Hoffnungen

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Ich will gar nicht wissen wie lange ich mit offenem Mund und ungläubigen Blick im Flur stand und nur auf den Fleck starrte, wo Ashlee eben noch war. Es kommt mir vor wie ein Traum, ein besonders lebhafter, doch der in der Luft hängende Duft nach Ashlee beweist, dass ich nicht träume.
Sie hat mich umarmt und mir geraten einen Beschützer vor Collin zu suchen. Und mir ist die Antwort einfach so herausgerutscht.
Ich glaube, das habe ich schon.
Wollte sie es nicht verstehen oder hat sie es wirklich nicht verstanden? Denkt sie allen ernstes, dass ich mich in jemand anderen verliebt habe? Wenn sie in meiner Nähe ist? Wie könnte ich?
Es dauert noch ein paar Minuten bis ich mich so weit gesammelt habe und das Schulgebäude verlassen kann. Fast kein Schüler ist mehr unterwegs und der Lehrerparkplatz ist auch verlassen. Ich steige nachdenklich in meinen Wagen und verriegle die Tür, dann erst lehne ich meinen Kopf an die Kopfstütze und atme tief aus.
Was wäre passiert, wenn Ashlee nicht gegangen wäre. Hätte ich sie geküsst? Oder wäre ich doch in letzter Sekunde abgehauen.
Ich kann mir diese Fragen nicht beantworten und beschließe erst einmal in Ruhe über sie nachzudenken. Zuhause und in meinem Bett.
Gedankenverloren starte ich den Motor und lenke mein Auto auf die Straße. Glücklicherweise ist gerade wenig Verkehr und ich bin sogar ein bisschen schneller als sonst.
Als ich aussteige, ist alles friedlich und ruhig, nur aus der Wohnung meiner neuen Nachbarin zieht ein verlockender Duft nach draußen.
Ich schnuppere einmal und muss feststellen, dass es sich wohl um Pfannkuchen handelt. Es ist zwar bereits Mittag, aber das scheint Emily nicht zu stören.
Da mir selbst bereits der Magen knurrt, steige ich schnell die Treppen zu meiner Wohnung hinauf und lasse, oben angekommen, meine Tasche auf einen freien Stuhl fallen.
"Liebling, ich habe dir schon etwas gekocht!"
Ich zucke heftig zusammen und unterdrücke einen kleinen Schrei, indem ich meine Hand auf den Mund presse. Doch niemand anderes als meine Mutter kommt mit ihren Krücken in den Flur gehumpelt und winkt mir fröhlich zu.
"Hallo Ma, was machst du denn hier?", frage ich erleichtert und ziehe auch meine Jacke von den Schultern und die Schuhe aus.
"Wie gesagt, ich habe für dich gekocht. Meinem Fuß geht es schon viel besser und ich musste mich doch revanchieren, dafür dass du nachts noch einmal zu mir fahren musstest!", lächelt Kate und winkt mich zu meinem Esstisch. In der offenen Küche gleich daneben, stehen unzählige Töpfe auf dem Herd und blubbern vor sich hin. Mit einem kopfschüttelnden Lächeln setze ich mich hin.
"Das war doch selbstverständlich, Ma. Du hättest dasselbe für mich getan."
"Nun lass gut sein, Liz und iss lieber etwas. Ich bin nämlich noch wegen etwas anderem hier", verrät meine Mutter und ich ziehe eine Augenbraue hoch.
"Wegen was?"
Doch sie schweigt eisern und beginnt erst zu sprechen, als das ausgezeichnete Essen aufgegessen und der Tisch abgeräumt ist.
"Chloe hat sich bei mir gemeldet. Sie meinte, ihr hattet eine unglückliche Konversation und danach hast du dich nicht mehr gemeldet. Sie macht sich Sorgen um dich."
Ich fasse mir an die Schläfe und sehe betreten auf die Tischplatte.
"Ja, das stimmt. Ich habe sie im Flur stehen lassen und dann nicht mehr viel mit ihr geredet. Momentan habe ich meine Gedanken einfach immer woanders", gebe ich zu und werde von Kate mit einem wissenden Blick bedacht.
"Es ist wegen diesem Mädchen, oder Kleine? Du denkst nur an sie, hab ich Recht?"
Ihre Stimme ist mitfühlend und ich nicke nur knapp.
"Ich denke Tag und Nacht an Ashlee. Wenn sie in meiner Nähe ist, kann ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Es ist, als würde mein Blick pausenlos von ihr angezogen."
Meine Mutter greift nach meinen Händen und hält sie liebevoll fest.
"Du bist verliebt, mein Schatz, das ist normal. Mich hat es sowieso gewundert, dass du mir solche Sachen damals nie von Collin erzählt hast. Wenn du über Ashlee redest, bekommst du ein Leuchten in die Augen, das einer Mutter das Herz aufgehen lässt. Glaube mir, ich sehe dir an wie vernarrt du in diese junge Frau bist. Warum wechselt nicht einer von euch die Schule, damit ihr zueinander finden könnt?"
Ich ziehe die Schultern hoch und sehe Kate verzweifelt in die Augen.
"Ich kann nicht wechseln. Ich bin gerade erst hier her gezogen und kann mich nicht ohne Grund versetzen lassen. Außerdem nicht mitten im Schuljahr, wenn dann müsste ich bis zum Ende des Jahres warten. Und Ma, das halte ich nicht aus!"
Meine Stimme ist dünn geworden und ich beiße mir auf die Unterlippe um nicht los zu weinen. Die Ausweglosigkeit der Situation lastet schwer auf mir.
"Und deine Schülerin? Kann sie nicht wechseln?", fragt Kate hoffnungsvoll.
"Selbst wenn, wie soll ich das ihren Eltern erklären? Und wie soll ich ihr überhaupt sagen, dass ich mich in sie verliebt habe? Wahrscheinlich ist sie entsetzt und will nichts mehr mit mir zu tun haben! Und dann habe ich sie für immer verloren."
Eine Träne rollt über meine Wange und meine Hände zittern unkontrolliert. Ohne ein Wort zu sagen, breitet meine Mutter die Arme aus und ich laufe schnell um den Tisch herum, damit ich mich an sie kuscheln kann. Ich bin zwar schon lange erwachsen aber sie ist und bleibt meine Mutter.
"Liebeskummer ist immer schlimm, Liebling. Aber du wirst daran zerbrechen, wenn du Ashlee nicht sagst was du für sie fühlst. Und vielleicht hast du Glück und sie liebt dich auch!"
Bei ihren tröstenden Worten bildet sich ein kleiner Hoffnungsschimmer in meiner Brust, der aber sofort wieder erlischt.
"Du kennst Ashlee nicht, Ma. Sie ist wunderschön, sie könnte jeden haben. Oder jede", versuche ich ihr klar zu machen aber Kate runzelt nur die Stirn.
"Und bist du das vielleicht nicht? So toll kann dieses Mädchen gar nicht sein. Hast du vielleicht ein Bild von ihr?", fragt sie und ich muss sogar ein wenig Lächeln.
"Danke, Ma. So schrecklich bin ich vielleicht doch nicht", ich wische mir die Tränen ab und löse mich dann aus der Umarmung meiner Mutter,"vielleicht ist ein Bild auf der Homepage der Schule. Klassenfotos oder so etwas."
Ich hole meinen Laptop aus meinem Schlafzimmer und setze mich neben meine gespannte Mutter. Dann gebe ich den Namen meiner Schule ein und klicke auf die Website. Zusammen scrollen wir die Startseite nach unten und sehen uns die verschiedenen Kategorien an. Bei 'Preise unserer Schüler' klingelt etwas bei mir.
"Ashlee und ihre Brüder sind richtig gut", füge ich erklärend hinzu, als ich besagte Kategorie anklicke und mein Herz klopf schneller, auch wenn ich Ashlee nur auf einem Bild sehen werde. Ich bin sehr gespannt, was meine Mutter zu ihr sagen wird.
Und tatsächlich! Es gibt ein Ganzkörperfoto von ihr und wieder einmal sieht sie umwerfend aus. Unter dem Bild steht 'erster Platz im Sprinten, Hochsprung und Ausdauerlauf. Herzlichen Glückwunsch an Ashlee Saper!'. Das erklärt natürlich die Sportkleidung an ihrem Körper, wobei das enganliegende Top sowohl ihren muskulösen Oberkörper betont, als auch ihre wahnsinnige Attraktivität unterstreicht. Die strahlend blauen Augen sind von schwachem Make-up dennoch fabelhaft in Szene gesetzt, die kupferbraunen Haare fallen ihr in Strähnen leicht ins Gesicht, was in mir das Bedürfnis auslöst, sie ihr hinters Ohr zu stecken und ihre roten Lippen sind zu einem perfektem kleinen Lächeln verzogen. Dieses Foto löst ungewollt einen heftigen Gefühlsausbruch im mir aus.
"Moment, ich brauche meine Brille", kommt es von Kate und ich warte angespannt ab, bis sie sie aufgesetzt hat und beobachte genau ihre Reaktion, als meine Mutter das Bild betrachtet.
"Eine hübsche junge Frau. Aber was mir besonders gefällt, ist das leichte Lächeln um ihren Mund. Siehst du das?", Kate deutet mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm,"es scheint ihr etwas unangenehm zu sein, dass sie als etwas Besonderes dargestellt wird. Bei einem Mädchen mit ihrem Aussehen hätte ich eigentlich mit einer natürlichen Arroganz gerechnet, aber da scheint Ashlee eine Ausnahme zu sein."
"Findest du wirklich?"
Ich sehe stirnrunzelnd auf das Foto und mustere es genau. Aber ich erkenne kein Zeichen der Unsicherheit.
"Natürlich. Du hast gesagt, dass sie dich vor Collin beschützt hat?"
"Ja, nicht nur vor ihm. Sie hat mich auch aus dem Weg gestoßen, als der Basketballkorb beinahe auf mich gefallen wäre", ergänze ich und lasse bestimmte Einzelheiten absichtlich weg.
"Was?! Das hast du ja noch gar nicht erzählt!", sagt Kate überrascht und auch geschockt, also beginne ich seufzend ihr alles von Anfang an zu erzählen. Vielleicht hilft es, wenn ich ihr so viel wie möglich über Ashlee und mich berichte. Vielleicht kann ich dann wieder besser schlafen.

With you everything changedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt