Kapitel 36 - Dieser Moment, in dem du bereust

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Kapitel 36 - Dieser Moment, in dem du bereust

Dumbledore schenkt mir ein kleines Lächeln, während er seine Brille mit dem Zeigefinger zurechtrückt.
„Auch, wenn nicht viel über Seelenverwandtschaften bekannt ist, ist es dennoch nicht unüblich, dass die Beteiligten eine, für unsere Vorstellungskraft zu große, Gabe besitzen, die sie miteinander eint." Mein Herz schlägt schneller, als ich meinem ehemaligen Direktor gespannt lausche. Ich wusste, dass die Stimme, die ich höre, mit der Thematik der Seelenverwandtschaft und den Ankern zu tun haben muss. Aber auch diese Aufklärung wirft neue Fragen auf. Bedeutet das, dass Severus auch meine Stimme hört? Spreche ich auch zu ihm, wenn ich nicht in seiner Nähe bin? Doch ehe ich mir weiter Gedanken darum machen kann, spricht Dumbledore weiter.
„Ihr hattet es in letzter Zeit nicht sonderlich einfach, nicht mein Kind?", fragt er leise, beinahe fürsorglich. Ich senke meinen Blick und starre auf den alten Holzboden. Meine Hände kneten sich in meinem Schoß und ich schüttle sacht den Kopf, ehe ich antworte.
„Nein...", flüstere ich.
„Miss Granger, das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest", sagt er eindringlich, um mich zu beruhigen. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Natürlich muss ich mich dafür schämen, immerhin hatten wir die meisten Dispute nur, weil ich so sturköpfig bin. Weil ich mich ihm widersetzt  und weil ich seine Sorgen als nichtig abgetan habe. Weil ich meine Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen habe. Weil ich ihn mutwillig verletzt habe.
Eine kleine Träne bildet sich in meinem Augenwinkel, die ich schnell mit meinem Handrücken wegwische, ehe mich Albus erneut aus meinen Schuldzuweisungen reißt.
„Hermine, du solltest dem wirklich nicht zu viel Bedeutung beimessen. Ich selbst kann zwar nicht mit viel persönlicher Erfahrung aufwarten, aber ich bin in meinen hundertzwanzig Jahren viel Liebe begegnet und durfte sie hin und wieder miterleben. In keiner Liaison geht es ohne Dispute zu. Und du hast es ja nun nicht sonderlich leicht mit deinem Auserwählten", sagt er und ein kleines aufmunterndes Lächeln umspielt seine Lippen. Auch ich kann mir ein Lächeln nun nicht mehr verkneifen.
Er hat recht, mit Severus habe ich mir nicht die leichteste Variante ausgesucht.
„Ja, Sir", flüstere ich, ein zaghaftes Lächeln auf dem Gesicht, und sehe ihn an. Seine leuchtend blauen Augen drücken so viel Mitgefühl für mich aus, dass ich mich schlagartig etwas besser fühle.
„Danke, Sir", sage ich leise und schenke ihm noch ein kleines Lächeln, was er mit einem Nicken zur Kenntnis nimmt.
„So. Wo war ich?", fragt er, als er in die Hände klatscht und mich somit zusammenzucken lässt. Dieser Mann ist so sprunghaft und schafft es immer wieder die richtigen Worte zu finden.
„Ah. Ja, genau! Severus' Stimme", führt er aus, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und bedenkt mich mit einem Blick, den ich nicht zuordnen kann.
„Du sagst, dass du die letzte Zeit, in der ihr eine eher schwierige Phase hattet, seine Stimme nicht mehr gehört hast. Richtig?" Ich nicke schnell.
„Meine Theorie dazu klingt folgendermaßen: Wenn die Partner eine schwere Zeit durchmachen, müssen sie das mit sich selbst ins Reine bringen. Stell dir nur vor, während ihr eine dieser Krisen hattet, hättest du Severus' Stimme gehört. Du hättest nie den nötigen Abstand nehmen und deinen Gedanken nachhängen können. Dies wäre dann eher kontraproduktiv gewesen. Da du seine Stimme aber heute wieder gehört hast, bedeutet es,..."
„...dass wir uns wieder annähern", vollende ich seinen Satz verwundert. Ein Nicken von meinem ehemaligen Direktor bestätigt meine Annahme.
„Ja", sagt er und schenkt mir ein Lächeln, welches ich nun nur allzu gerne erwidere. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und Schmetterlinge schwirren in meinem Magen umher. Bedeutet das, dass wir das Schlimmste überstanden haben? Bedeutet das, dass Severus mir verziehen hat?
„Danke, Professor", hauche ich, momentan zu nicht mehr im Stande, denn nach dieser Erkenntnis drückt mein schlechtes Gewissen stärker denn je auf mein Herz. Es thront dort, fett und breit, wie ein Ghul und lacht mich diabolisch an.
„Gerne doch, mein Kind. Ich hoffe, du beehrst einen alten Mann, wie mich, öfter mal", äußert er höflich. Wie hypnotisiert stehe ich auf, schenke ihm zum Abschied ein kleines Lächeln und verlasse das Direktoriat. Mein Blick ist starr auf den Boden vor mir gerichtet, ich nehme nichts anderes um mich herum wahr.
Wie kann ich Severus so etwas nur antun? Wieso bin ich so ein schrecklicher Mensch? Soll ich es ihm sagen? Meine Kehle schnürrt sich zu, weshalb ich mir abrupt daran packe, aus Angst zu ersticken.
Nein, das kann ich nicht. Er würde mich verlassen, wenn er es wüsste. Augenblicklich. Ich werde meine Geheimnisse für mich behalten müssen, bis ich sie irgendwann selbst vergessen habe.
Träge schlägt das Herz in meiner Brust und eine kleine, leise Stimme in meinem Hinterkopf fleht mich an ihm die Wahrheit zu sagen, um nicht ewig mit diesem Wissen leben zu müssen, doch ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht.
Wie mechanisch steure ich das Schlossportal an. Ich kann so nicht zu Severus gehen. Er würde sofort bemerken, dass etwas nicht stimmt.
Ich laufe den Weg entlang, immer weiter, bis ich die Wiese überquere, am schwarzen See vorbeikomme und den Wald hinter mir lasse. Ich laufe an Hagrid's Hütte vorbei, immer weiter in die schottischen Highlands, bis ich schließlich an einem Baum halt mache, an dem ich mich mit einer Hand abstütze, während ich mich vornüberbeuge. Ein würgendes Geräusch verlässt meinen Mund aus den Tiefen meines Körpers. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so schuldig, so reumütig gefühlt. Ich weiß, dass ich vieles die letzte Zeit falsch gemacht habe. Dass ich alles aufs Spiel setze. Dass ich mit meinem Verhalten die Liebe meines Lebens verlieren könnte. Doch mir bleibt keine andere Wahl. Ich habe mich inzwischen zu sehr in diesem Spiel verrannt, als dass ich dort noch ohne größere Schäden herauskönnte.
Severus vertraut mir und ich trete sein Vertrauen mit Füßen.
Ich sacke zusammen, meine Tasche rutscht mir von meiner Schulter und ich bleibe kniend zwischen Baum und Tasche sitzen, reglos auf den Boden starrend.
Mein gesamter Organismus scheint sich verlangsamt zu haben, denn ich spüre weder meinen Puls noch mein Herz schlagen. Und nun kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Stumm rinnen sie über meine Wangen und tropfen auf die Erde unter mir, sodass sie sie aufweichen.
Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und meine Schuldgefühle pochen wie eine entzündete Wunde unter meiner Schädeldecke. Immer wieder werde ich von heftigen Schluchzern geschüttelt. Meine Stimme ist belegt und klingt mir fremd.
„Wieso tue ich das?", flüstere ich leise zwischen zwei Schluchzern und bette mein Gesicht in meinen Händen. Die Tränen sammeln sich in ihnen und durchnässen mein Gesicht.
Miss Granger, jetzt reißen Sie sich aber mal zusammen", schallt mich Severus dunkle, tiefe Stimme in meinem Kopf und augenblicklich stoppen meine Tränen. Ein eiskalter Schauer läuft über meinen Rücken. Ohne einen Ton von mir zu geben, lausche ich, ob er nicht vielleicht doch hinter mir steht. Langsam hebe ich meinen Kopf, um mich vorsichtig umzusehen.
Erleichtert atme ich aus, als ich erkenne, dass er nicht bei mir ist. Dass es wieder nur seine Stimme in meinen Gedanken war. Ich schüttle den Kopf, ziehe ziemlich undamenhaft meine Nase hoch und trockne meinen Tränen mit einem Stück meines Ärmels, der noch nicht durchnässt ist.
„Ich weiß nicht mehr weiter, Severus", hauche ich, bevor ich erneut meine Nase hochziehe.
Du weißt immer eine Lösung", sagt er eine Spur sanfter und zaubert mir somit ein kleines, kurzweiliges Lächeln auf die Lippen.
„Aber ich habe Angst dich zu verlieren...", flüstere ich traurig, als mir bewusst wird, dass es dafür keine schonende Lösung geben wird.
Du wirst wissen, was du tust", seufzt er. Auch ich atme einmal tief ein und seufze. Ich habe genau zwei Möglichkeiten. Es ihm sagen und darauf hoffen, dass er Gnade walten lässt und bei mir bleibt. Oder auf Risiko spielen und es so lange vor ihm geheim halten, wie möglich – im besten Fall für immer.
Mein Gryffindormut hat sich in der hintersten Ecke meiner Selbst versteckt, sodass mir nur Variante zwei bleibt. Ich werde für immer mit diesem schlechten Gewissen leben müssen und hoffen müssen, dass ich es irgendwann vergesse und wir unbeschwert zusammenleben können.
Ich ziehe mich am Baum auf meine wackligen Beine, hebe meine Tasche vom Boden auf und trete den Rückweg zum Schloss an.

Ohne es gemerkt zu haben, haben mich meine Beine hinunter in die Kerker getragen, sodass ich nun sprachlos, mit einem riesigen Kloß im Hals vor der Tür stehe, die zu unseren Gemächern führt. Meine Beine zittern, doch ich muss nun da rein. Severus wird sich bestimmt schon fragen, wo ich gewesen bin. Ich werde ihm die Wahrheit – die halbe – erzählen und sagen, dass Minerva mich sprechen wollte.
Leise murmle ich das Passwort, als auch schon die Tür aufschwingt und mir freien Blick ins Wohnzimmer gewährt. Es verschlägt mir den Atem und mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, als ich Severus erblicke. Tief versunken in ein Buch sitzt er auf der Couch. Ein gefülltes Glas Wein steht auf dem Tisch vor ihm und ein leeres neben dran. Als die Tür krachend ins Schloss fliegt hebt sich sein Blick nicht.
„Du bist spät", sagt er, weiterhin das Buch betrachtend. Und erneut keimt Angst in mir auf. Hat er etwas herausgefunden? War Draco hier und hat ihm erzählt, was in meinem Klassenzimmer passiert ist? Nein. Draco würde sich niemals freiwillig in Severus' Nähe begeben.
„Ich war noch bei Minerva", hauche ich mit belegter Stimme. Der Kloß in meinem Hals ist noch nicht verschwunden. Meine wackligen Beine drohen unter mir einzubrechen, weshalb ich sehr glücklich darüber bin, als er mit einem lauten Knall das Buch zuschlägt und seinen Kopf zu mir dreht. Ein Lächeln, welches Balsam meine geschundene Seele bildet, ziert seine Lippen.
„Ich habe dich vermisst", sagt er leise, als er aufsteht und mit drei großen Schritten unseren Abstand überbrückt. Seine Finger streichen sanft meine Haare von der Schulter und streifen dabei meinen Hals. Eine Gänsehaut breitet sich von dieser einen Stelle über meinen gesamten Körper aus.
„Wein?", fragt er leise, ehe er seine Lippen auf dieselbe Stelle legt, an der mich seine Finger eben berührten. Meine Atmung kommt nur noch stoßweise, weshalb ich zur Antwort nur abgehackt nicke. Ich spüre ihn an meiner Haut grinsen, bevor er mein Gesicht in seine Hände nimmt und mir tief in die Augen sieht. Meine Kopfhaut kribbelt und die Schmetterlinge in meinem Magen fliegen gefährliche Manöver. Und für diesen einen Moment habe ich jegliche Schuldgefühle vergessen. Seine Augen ruhen nach wie vor auf mir, als er zu sprechen beginnt.
„Ich liebe dich."

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