Auf den ersten Blick (4)

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Sie saßen an einem Tisch in einer entfernten Ecke der Cafeteria, so weit weg vonunserem Tisch, wie es in dem langen Raum möglich war. Sie waren zu fünft. Sieredeten nicht und sie aßen nicht, obwohl vor allen ein Tablett mit unberührtem Essenstand. Im Gegensatz zu den meisten anderen glotzten sie mich nicht an, so dass ichsie meinerseits betrachten konnte, ohne fürchten zu müssen, exzessiv interessiertenBlicken zu begegnen. Doch all das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit erregte– und fesselte.

Es war das Gefühl das sie in mir auslösten, das Gefühl das mir irgendetwas entging. Ich wusste nicht was oder wieso, aber es war etwas, das sie mit meinem Zielobjekt gemeinsam hatten. Ich kam nur nicht darauf. Aber eins wusste ich: Wer auch immer sie waren, sie waren wichtig für meinen Auftrag, das sagte mir mein Gefühl und mein Gefühl lag selten daneben. Also begann ich sie genauer zu betrachten un zu Analysieren.

Das erste was mir auffiel war, das sie einander überhaupt nicht ähnlich sahen. Von den drei Jungs war einer ausgesprochen kräftig – er hatte dunkle Locken und Muskeln wie ein aktiver Gewichtheber. Ein zweiter, mit blonden Haaren, war größer und schlanker, aber trotzdem noch muskulös. Der dritte war schlaksig, weniger wuchtig; er hatte verwuschelte bronzefarbene Haare und wirkte jungenhafter als die beiden anderen, die dem Aussehen nach durchaus Collegestudenten hätten sein können, oder sogar Lehrer.

Die Mädchen waren vom Typ her genau gegensätzlich. Die Größere der beiden war eine klassische Schönheit. Sie hatte eine Figur, wie man sie sonst nur auf dem Cover der Bademodenausgabe von Sports Illustrated sah – die Art von Figur, die dem Selbstbewusstsein jedes Mädchens, das sich zufällig im gleichen Raum aufhielt, einen Schlag versetzte. Ihre Haare waren goldblond und flossen in sanften Wellen bis zur Mitte ihres Rückens hinab. Das kleine Mädchen war elfenhaft, extrem dünn und hatte zarte Gesichtszüge. Ihre Haare waren tiefschwarz, kurz und standen in alle Richtungen ab.

Und dennoch glichen sie einander wie ein Ei dem anderen. Sie waren allesamt kreidebleich – die blassesten Schüler dieser sonnenlosen Stadt. Sogar blasser als ich. Trotz ihrer verschiedenen Haarfarben hatten sie alle sehr dunkle Augen. Und darunter dunkle Schatten – violett, wie von einem Bluterguss. Sie sahen aus, als hätten sie eine schlaflose Nacht oder einen noch nicht ganz verheilten Nasenbruch hinter sich. Obwohl ihre Nasen andererseits, wie alle ihre Gesichtszüge, gerade und perfekt geformt waren. Vielleicht zu Perfekt?

Ich musste an die Worte meiner Mutter denken, das ich nach etwas ausschau halten soll das Übernatürlich war. Ob sie das damit meinte? Ich konnte mir nicht sicher sein. Es war nur eine Vermutung und ich konnte mich nicht auf Vermutungen stützen.

Aber eines war sicher: Ihre verschiedenen und doch gleichen Gesichter waren umwerfend und überirdisch schön. Es waren Gesichter, die mannormalerweise nur auf den Hochglanzseiten von Modemagazinen zu sehenerwartete. Oder auf den Gemälden alter Meister, als Engelsgesichter. Schwer zusagen, wer am schönsten war – vielleicht das blonde Mädchen, vielleicht auch derJunge mit den bronzefarbenen Haaren.

Ich schob den letzten Gedanken beiseite. Es war nicht wichtig wer am schönsten war, wichtig war nur herauszufinden in wie fern sie etwas mit dem Auftrag zu tun hatten.

Während ich in ihren Anblickversunken war, erhob sich das kleinere Mädchen mit seinem Tablett – sein Getränkwar ungeöffnet, sein Apfel unberührt – und ging mit langen, schnellen und elegantenSchritten davon, als wäre die Cafeteria ein Laufsteg. Es waren die geschmeidigenSchritte einer Tänzerin. Ich folgte ihr mit den Augen, bis sie ihr Tablett abstellte undmit einer Geschwindigkeit zur Hintertür hinausglitt, die ich nicht für möglich gehaltenhätte. Nicht einmal ich konnte so leise und geschmeidig laufen, und das obwohl meine Schritte beinahe Geräuschlos war.

Mein Blick schnellte zurück zu ihren Tischgenossen, die so reglos dasaßen wievorher.

Da ich aber weiter nichts von ihnen erfahren würde, wandte ich mich Jessica zu. "Wer sind denn die dort?"

Assassins in the TwilightWhere stories live. Discover now