Kapitel 43 - „Es ist widerlich, nicht?"

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Kapitel 43 - „Es ist widerlich, nicht?"

*Severus Sicht*

„Bist du fertig, Severus? Wir müssen los!"
Seufzend betrachte ich mich im Spiegel. Meine Augen werden von tiefen, dunklen Ringen umrandet und ich scheine in den letzten Tagen um Jahre gealtert zu sein. Müde stütze ich mich auf dem schwarzen Waschbecken ab, ehe ich mich aufrichte, den Rücken durchstrecke und aus der Tür trete. Diese Reue macht mich noch fertig.
„Sie sind unheimlich ungeduldig, Miss Granger", knurre ich leise und sehe, wie sie etwas zusammenschrumpft. Es hat sich etwas zwischen uns verändert. Und ich trage daran nicht nur geringfügig Schuld. Seit Paris. Seit ich ihr nicht diesen Merlin verdammten Ring übergeben habe. Hermine unterbricht meine Selbstvorwürfe, als sie sich vor mir aufbaut und mir ihre Zunge herausstreckt. Für den Bruchteil einer Sekunde verzieht sich mein Mundwinkel zu der Andeutung eines Lächelns, doch ich habe mich recht schnell wieder im Griff. 
„Wenn du so langsam bist und Ewigkeiten brauchst, ist das nicht mein Fehler, alter Mann." Mit einem Schnauben dreht sie sich um und verlässt mit geradem Rücken unsere Räumlichkeiten.
Meine Kiefer beginnen zu mahlen und meine Fäuste ballen sich neben meinem Körper. Auch sie hat sich verändert. Hat sich distanziert.
Es ist deine Schuld, Severus", schallt mich ihre Stimme in meinem Kopf. Ich seufze leise. Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Dass ich mich selbst so sehr dafür verachte und meinen Selbsthass so zelebriere, dass ich sie von mir wegstoße.
„Kommst du nun endlich?", ruft sie aus dem Gang und bringt mich dazu leicht zusammenzuzucken. Als ich mich wieder gesammelt habe, trete auch ich auf den Gang, schließe die Tür hinter mir und verriegle sie mit dem Passwort.

Langsam gleitet mein Blick über das Spektakel, das sich vor mir abspielt. Eine Scheußlichkeit, verkleidet in blau und rosa, jagt die nächste. Luftballons, Kuchen, Schleifen, Geschenke. Es ist alles dabei und es jagt mir einen Schauer über den Rücken. Lieber würde ich zehnmal dem Dunklen Lord gegenüberstehen, als einen ganzen Tag in diesem fröhlichen Loch zu verbringen.
Meine Miene hellt sich daher auch nicht sonderlich auf, als ich eine neue Schar Weasleys – unverkennbar an ihrem roten Schopf – in das ohnehin schon überfüllte Wohnzimmer strömen sehe. Der übriggebliebene Zwilling mit seiner Angetrauten und der größere Bruder – der, der mit Drachen arbeitet.
Mein Gesicht verzieht sich leicht zu einer befangenen Grimasse. Ich sehe mich hilfesuchend um, doch erkenne nichts weiter als rosa Blümchen und blaue Geschenke, was mir die Galle hochtreibt. Wieso bei Merlins Bart bin ich doch gleich hier?
Mein Blick huscht immer weiter, immer schneller über das Szenario. Molly und Arthur, freudestrahlend und in eine Unterhaltung mit Verwandten vertieft; die Weasleyableger unter sich, darüber redend, was sich die letzte Zeit getan hat; das Paar, wegen dem wir alle hier sind, Arm in Arm mit Arbeitskollegen von Potter sprechend und da. Endlich. Meine Erlösung. Zwischen all den Roben und roten Schöpfen erkenne ich das, was verspricht meine Rettung zu sein. Das Buffet.
Unauffällig und darauf bedacht von niemandem in ein Gespräch verwickelt zu werden, schlüpfe ich durch die Grüppchen hindurch.
Als ich endlich vor dem reich gedeckten Tisch stehe, stelle ich zu meiner Zufriedenheit fest, dass niemand von mir Notiz genommen hat. Schnell suche ich mit meinem Blick die Tafel ab, ehe ich finde, was ich begehre. Feenwein.
Ein weiterer Schritt zur Seite und ich stehe vor einem Berg aus Weingläsern, gefüllt mit lieblich duftendem Wein. Mit flinken Fingern nehme ich mir ein Glas mit der leicht purpurnen Flüssigkeit und setze es an meine Lippen. Der erste – viel zu süße – Schluck rinnt meine Kehle entlang und ich verziehe angewidert das Gesicht. Wie sehr wünsche ich mir gerade Feuerwhiskey, doch den werde ich in diesem Haushalt wohl vergeblich suchen.
Nachdem ich auch den Rest des Glases mit einem zweiten Zug geleert habe, stelle ich sehr zu meinem Wohlwollen fest, dass sich das Glas von selbst füllt, weshalb ich meine Route von eben zurück zu meinem Platz, in einer der hintersten Ecken des Fuchsbaus, nehme und mich so weit in den Schatten drücke, wie es nur geht.
Während ich das Glas umklammre, als wäre es ein rettender Anker, lasse ich meinen Blick über die Feier schweifen. Alle lachen, alle sind fröhlich, alle beglückwünschen Potter und Miss Weasley zu ihrem Glück.
Severus. Sie ist keine Weasley mehr", schallt mich die wundervoll sanfte Stimme in meinem Kopf und ich schließe für einen Moment meine Augen, um sie auf mich wirken zu lassen.
„Ich weiß, Miss Granger. Dennoch wird die jüngste Weasleybrut in meinen Augen immer das sein. Ein Weasley", antworte ich mit noch immer geschlossenen Augen in meinem Kopf.
„Severus?", ertönt erneut ihre Stimme, doch dieses Mal ist sie etwas weiter entfernt. Nicht direkt in meinem Kopf, sodass ich langsam die Augen öffne und einmal tief durchatme, als ich Hermine vor mir stehen sehe. Mein Blick wandert über ihre Erscheinung. Sie hat ihre Haare offen, bloß die vordersten Strähnen sind nach hinten geklemmt. Die blaue Jeans sitzt eng an ihren Hüften und schmeichelt jeder ihrer Rundungen. Das weiße Shirt schmiegt sich ebenfalls an ihren Körper, sodass meine Fantasie sich ausmalt, wie es darunter aussieht. Ich sehe ihre wohlgeformten Brüste, ihren flachen Bauch, ihre Narben und wie ich jede Einzelne von ihnen küsse...
„Severus?", kommt es wieder von ihr und ich werde unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Etwas verwirrt schaue ich ihr in die Augen, die mich wütend anfunkeln.
„Wie viele hast du davon getrunken?", fragte sie, während sie ihren Blick auf das Glas in meiner Hand senkt. Auch ich folge ihrem Blick und muss mir eingestehen, dass ich nicht mitbekommen habe, wie oft ich tatsächlich an dem Glas genippt habe.
„Zweiii oder dreii", antworte ich und bin entsetzt über meine Aussprache. Wie kann es sein, dass ich ohne Probleme eine Flasche Feuerwhiskey trinken kann, aber nach nur wenigen Schlücken Wein nicht mehr Herr über mein Sprachzentrum bin?
„Und du verträgst offensichtlich keinen." Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Frage oder Feststellung ihrerseits ist. Beinahe unbekümmert zucke ich mit den Schultern, was sie zum Schmunzeln bringt. Ihr herrliches Lächeln, diese sanften Töne in meinen Ohren...
„Pass nur auf, dass es nicht zu viel wird, ja?", sagt sie, gibt mir einen flüchtigen Kuss und lässt mich verlangend zurück, um zu Potter zu gehen.
Meine Augen hängen an ihren wackelnden Hüften, die meinen Kopf und meine Gedanken mit ihrem Schwung zum Kreisen bringen.
Fahrig taste ich nach meinem Zauberstab und beschwöre mir einen Sessel herauf, in den ich mich, geschützt in meiner dunklen Ecke, setzen kann.
Gierig suchen meine Augen erneut Hermine, mein Gehirn – benebelt vom Wein – läuft auf Hochtouren und ich laufe Gefahr, dass es mich ins Verderben stürzt.
Bilder eines enttäuschten Gesichts tauchen vor mir auf. In den Augen funkelt der Glanz der tausenden Lichter, hoch über den Dächern Paris'. In ihren Händen hält sie das – emotional – wertlose Stück Metall und ihr Mund versichert mir das Gefallen an diesem Geschenk, doch ihre Augen sprechen eine andere Sprache. In dem Moment, in dem ich nach dem Päckchen in meiner Tasche und nicht nach dem, in meiner Innentasche, gegriffen habe, wusste ich, dass es die falsche Entscheidung war. Dass ich –  mal wieder – die falsche Entscheidung getroffen habe.
Severus, du solltest aufhören dich selbst so sehr zu verachten", flüstert sie leise in meinem Kopf und ergeben schließe ich die Augen. Sie sagt es mir immer wieder, doch ich weiß es besser. Ich lebe inzwischen seit nun mehr zweiundvierzig Jahren mit mir.
Ich öffne meine Augen und beobachte sie dabei, wie sie mit Potter und seiner Frau spricht. Sie lacht, den Kopf befreit in den Nacken geworfen. Ihre wilden Locken hüpfen auf und ab. Seit langer Zeit habe ich sie nicht mehr so gesehen. Diese Erkenntnis jagt mir einen heißen Stich in die Stelle, an der mein Herz schlägt.
Ich bin dafür verantwortlich, dass sie sich nicht mehr so verhält. Ich und mein Selbsthass. Der Hass auf mich selbst, der mir jegliches Zukunftsdenken versagt. Der Hass, der mir immer und immer wieder zuflüstert, dass ich schlecht für sie bin. Dass ich ihr Leben ruiniere. Dass ich sie unglücklich mache.
Ich atme einmal tief durch, meine Augen nach wie vor auf Hermines ausgelassenes Lachen gerichtet, als sich eine breit grinsende Grimasse in mein Sichtfeld schiebt.
„Na, Professor. Wie geht's uns so?", fragt der Witzbold der Weasleys, als er mir auf die Schulter schlägt und sich auf einen Sessel, den er gerade beschworen hat, neben mich setzt. Mein finsterer Blick wandert zu ihm.
„Gerade eben noch besser", knurre ich, ehe ich das Weinglas an meine Lippen führe. Zufrieden stelle ich fest, dass ich wieder Herr meiner Zunge bin.
„Ach kommen Sie. Sie waren auf meiner Hochzeit und Sie haben sich unsere Mine ausgesucht. Sie müssen damit leben, dass Sie nun zu uns gehören, Professor", entgegnet er mit einem Lachen, ehe er die Stimme etwas senkt. „Seit wann trinken Sie eigentlich dieses Weibergesöff? Wollen Sie nicht lieber was für echte Männer?"
Mein Blick wandert über seine Gestalt. „Ich wüsste nicht, was sie dann damit zu tun hätten, Mr. Weasley." Sein lautes Lachen lässt mich kurz zusammenzucken.
„Hier", flüstert er verschwörerisch, öffnet eine Seite seiner Jacke und holt eine Flasche Feuerwhiskey heraus, „das entspricht doch sicherlich eher Ihrem Geschmack."
Ich atme einmal tief durch, stelle das Weinglas ab und schaue ihm direkt in die braunen Augen. „Danke", murmle ich erleichtert , „so lässt sich das hier vielleicht doch aushalten."
„Es ist widerlich, nicht?", stellt er fest, während er zwei Gläser mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit füllt. „Dieses ganze Rosa und Blau und Bauchgetätschle." Ich nicke bloß zustimmend, denn mein Blick hängt bereits wieder an der Frau, die ich liebe.
„Sie scheinen sie wirklich glücklich zu machen", flüstert mir der übriggebliebene Zwilling zu. Lautlos seufze ich. Wenn er wüsste.
Ein lautes Pling ertönt, als jemand mit einem metallischen Gegenstand gegen ein Glas schlägt. Ich suche den Raum ab, bis ich den jüngsten Mr. Weasley erkenne, der augenscheinlich das Glas in der Hand hält, seine Frau dicht neben ihm. Er räuspert sich.
„Also zuerst möchte ich euch allen danken, dass ihr meiner kleinen Schwester die Freude gemacht habt und hergekommen seid." Er blickt zu Miss Weasley mit einem Lächeln auf den Lippen. „Wir wollen wirklich nicht die Show stehlen, doch wir denken, dass es, jetzt wo ihr eh alle gerade da seid, der perfekte Zeitpunkt ist." Miss Patil greift nach seiner Hand und er schaut sie an. Die Liebe in seinem Blick ist beinahe zu greifen.
„Auch wir erwarten ein Baby", sagt er schließlich, die Augen noch immer nicht von seiner Frau nehmen könnend. 
Augenblicklich herrscht wilde Aufruhr, ein spitzer Aufschrei – wahrscheinlich von Molly – erfüllt den Raum und die gesamte Gästeschar drängt zu dem Paar, um ihre Glückwünsche zu übergeben. Doch ich habe nur Augen für eine Person. Hermine. Adrenalin rast durch meine Adern, als ich sie erblicke.
Ihre Augen sind weit aufgerissen und ihr Mund steht schockiert offen. Ihr Gesicht ist zu einer schmerzenden Grimasse verzogen.

Komm, unsere Herzen zeigen uns den WegWhere stories live. Discover now