Rechte

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Ashlee
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"Bist du dir sicher, dass du nicht in meiner Wohnung bleiben möchtest?", fragt Liz mich erneut unschuldig und ich sehe ganz genau den kleinen Hoffnungsschimmer in ihren bittenden Augen. Wie sie so auf ihrem Bett sitzt und mich ansieht, erinnert sie mich stark an ein Kind, das noch nicht schlafen möchte und ich muss lächeln.
"Ja, ich bin mir sicher. Hier drinnen bekomme ich fast nichts mit, mal davon abgesehen, dass du mich mit deiner bloßen Nähe ablenken wirst", gebe ich sanft zurück und gehe hinüber zu ihrem Fenster um es zu öffnen. Der Nachtwind zieht kalt herein und ich atme tief ein um meine Sinne zu schärfen. Und auch weil mich Liz' Duft langsam aber sicher um den Verstand bringt.
"Ich hätte mich hingelegt und hätte geschlafen", brummelt Liz, während sie die Arme vor der Brust verschränkt und ich zwinkere ihr zu, bevor ich umkehre und vor ihrem Bett in die Hocke gehe.
"Natürlich hättest du das. Aber das hätte mich genauso abgelenkt", lächle ich und streiche ihr einmal zart über die Wange, was auch ihr ein kleines Lächeln entlockt.
"Bleib nicht zu lange draußen. Es ist kalt", erwidert Liz besorgt und ihre grünen Augen sehen mich eindringlich an, während ihre warmen Hände meine sanft umschließen. Und wie so oft jagt ihre Berührung kleine Stromschläge durch meine Haut.
"Keine Angst. Mir kann die Kälte nichts", beruhige ich sie, drücke meine Lippen kurz auf ihre Stirn und stehe dann langsam auf, ihre Augen folgen mir,"dir und deinem Fuß geht es auch soweit gut?"
Liz nickt mit dem Kopf und drückt meine Hände noch einmal kurz, dann lässt sie los. Da ich so aber nicht gehen will beuge ich mich kurz nach vorne, bis mein Kopf mit ihrem auf einer Höhe ist.
"Schlaf gut, Kleine", flüstere ich in ihr Ohr, was uns beiden ein kleines Lachen entlockt. Eines meiner liebsten Geräusche.
"Bis morgen, Ash."
Ich nicke schmunzelnd und streiche ihr ein weiteres mal über die Wange, dann gehe ich zum Fenster und mit einem letzten Blick auf die wohl schönste Frau der Welt springe ich in die Dunkelheit.
Der Boden unter mir ist kalt, als ich mich mit der Hand abfange um einen sicheren Stand zu haben. Meine Augen gewöhnen sich sofort an das wenige Licht und so kann ich auch die Person erkennen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf mich wartet. Hinter mir höre ich nur noch, wie Liz das Fenster wieder schließt.
"Ich dachte du bist zuhause?", frage ich verwundert, als ich bei Noah angekommen bin, der nur den Kopf schüttelt und mich an der Schulter packt. Und erst jetzt fällt mir der betrübte Ausdruck in seinen Augen auf.
"Was ist-?"
"Hör mir zu", unterbricht er mich, seine Stimme ist noch rauer als sonst,"Harold hat mich angerufen. Die Zeit ist um. Er wollte wissen, wie es um Liz steht."
Ich reiße überrascht die Augen auf.
"Was? Aber hatten wir nicht noch-?"
"Anscheinend nicht."
"Und was hast du ihm gesagt?"
In meinem Magen macht sich ein unangenehmes Ziehen breit.
"Die Wahrheit."
Fassungslos starre ich ihn an.
"Das kannst du nicht machen!"
"Ash, ich hatte keine Wahl! Soll ich ihn anlügen? Nur damit dann alle herausfinden, dass Liz nur ein ganz normaler Mensch ist?!"
Seine Stimme ist lauter geworden, aber auch in mir brodelt die Wut und ich schlage seine Hand von meiner Schulter.
"Sie ist kein normaler Mensch und das weißt du! Warum sonst hätte sie den typischen Geruch an sich?"
"Und warum hat sie dann nichts außergewöhnliches? Überleg doch mal, wir haben uns in etwas verrannt, was gar nicht existiert oder hast du irgendwelche übermenschliche Fähigkeiten bei ihr feststellen können? Ist sie besonders schnell? Stark? Schlau?"
Ich knurre wütend auf und balle die Hände zu Fäusten. Liz muss eine Auserwählte sein. Sie muss einfach!
Noah sieht mich wissend an und unter seinem Blick bekommt mein Herz einen Knacks. Denn tief in meinem Inneren weiß ich, dass er Recht hat.
"Nein, ist sie nicht", presse ich zwischen den Zähnen hervor und drehe mich um, damit mein Bruder nicht sehen kann, welcher Sturm in mir tobt.
Denn wir beide wissen was mit Auserwählten passiert, mit denen unsere Fraktion nichts anfangen kann. Haben nur wir Interesse an ihnen, dann lassen wir sie einfach wieder in Ruhe und es ist als hätte es uns nie gegeben. Wir verlassen die Stadt und suchen weiter, bis wir erneut jemanden gefunden haben. Sind aber auch die Revec an ihnen interessiert, wird die Sache um einiges komplizierter. Es tritt die Regelung in Kraft, dass die Fraktion das Recht auf Verteidigung des Auserwählten, die ihn zuerst entdeckte oder einen Anspruch geltend gemacht hat. Hat sie aber dann doch keine Verwendung für ihn, kann sie ihn immer noch an die andere Fraktion gegen einen festgelegten Geldbetrag verkaufen. Und genau das wird wahrscheinlich mit Liz passieren, wenn wir sie ausliefern. Eine andere Lösung gibt es nicht und ich weiß es.
"Das heißt du willst sie Harold übergeben?", frage ich leise, immer noch mit dem Rücken zu Noah, damit er nicht sieht wie hilflos ich mich gerade fühle.
"Wenn wir uns einfach zurückziehen, wird Collin sie genauso gut bekommen. Es tut mir leid, Ash."
Ich kann das ehrliche Bedauern in seiner Stimme hören und das lässt auch mir die Erkenntnis durch alle Venen zucken.
Ich kann Liz nicht mehr vor Collin beschützen. Sie wird ihm in die Hände fallen und ich kann nichts tun. Ich bin machtlos.
"Ich kann das nicht tun."
Meine Stimme zittert, als diese Wörter über meine Lippen kommen und ich versuche nicht meine Gefühlen die Oberhand gewinnen zu lassen.
"Wir haben getan was wir konnten. Wir haben sie beschützt und auf sie aufgepasst. Aber jetzt liegt die Entscheidung nicht mehr in unserer Hand. Harold und der Rat muss entscheiden."
Ich schüttle den Kopf und versuche ruhig und gleichmäßig zu atmen während tausende Gefühle und Gedanken versuchen mein Herz und meinen Kopf zu sprengen.
"Ich habe ihr versprochen, dass Collin ihr nie wieder weh tun wird! Aber wenn die Revec erst einmal fertig mit ihr sind, kann ich sie im Irrenhaus besuchen, wenn sie dann überhaupt noch lebt!"
Meine Stimme ist zu einem Schrei geworden und ich wirble herum um meinem Bruder in die Augen zu sehen, dessen Miene ausdruckslos geworden ist.
"Du kannst dich aber nicht noch einmal widersetzen, Ashlee! Alleine für dein Verhältnis zu Liz hättest du schon vor dem Rat landen müssen! Du hast deine Pflicht zu erfüllen, genau wie jeder andere von uns auch! Und du wusstest worauf du dich einlässt, als du dich zum Sucher ausbilden liest!", knurrt er und seine Augen nehmen eine fast schwarze Färbung an, die mich allerdings nicht im Geringsten von meinem nächsten Schritt abhält.
Ich trete ganz nah an ihn heran, sodass wir uns direkt in die Augen sehen können und meine Stimme klingt so bedrohlich, dass wohl jeder andere einen Schritt zurück gegangen wäre.
"Hätte ich damals gewusst, dass ich mich in die Frau verlieben würde, die ich an die Revec verlieren werde, wäre ich dir nie in die Ausbildung gefolgt!"
Es herrscht Totenstille zwischen uns. Keiner weicht zurück. Keiner senkt den Blick. Keiner gibt nach.
"Ich sage dir das nur einmal. Wenn der Rat Liz an die Revec übergeben will, werde ich mich auf das Recht berufen, dass dem Menschen nichts getan werden darf, den ich zu meinem Partner gewählt habe."
Noah lacht kurz tonlos auf, aber auch er weiß, dass diese Regel unantastbar ist.
"Und dann? Damit würdest du dir nur selbst Schaden zufügen, denn dann würdest du für deine Liebe zu einer Auserwählten ausgestoßen werden und wärst somit kein Mitglied unsere Fraktion mehr, was auch bedeutet, dass Liz nicht mehr unter diesem Recht steht. Sie wird also so oder so den Revec übergeben, ob du es jetzt tust oder den komplizierten Weg nimmst."
Mein großer Bruder schüttelt den Kopf und seine Miene wechselt von eisern zu bittend.
"Wenn du verstoßen wirst, kannst du nicht mehr bei mir und Rob bleiben, willst du das?"
"Ich werde nur verstoßen, wenn ich vor dem Rat stehe und die Worte über mir gesprochen sind. Und nur dann kann Liz übergeben werden. Denn solange ich unserer Fraktion angehöre, steht sie unter meinem Schutz."
Die Worte kommen mir vollkommen ruhig über die Lippen, auch wenn in mir gerade alles stirbt. Denn wenn ich Liz retten will, dann kann ich nicht bei ihr bleiben.

With you everything changedTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang