Ruggarol [3]

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Meine Unterlippe beginnt zu zittern. Werde ich es noch rechtzeitig schaffen? Ist das überhaupt sein Flug? Ich setze mich in Bewegung und folge den Pfeilen, die mich zu diesem Gate führen, bis mir klar wird, dass ich durch die Sicherheitskontrolle muss. »Scheisse«, fauche ich.
      Gerade, als ich daran denke, aufzugeben, erblicke ich eine Person. Ich renne dort hin.
      »Karol«, begrüsst mein Onkel mich ziemlich überrascht. Als er mein tränenverschmiertes Gesicht sieht, runzelt er besorgt die Stirn. »Was ist los?«
      »Ich habe mein Handy drüben vergessen.«
      »Du warst hier? Ich habe dich gar nicht gesehen.« Er richtet seinen Anzug und sieht mich fragend an.
      »Ja ... dürfte ich schnell rüber?«, frage ich hoffnungsvoll.
      Kurz sieht er zu seinem Arbeitskollegen, der ihm die Erlaubnis gibt und ich krieche unter dem Band hindurch. Auch er ruft mir etwas hinterher, doch ich bekomme nicht mehr mit, was er sagt.
      Nach einigen Minuten, in denen ich den Pfeilen gefolgt bin, komme ich am richtigen Gate an. Es sind nicht mehr viele Leute, die in der Reihe stehen. Die meisten sind schon im Flugzeug. Mein Blick schweift über die knapp dreissig Leute, die noch anstehen.
      Ich erblicke ihn.
      Mein Herz rutscht mir in die Hose und ich stehe wie gelähmt da. Bis jetzt hatte ich noch die Hoffnung, dass das Ganze ein schlechter Scherz wäre, aber er will wirklich weg. Er will weg von mir. Bevor ich mich noch anders entscheide, setze ich einen Fuss vor den anderen. Ich ignoriere die Rufe der einzelnen Personen, die sich darüber aufregen, dass ich sie überhole. Das einzige, das ich sehe, ist die Erkenntnis, dass Ruggero einfach weg will.
      Mein Herz schlägt so schnell, dass es mir gleich aus der Brust springt. Ich komme neben ihm zum Stand. Anfangs bemerkt er mich gar nicht. Von der Seite starre ich ihn an und nehme seine verhärteten Gesichtszüge wahr. Ich weiss nicht, wie lange er gebraucht hat, um zu bemerken, dass ich neben ihm stehe, aber als er sich zu mir wendet, kommt es mir so vor, als würde die ganze Welt stehen bleiben.
      »Karol«, haucht er.
      Und in diesem Moment kommt meine ganze Wut auf. Ich trete einen Schritt näher an ihn zu. »Wieso? Wieso wolltest du einfach gehen?« Plötzlich verpufft die Wut und ich spüre nur noch Trauer. Trauer, die sich wie ein riesiger Klumpen in meinem Bauch niederlässt. »Du ... du willst einfach weg. Du willst mich einfach alleine lassen.«
      Ruggero wendet seinen Blick von mir ab. »Es ist das Beste.«
      »Nein!«, rufe ich. Ich bemerke gar nicht, dass uns eine ganze Menge Leute umzingelt hat. »Alles ist perfekt, wie es ist. Und den Rest schaffen wir. Zusammen.«
      Er schüttelt den Kopf. »Karol, deine Familie.«
      »Du bist mir wichtiger als meine Familie.«
      Er erstarrt mitten in der Bewegung. Fassungslos starrt er mich an.
      »Ruggero, ich liebe dich mehr als alles andere ... «
      Und plötzlich liegen seine Lippen auf meinen.
      Seine Hände legt er an meine Wangen und ich lasse mich von dem Gefühl berauschen. Bis mir etwas einfällt. Abrupt löse ich mich von ihm und schlage mit meiner ganzen – noch vorhandenen – Kraft in seinen Bauch. Er krümmt sich. »Für was war das denn?«
      Ich bringe ein Grinsen auf meine Lippen. »Für das, dass du einfach abhauen wolltest.«

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Und das war die 2. Kurzgeschichte🙈.
Wie fandet ihr sie?

Soy Luna - KurzgeschichtenWhere stories live. Discover now