Warum?

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Als ich von der Toilette zurückkomme, finde ich Katy und Chloe in ein ernstes Gespräch vertieft vor. Trotz der späten Stunde und dem Alkohol, der schon reichlich geflossen ist, scheinen die beiden keine Probleme zu haben noch klare Gedanken zu fassen. Und ernste noch dazu.
Der Abend mit Chloe in unserer Lieblingsbar war, wie ich davor schon erwartet hatte, lustig und ausgelassen, besonders dann als auch noch Katy zu uns stieß, die zufällig mit noch ein paar Freunden da war. Insgesamt war die Runde groß und alle durchaus nicht mehr ganz nüchtern, was besonders amüsant für mich war, da ich bis jetzt am wenigsten getrunken hatte. Ich hatte Chloe versprochen zu fahren.
Und jetzt sitzen meine beste Freundin und Katy bei Katy zuhause und reden angeregt miteinander, mich scheinen sie dabei bereits vergessen zu haben. Das stört mich aber auch nicht, meine Gedanken waren sowieso woanders.
Denn kurz bevor wir drei um Mitternacht die Bar verließen und uns Richtung Parkplatz begaben, betraten zwei junge Mädchen, nur wenige Meter vor mir, die Bar. An sich nichts ungewöhnliches, auch wenn sie für die späte Zeit noch deutlich zu jung waren, beide ungefähr 16 und 17. Nein, es waren ihre verbundenen Hände, die meinen Blick auf sich zogen und ihnen nachschauen ließ. Und es war der leidenschaftliche Kuss auf der Tanzfläche, der mich nach Luft schnappen ließ, als mein Herz anfing zu brennen.
Und ich wurde wütend auf mich selbst. Ich wurde so wütend, dass ich die Tür aufriss und ohne ein Wort an Chloe und Katy vorbei stürmte, Richtung Auto. Seitdem versuche ich die wirbelnden Gedanken in meinem Kopf zu verdrängen, sie zum schweigen zu bringen, doch es hilft nichts. Und bevor meine beiden Freundinnen noch genauer nachfragen, habe ich beschlossen zu gehen. Ich war sowieso die ganze Zeit nur stumm bei ihnen gesessen.
"Chloe?", frage ich vorsichtig, während ich mir meine Jacke über die Schulter ziehe.
"Ja?"
Meine beste Freundin sieht mich fragend an. Auch Katy wirkt verwirrt.
"Es ist schon spät, ich würde jetzt gerne nachhause. Willst du mit oder wenn nicht, kann ich dann dein Auto nehmen?"
Chloe sieht kurz zu Katy hinüber, die nur auf das Sofa deutet.
"Du kannst hier schlafen, wenn du willst. Ich fahr dich dann in der Früh nachhause."
"Klingt gut, dann schlaf ich bei Katy. Pass aber auf, du bist auch nicht mehr nüchtern", sagt Chloe und wirft mir etwas zu schwungvoll die Schlüssel zu, sodass ich springen muss, um sie zu fangen.
"Nüchterner als ihr beiden", lächle ich und winke dann einmal kurz,"Tschüss, und schlaft gut!"
"Du auch Liz, gute Nacht", erwidern die beiden und heben ebenfalls kurz die Hände.
Ich nicke und verlasse gleich darauf Katys Wohnung im 2. Stock. Sobald ich alleine bin, erheben sich wieder die Stimmen in meinem Kopf und beginnen lautstark auf mich einzureden, ich kann mich gerade noch in Chloes Wagen setzen und das Gaspedal durchdrücken, dann beginnen die Tränen in meine Augen zu schießen und meine Wange hinab zu laufen.
"Scheiße, scheiße, scheiße", murmle ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen und kralle mich mit beiden Händen am Lenkrad fest. Die Ampel springt auf grün und vor mir liegt nur noch eine einsame Landstraße, die durch einen dunklen Wald führt.
Die beiden Mädchen in der Bar.
Warum? Warum reagiert mein Körper denn immer noch auf so etwas? Nach all der Zeit. Als würde man mir ein Loch in die Brust brennen. Mit einen glühend heißen Eisen.
Die Tränen beginnen schneller zu fließen, doch ich wische sie mir grob aus dem Gesicht.
Habe ich es denn nie wieder verdient glücklich zu werden?
Oh, ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und ich weiß, dass ich damit den Rest meines Lebens leben muss, aber warum tut es so weh?! Immer noch! Nach Jahren! Ist das die Art, wie ich bestraft werden soll? Dass es mir das Herz zerreißt, jedesmal wenn ich an sie erinnert werde. Wenn mir bewusst wird, was ich verloren habe. Es ist so viel mehr als nur ein Mensch.
Warum tust du mir das an. Warum! WARUM?!
Ich bemerke zu spät, dass meine Gedanken zu einem Schrei geworden sind. Mein Gesicht ist tränenüberströmt, sodass ich kaum noch etwas sehen kann und die linke Seite meiner Brust fühlt sich an als hätte man sie aufgeschlitzt. Zu allem Unglück fängt es nun auch noch an in Strömen zu regnen und bevor ich noch blindlings in einen Baum fahre, entschließe ich mich den Wagen in einem Waldweg anzuhalten.
Der Motor erstirbt.
Alles was ich höre, sind meine erstickten Schluchzer, die prasselnden Tropfen auf dem Autodach und mein schneller und ungleicher Atem.
"Ashlee."
Es ist nur ein Flüstern. Und das erste Mal seit 3 Jahren, dass dieser Name wieder über meine Lippen kommt.
Denn ich wusste, dass es mich zerreißen würde, ihn auszusprechen.
Und das tut es.
Mein Herz stockt und ein gequälter Schrei entkommt meiner Kehle, die Tränen fallen ungehemmt.
Plötzlich kommt mir das Auto zu klein vor, es erdrückt mich und ich stoße die Tür auf, falle, stolpere halb hinaus in den strömenden Regen.
"Warum? Warum ich?"
Meine Worte verlieren sich in der Dunkelheit. Der kalte Regen vermischt sich mit meinen Tränen und durchnässt mich in kürzester Zeit. Aber das Brennen in meinem Herz zieht sich weiter durch meine Adern und lässt mich schreien.
Ich schreie so laut ich kann und solange bis meine Stimme versagt.
Und die Kraft und Wut aus meinem Körper weicht.
Meine Beine geben nach und ich falle auf die Knie, direkt auf den nassen Waldboden.
"Ashlee."
Mein Körper krümmt sich, versucht sich vor dem Schmerz zu schützen.
"Du hast es mir versprochen."
Ich atme zitternd ein und aus.
"Du hast mir versprochen, mich nie wieder allein zu lassen!!!"
Meine Stimme wird wieder lauter und die Wut und Trauer kehrt zurück in meinen Körper, lässt mich auf die Füße springen und meine Hände schlagen blindlings gegen den nächsten Baum.
"DU WUSSTEST, WIE ICH LEIDEN WÜRDE UND TROTZDEM BIST DU GEGANGEN!"
Die Haut an meinen Händen platzt auf und das Blut fliest meine Arme hinab. Es kümmert mich nicht.
Ich sehe nur dieses Gesicht vor mir.
Dieses wunderschöne Gesicht.
"Du hast es versprochen", flüstere ich und klammere mich halt suchend an den Baum, auf den ich bis grade noch eingeschlagen hatte.
Und in meinen Gedanken verwandelt sich das harte Holz in einen weichen Körper, die kalte Rinde in eine warme Haut und die abweisenden Äste in liebevolle Arme, die mich in eine zärtliche Umarmung ziehen. Ich rieche ihren Duft und spüre ihre sanften Lippen an meiner Stirn.
Baby, ich hab dich. Es wird alles gut.

With you everything changed-againWhere stories live. Discover now