wohl das schlimmste sein, dass er seinen Partner mit jemand anderem gesehen hatte, doch ich war teilweise erleichtert. So musste ich ihm nicht erklären mit wem, wo, wann und wie weit wir gegangen waren.

Während ich immer noch darauf wartete, dass Taddl mich wegstieß, anschrie oder schlug, schien mein Körper völlig eingefroren zu sein. Herzschlag, Atem oder Gefühle waren wie abgeschaltet, so fühlte es sich jedenfalls an.
„Als ich dich abholen wollte, hab' ich euch gesehen. Ihr habt euch geküsst. Na ja, ihr saht ziemlich beschäftigt aus, deshalb bin ich eine Runde um die Häuser gefahren und dann kamst du mir entgegen gelaufen." Er sagte das so, als ob Ju und ich Jahre lang zusammen waren und er uns nicht stören wollte. Wie so oft in den letzten Tagen überlegte ich, ob es einen dümmeren Menschen als mich geben konnte.
„Du brauchst jetzt auch nicht sagen, dass es dir leid tut, da es nicht so ist. Vielleicht bereust du es, aber du hattest einen guten – oder schlechten – Grund um ihn zu küssen. Die Entscheidung, ob du weiterhin mit mir in einer Beziehung sein wirst, möchte ich dir aber abnehmen." Endlich kam mein Körper wieder in Gang, denn mein Gesicht – wie auch Taddls – wurde von Tränen überströmt.
„Ardian Bora", begann er und legte seine Hände auf meine zitternden Schultern.
„Es gibt nichts, was ich dir verzeihen könnte, also hör bitte auf zu weinen. Alles ist gut." War er etwa gerade dabei meine Untreue zu ignorieren?
„Nichts ist gut", flüsterte ich. Mittlerweile lag ich wieder schluchzend in Taddls Armen und ließ mich von ihm trösten, was wieder ungerechtfertigt war. Warum musste ich mich von ihm trösten lassen und nicht andersrum? Schließlich hatte ich einen Fehler gemacht, während er alles richtig gemacht hatte.
„Ich liebe dich doch, also wie könnte ich dich aufgeben?", fragte Taddl, ein Blick in sein Gesicht reichte, um zu sehen, dass seine Mauer gebrochen war. Seine Augen strahlten nicht länger Kälte aus, sondern Liebe, Traurigkeit, Erleichterung. Er weinte genau wie ich, jedoch lächelte er dabei. Schon wieder war er der vernünftige und schon wieder überraschte er mich mit seiner toleranten Art.
Es gab nichts, was ich hätte sagen können. Alles nötige hatte er übernommen, sodass ich mich einfach nur noch an ihn kuschelte, weinte und tausende Male sagte, wie sehr ich ihn liebte. Hoffentlich würde jetzt endlich alles gut werden.

Das Leben des Ardy (Tardy ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt