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Ideal

Ide|al

1. Idealbild; Inbegriff der Vollkommenheit

2. Als ein höchster Wert erkanntes Ziel; Idee, nach deren Verwirklichung man strebt

Prolog

Niemand kann mit Genauigkeit sagen, was der morgige Tag, oder auch nur die nächsten zehn Minuten, für einen bereithalten. Man hofft gewiss auf das Beste oder vertraut auf das Gefühl der Unsterblichkeit, dem man sich in seiner blinden Jugend so sicher ist.

An diesem schicksalhaftem Tag stand die Sonne hoch am Horizont und brannte auf die überfüllte Metropole Neu-Delhi hinab. Es war ein Monat ohne Regen, die Luft war trocken und geschwängert vom aufgewirbeltem Staub und dem Ruß, den die großen Fabriken am Rande der Stadt in den Himmel stießen. Es war kein schlechter Tag.

Eine Frau, gekleidet in einen roten Sari, lief den Gehweg hinunter. Ihr gewelltes, schwarzes Haar fiel ihr über eine Schulter und eine Hand lag liebevoll auf ihrem gerundeten Bauch. Ein kurzer Einkaufstrip hatte sie aus dem Haus gelockt. In ihrer anderen Hand trug sie eine Stofftüte mit handgefertigter Babykleidung. Die Vorfreude auf das Kind war groß.

Sie hatte nicht damit gerechnet. Niemand rechnete mit so etwas, obwohl es nicht selten geschah. Immerhin verlieren jedes Jahr weltweit 1,24 Millionen Menschen ihr Leben in einem Verkehrsunfall. Es könnte jedem geschehen.

Es geschah ihr.

Ihr Name lautete Mahalia Khan, sie war Mitte zwanzig und erst seit letztem Jahr verheiratet. Sie hatte in Neu-Delhi studiert und arbeitete mit ihrem Mann in der Forschung. Aber das war nicht mehr der Rede wert.

Das Auto war silberfarben. Wahrscheinlich war es das Letzte, was Mahalia sah, als eben dieser Wagen außer Kontrolle geriet und sie mit sich über den Gehweg zerrte.

Selbst als sie starb hielt sie ihre Arme noch immer schützend um ihren Bauch verschränkt. Die bunte Babykleidung lag wild auf dem schwarzen Asphalt verstreut.

Der Aufprall mit dem harten Boden hatte ihren Schädel gespalten, was es zu einem schnellen Tod machte.

Mahalia Khan war ein Einzelschicksal, das die gesamte Welt verändern sollte.

♥♥

Es fing mit einem leichten Kratzen im Hals an und eine Weile später kamen Kopfschmerzen und Übelkeit dazu. Doch erst als sein Herz wie verrückt zu rasen begann, ging Kyungsoo zum Arzt.

„Sie haben einen Bürojob?"

„Richtig."

„Sie sitzen dementsprechend sehr viel. Betreiben Sie Sport?"

„Reichlich und regelmäßig", antwortete Kyungsoo. Sein Aktenkoffer lag auf dem Stuhl neben sich und er trug noch immer den Anzug, den er im Büro getragen hatte.

„Rauchen Sie?"

Kyungsoo verneinte.

Der Arzt stockte und sah von seinen Dokumenten auf. „Kalte Hände?"

Kyungsoo hatte erst gestern eine dickere Jacke aus seinem Schrank herausgeholt, obwohl gerade erst Herbst geworden war. „In letzter Zeit tendiere ich tatsächlich zu kalten Händen und Füßen."

Der Arzt tippte mit seinem Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Es war ein unangenehmes Geräusch. „Ihre Symptome deuten auf eine Nikotinvergiftung hin. Würden Sie ihr Hemd ablegen? Ich würde Sie gerne mit dem Stethoskop abhören."

Kyungsoos Finger waren eiskalt als er die Knöpfe an seinem Hemd öffnete. Der Arzt hielt die glatte Oberfläche des Stethoskops an seine Brust und kurz darauf an seinen Rücken. Er sah ihn forsch an, als er ihm bedeutete sich wieder anzukleiden. „Sie sind Nichtraucher sagten Sie? Sie inhalieren auch keine anderen Giftstoffe? Wasserpfeifen? Drogen?"

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