Lutteo [4]

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Meine Tränen versperrten mir die Sicht. Ich sah alles nur noch verschwommen, weshalb ich seinen Gesichtsausdruck nicht entziffern konnte. »Lass mich los«, versuchte ich es nochmal, doch er gab nicht nach. Ich wollte nicht von ihm getragen werden. »Bitte, Matteo«, schluchzte ich.
                Abrupt blieb er stehen und liess mich sanft auf meinen Füssen ab. Ich wischte mir die Tränen aus meinem Gesicht und suchte Matteos Blick. So viele Gefühle auf einmal, strömen auf mich ein, doch ich bringe keine Worte heraus. Mein Herz fühlt sich so an, als hätte man es herausgenommen, eigenhändig auseinandergerissen und wieder eingesetzt.
                »Luna, lass es mir dir erklären.«
                Bevor er weiterfahren konnte, fand ich endlich meine Sprache wieder. Ich werde mir bestimmt nicht anhören, was er mir zu erklären hatte. »Sag nichts, Matteo.« Meine Stimme klang ziemlich zittrig, aber doch genug stark, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Ich habe dir alles erzählt. Alles, was mich je belastet hat. Du wusstest über alles Bescheid, über all meine Träume, die mich plagten und du wusstest genau wieso. Oh Gott, du wusstest alles.« Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte meine neu aufkommenden Tränen zu unterdrücken. »Aber etwas habe ich dir vorenthalten, Matteo. Du kamst nämlich auch in meinen Träumen vor. Mit einem Messer in der Hand. Ich wusste nie, wieso und konnte mir auch nicht vorstellen wieso, aber jetzt weiss ich es. Ich hatte Angst einzuschlafen, weil ich genau wusste, dass mich dieses Bild von dir zerstören würde. Es gab oft Nächte, in denen ich einfach wach geblieben bin, weil ich mir das nicht antun wollte. Ich wollte nicht mit ansehen, wie du neben mir mit einem Messer herumspazierst, weil ich diese Vorstellung einfach so absurd fand, dass du einer Menschenseele etwas antun könntest. Aber jetzt ...« Wieder rollten Tränen meine Wangen entlang. Ein Schluchzer entrann meiner Kehle und ich drohte wieder auf den Boden zu fallen.
                »Luna, es ist ...«
                »Ich will nichts hören, Matteo.« Nach diesen Worten drehte ich mich um und stürmte aus dem Haus. Ich war blind vor Tränen und konnte nichts sehen. Dafür war mein Gehör umso stärker. Das Hupen eines Autos drang in mein Ohr und ich erstarrte. Es wurde immer lauter und mit einem Ruck wurde am Arm gepackt und wäre beinahe wieder auf den Boden gefallen. Ich wusste, dass mich gerade wieder Matteo aufgefangen hatte und mir das Leben gerettet hatte. Wieso konnte er mein Leben retten, aber das Leben meines Vaters nicht? Ich wollte nicht, dass er mich rettete.
                »Luna, komm rein. Es ist zu gefährlich wenn du jetzt alleine rumläufst.« Aus seiner Stimme triefte pure Trauer, die mir das Herz schwer machte.
                Ich entwand mich aus seinem Griff. »Ich kann gut auf mich alleine aufpassen.«
                »Du wurdest gerade fast von einem Auto angefahren. Ich will nicht, dass dir etwas passiert Luna.« Er wollte nach meiner Hand greifen, doch ich zog sie weg. Den Schmerz, den ich in seinen braunen Augen sah, zerfrass mich innerlich. Ich erwiderte nichts darauf, sondern drehte mich auf dem Absatz um und rannte die Strasse entlang. Ich rannte und rannte, bis ich nicht mehr konnte und ich keine Schritte mehr hinter mir hörte. Erschöpft liess ich mich an der Wand hinabgleiten und atmete tief ein und aus. Ich konnte nicht mehr weinen. Meine Tränen waren bereits alle vergossen.

Soy Luna - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt