Lutteo [2]

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»So perfekt.« Ihre Stimme ist kaum wahrnehmbar, aber doch habe ich ihre Worte mehr als nur klar verstanden. Jedoch hinterlassen sie lediglich ein Fass voller Fragen.
                Wieder sehe ich sie an, ohne etwas zu sagen. Sie erfasst meinen Blick richtig. »Er ist da.« Luna macht eine kurze Pause und atmet tief ein und aus. »Er ist vor einer Woche gekommen. Zuerst war ich froh, ihn endlich wieder zu sehen, aber er hat sich verändert. Sehr verändert.« Ich verstehe nichts von dem, was sie sagt. Unbeirrt fährt sie weiter. »Mein Vater, Matteo.«
                Alle Alarmglocken in meinem Kopf beginnen auf einmal zu klingeln. Wie oft habe ich Luna nach ihrem Vater gefragt und nie eine Antwort bekommen? Wie viele Male habe ich mich gefragt, wieso ich ihn noch nie gesehen habe?
                »Er arbeitet im Ausland.« Luna seufzt und wendet ihren Blick von mir ab. Sanft lege ich meine Finger unter ihr Kinn und zwinge sie somit, mich wieder anzusehen. Erneut beisst sie sich auf die Unterlippe. »Eigentlich ist er in einer Armee, aber ich weiss selbst nicht genau, was er bewirkt. Geschweige denn, wo er arbeitet. Vor vier Jahren habe ich ihn das letzte Mal gesehen.«
                Zögernd nicke ich. Was hat das alles mit uns zu tun?
                Luna nickt, wie als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Er will, dass wir umziehen. Ich soll alles hier aufgeben.« Ihre Augen fesseln mich. »Dich, meine Freunde, das Skaten und nur, weil er das möchte. Es gibt keinen richtigen Grund. Einfach nur damit er ein neues Leben beginnen kann.«
                Mein Atem bleibt mir im Hals stecken. Luna muss umziehen? Einfach so? Weg von hier? Weg von mir? »Aber ... aber dein Vater hat doch bestimmt einen Grund?«
                Sie schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt sie. »Das ist es ja. Er hat sich verändert. Vor vier Jahren hätte er alles dafür getan, dass es mir gut geht. Er hat mir praktisch all meine Wünsche erfüllt. Früher war er auch mindestens zweimal im Jahr hier.« Ihr Gesicht nimmt einen verträumten Ausdruck an, der sofort wieder verschwindet. »Ich weiss nicht, was passiert ist. Meine Mutter weiss es genau so wenig.«
                Ich schlucke. »Und wann sollt ihr gehen?« Die letzten Worte kommen nur noch als ein Flüstern über meine Zunge.
                Luna wirft einen kurzen Blick auf die Uhr hinter mir. »Vor zwei Stunden.«
                Meine Augenbrauen schiessen in die Höhe. »Was?«, frage ich aufgeregt.
                Fast schon verlegen wendet sie ihren Blick ab. »Ich wollte noch ein letztes Mal mit dir auftreten«, sagt sie. »Matteo, ich habe mich von dir ferngehalten, aus dem Grund, dass mir der Abschied vielleicht weniger schwer fallen würde, aber ... aber ich denke, ich kann mich nicht von dir verabschieden.«
                »Wie meinst du das?«
                »Ich kann nicht einfach weg von hier, Matteo. Ich liebe dich, ich liebe diesen Ort und ich liebe das Rollschuhfahren. Er kann mir das nicht einfach wegnehmen.« Ihr verzweifelter Blick rammt mir Messer in mein Herz. »Er kann es nicht machen, oder?« Wieder beginnt ihre Unterlippe zu zittern. Liebend gern würde ich ihr sagen, dass alles gut werden würde, aber ich kann es nicht. Ich kenne ihren Vater nicht und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man nach vier Jahren einfach so hereingeschneit kommt und verkündet, dass man umzieht. Oder doch? Mein Blick gleitet zu Luna.

Soy Luna - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt