W wie Weg

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Der Weg, den ich in den letzten Wochen gegangen war, war steinig. Man brauchte festes Schuhwerk, um nicht zu stolpern und genug Balance, um nicht zu fallen. Da der Weg steil nach oben ging, benötigte man Kraft. Und auch Mut, denn man wusste nicht, was einen oben erwarten würde.

Anfangs machte ich nur kleine Schritte, doch nach einiger Zeit hatte ich mich an den Weg gewöhnt und mein Tempo gefunden. Auf dem Weg war ich Menschen begegnet, die mich begleiteten, unterstützten und halfen.

Ilias war einer davon. Jeden Sonntag trafen wir uns nach meinem Dienst und gingen zusammen zum Friedhof. Manchmal kauften wir Blumen, manchmal setzten wir uns einfach nur vor ihr Grab und redeten. Es tat so gut, jemandem von Varinia zu erzählen. Jede Woche berichtete ich Ilias eine neue Geschichte von ihr und auch wenn das komisch sein mag - es war mein Weg, loszulassen.

Ich wusste, dass diese Treffen irgendwann aufhören würden, dass ich irgendwann bereit war, die Vergangenheit als vergangen anzusehen und das Kapitel von Varinia und mir in dem Buch des Lebens zu schließen. Doch zurzeit gab es kaum etwas befreienderes, als Ilias aus diesen Kapiteln vorzulesen.

Wir trafen uns seit einem guten Monat jede Woche. Einmal hatte es geschüttet wie aus Eimern. Einmal gab es einen Regenbogen am Himmel. Einmal hatte ich die Tränen nicht unterdrücken können. Einmal hatte ich einen lauten Lachanfall bekommen.

Und ein Mal hatte ich das Gefühl, sie spüren zu können. Wie ihre klare Stimme meine Ohren erreichte, wie ihre schwarzen Augen in meine Seele blickten, wie sich ihre feuchten Lippen auf meinen anfühlten.
Das Gefühl ihrer Liebe.

Das Alphabet des LebensKde žijí příběhy. Začni objevovat