Kapitel 52

2.7K 179 28
                                    

Nur wenige Meter entfernt von mir sah ich im fahlen Licht ein Gesicht, das mir nur allzu bekannt war, und das ich jede Nacht aufs Neue sah.

Mein Herz raste wie verrückt und während ich meinem Albtraum ins Gesicht starrte, machte sich in meinem Körper ein Gefühl breit, das mich komplett ausfüllte: Angst. Gleißende, eiskalte Angst.

Im gleichen Moment, in dem er sich bewegte, löste sich meine Starre. Ich wirbelte herum und rannte, rannte so schnell ich konnte auf die Türe zu, die auf einmal wie in weiter Ferne zu liegen schien. Er rannte ebenfalls, ich konnte seine Schritte und seinen lauten Atem hinter mir hören. Ich hoffe inständig, nicht zu fallen, während ich auf die Tür zu hetzte. Endlich erreichte ich sie, stürzte nach drinnen, wirbelte herum und schlug sie hinter mir zu. Ihm hatten nur noch wenige Meter gefehlt. Er stand nun auf der anderen Seite des Glases, sein Gesicht dicht vor meinem, und starrte mich an. Dann verzog er seine Lippen zu einem kalten und höhnenden Lächeln, wie in jener Nacht. Er wandte sich ab und einen Augenblick später konnte ich ihn in der Dunkelheit nicht mehr sehen.

Das Adrenalin wurde von meinem flatternden Herzen durch meinen Körper gepumpt. Ich schaffte es, den Schlüssel noch zwei weitere Male umzudrehen, bevor ich zusammenbrach. Für einen Moment erlaubte ich es mir, schwach und verletzlich als Kugel zusammengerollt auf dem Boden zu kauern, dann zwang ich mich aufzustehen.

Ich schaute mich hektisch im Wohnzimmer um, nach Gegenständen, die mir behilflich sein könnten.

Ich lief zum Sofa und schob es unter lautem Keuchen vor die Terrassentür. Dann packte ich den Sessel und platzierte ihn auf dem Sofa.

Die Haustür!

Hastig stolperte ich in den Flur. Den Küchentisch konnte ich vor die Türe schieben, aber dann blieben immer noch die vielen Fenster übrig. Unschlüssig stand ich einige Sekunden da, dann nahm ich doch den Tisch und schob ihn unter Aufgebot aller meiner Kräfte in den Flur, bis er gegen die Haustür drückte. Trotzdem war mir klar, dass ein erwachsener Mann mit genügend Kraft den Tisch problemlos wegschieben konnte. Ich überlegte kurz, ob ich Teller und Gläser zerschlagen und die Scherben auf dem Boden verteilen sollte, aber das würde vermutlich nicht einmal mehr durch die Schuhsohlen dringen.

Dass ich nicht wusste, wo er war und was er gerade plante, ließ mich fast wahnsinnig werden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Würde doch bloß das dämliche Telefon funktionieren, damit ich irgendjemanden zu Hilfe rufen könnte...

Ein kratzendes Geräusch an der Haustür ließ mich zusammenzucken. Ich lauschte angestrengt, und soweit ich das beurteilen konnte, machte er sich am Schloss zu schaffen.

Schon bald würde er im Haus sein, und dann gab es kein Entkommen mehr.

Panisch sah ich mich um, nach irgendeiner Möglichkeit, mich zu verstecken oder zu bewaffnen. Ich hoffte inständig, Niall möge lange genug im Badezimmer bleiben. Wenn er mich getötet hatte, würde er aber wahrscheinlich trotzdem das Haus durchsuchen und so unvermeidbar auf ihn treffen.

Ich drehte mich um und lief so schnell ich konnte die Treppe rauf, in Richtung unserer Zimmer und des Bades. Ich war gerade auf dem obersten Absatz angekommen, da krachte es laut. Für einen Moment war es leise, dann hörte ich ihn leise lachen. Mir lief ein Schauer über den Rücken, und im gleichen Moment beschloss ich, Niall nicht Bescheid zu sagen. Ich konnte ihn leise im Bad vor sich hin singen hören, und in mir wandte sich alles, wenn ich daran dachte, ihn in Gefahr zu bringen. Ich musste ihn so lange wie möglich beschützen, koste es, was es wolle.

Ich stolperte die Treppe wieder runter und hechtete ins Wohnzimmer, das nun ohne Sofa und Sessel keine Möglichkeiten bot, mich zu verstecken. Da fielen mir die Küchenmesser ein. Ich wirbelte herum. Konnte ich es rechtzeitig in die Küche schaffen? Ein weiteres Krachen und dann, knirschende Schritte beantworteten meine Frage. Wie in Zeitlupe beobachtete ich, wie er aus dem Flur ins Wohnzimmer trat, seinen starren Blick auf mich gerichtet und noch immer kalt lächelnd. In meiner Not griff ich nach dem nächstbesten Gegenstand in meiner Reichweite: eine Gabel, die noch vom Frühstück auf dem Couchtisch lag. Er beobachtete mich amüsiert, dann ging er einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich ihm zitternd den erhobenen Arm mit der Gabel entgegen hielt.

Er begann zu sprechen, was mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. „Hallo, Jenna. Oder sollte ich besser Mia sagen?" Er grinste, als hätte er einen lustigen Scherz gemacht.

„Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Martin Grint. Aber das weißt du vermutlich schon", seufzte er. „Diese Schnepfe konnte ihre vorlaute Klappe noch nie halten."

Ich holte zitternd Luft und wich zurück. Er lächelte böse.

„Angst, Jenna? Solltest du haben."

Sein Grinsen ähnelte nun mehr einem Zähnefletschen.

„Was wollen Sie von uns?" stieß ich ängstlich aus.

Er strich sich mit der Hand über den Bart. „Nun ja, Jenna. Du musst verstehen, dass ihr für mich ein Problem darstellt. Schließlich seid ihr die einzigen Zeugen, die gegen mich aussagen können. Mit andern Worten: ihr seid gefährlich."

„Wir sind nicht die einzigen, die Sie gesehen haben", flüsterte ich.

„Ach, du meinst Christen?" fragte er. „Die sollte kein Problem mehr sein."

Entsetzt keuchte ich auf. „Sie ist tot?"

Er seufzte genervt und schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht, Dummerchen. Wie sähe das denn aus: Die Frau, die beinahe von mir getötet wurde und daraufhin der ganzen Welt meinen Namen gesagt hat, stirbt plötzlich? Nein nein, damit würde ich ihre Geschichte doch bestätigen."

Ich sah ihn ängstlich an, und er fuhr fort: „Stattdessen ist die Gute jetzt in Behandlung. Schizophrenie und Wahnvorstellungen. Tragisch, oder? Was sich geisteskranke Menschen ausdenken, um anderen zu schaden... wie gut, dass man sie nicht ernst nehmen wird." Er grinste zufrieden. „Ärzte sind leichter zu überzeugen, als ich immer dachte."

Ich schauderte.

„Bei euch ist es leider nicht so einfach", fuhr er fort. „Zwei junge Menschen wie ihr es seid, beobachten einen Mord, sind zur gleichen Zeit am gleichen Ort und bei beiden liegt es an einer Geisteskrankheit? Wohl kaum." Er zuckte gleichgültig die Achseln.

„Aber wir kennen deinen Namen", sagte ich verzweifelt. „Wenn du uns tötest, wird das auch auf dich zeigen!"

Er lachte auf, ein bellender Laut. „Du bist gar nicht so blöd wie ich dachte, Jenna. Aber du denkst nicht weit genug. Ihr kennt meinen Namen, weil Christen ihn der Polizei gesagt hat, woraufhin diese ihn euch mitgeteilt hat. Ihr habt keinerlei Vergangenheit mit mir, noch habt ihr mein Gesicht in jener Nacht mit dem Namen Martin Grint in Verbindung bringen können. Was also passiert, wenn sich herausstellt, dass der Name aus dem Gehirn einer Geisteskranken entsprungen ist?"

„Wir sind die einzigen, die das Gesicht zum Mord haben", flüsterte ich entsetzt.

„Richtig", sagte er. „Christen hat zwar mein Gesicht, aber was kann denn ein unschuldiger, alter Klassenkamerad dafür, ihr abends über den Weg gelaufen zu sein und dabei diese Wahnvorstellungen ausgelöst zu haben?"

Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper.

„Du siehst, Jenna, für mich führt kein Weg daran vorbei, euch aus dem Weg zu räumen. Ihr seid die einzigen, die meinen Plan gefährden."

Kaum hatte er zu Endegesprochen, ließ ein knarrendes Geräusch uns beide aufschrecken. 



*Trommelwirbel* Spannung steigt... (;

Undercover || Niall HoranWhere stories live. Discover now