Auf Wiedersehen...

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"Happy Birthday to you."
Das Lied endet mit der letzten Note und alle klatschen begeistert los, während Sarah bereits lächelnd mit ihren Freunden, die links und rechts neben ihr sitzen, anstößt.
"Dankeschön und Prost. Heute Abend geht niemand nüchtern nachhause!"
Allgemeines Gelächter folgt den Worten des Geburtstagskindes und auch ich leere grinsend bereits das dritte Cocktailglas. Allerdings sind wir auch schon eine Stunde hier und feiern, also muss ich mir keine großen Vorwürfe machen. Heute Abend will ich einfach nur genießen und Spaß haben. Und Alkohol hat da noch nie geschadet.
"Schatz? Ich gehe kurz zur Bar. Willst du noch etwas zu trinken haben?"
Tom sieht mich fragend an. Ich sehe unschlüssig auf mein leeres Glas hinunter und nicke dann mit dem Kopf.
"Ich komme mit."
Zusammen stehen wir auf und durchqueren die in einem schummrigen Licht erleuchtete Bar. Die Barkeeperin ist gerade mit einer Gruppe junger Erwachsener beschäftigt, also lassen wir uns auf zwei Barhockern ein paar Meter entfernt nieder und ich schnappe mir Toms Hand, spiele mit seinen Fingern, während wir warten. Doch dann drückt er plötzlich fest zu und ich sehe verwundert auf.
"Hey Schatz, ist das nicht Ashlee da drüben? Wow, die ist aber erwachsen geworden."
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Und noch einen. Und noch einen dritten.
Ich halte die Luft an, starre krampfhaft auf meine Hände hinunter, mein Herz hämmert in meiner Brust und in meinem Kopf rasen die Gedanken wie verrückt.
Bitte lass ihn sich geirrt haben. Bitte lass es nicht sie sein. Bitte-
"Komm, wir sagen mal Hallo."
Bevor ich mich wehren kann oder ein Wort herausbringe, hat mich Tom von meinem Barhocker gezerrt und zieht mich an der Hand hinter sich her, direkt auf die fünf lachenden Personen wenige Meter neben uns zu.
"Tom, warte! Ich-", ist alles was ich noch panisch herausbekomme, da ist es auch schon zu spät.
"Hallo Ashlee. Lange nicht gesehen!" Eine der drei Frauen dreht sich überrascht zu uns um und ich bleibe wie angewurzelt stehen, kralle mich so fest ich kann an Toms Hand, halte erneut die Luft an.
Dieses Gesicht.
Es ist noch genau so wie ich es in Erinnerung hatte. Nur- noch schöner. Es hat seine letzten kindlichen Züge verloren und ist nun wirklich endgültig perfekt. Die kupferbraunen Haare fallen wie früher in leichten Wellen über die Schulter und die roten Lippen beginnen plötzlich zu lächeln.
"Oh, hallo Mr. Jones."
Diese Stimme.
Ich habe ihren Klang nicht vergessen. Er ist in mein Gehirn eingebrannt und jetzt wo ich ihn wieder höre, spielt mein Körper verrückt. Ich beginne zu zittern und gleichzeitig wird mir heiß.
Wie paralysiert verfolge ich wie die blauen Augen erst kurz über Toms Gesicht wandern, dann fällt ihr Blick auf mich.
Ich kann nicht anders. Ich kann mich nicht bewegen, kann nichts dagegen tun. Ich kann sie nur panisch anstarren. Mein Herz springt mir förmlich aus der Brust und meine Beine drohen einzuknicken.
Die tief blauen Augen beginnen sich erstaunt zu weiten, als sie mich erkennen und für ein paar Sekunden sagt keiner ein Wort. Die Zeit scheint still zu stehen.
"Hallo, Mrs. Taylor."
Ihre Stimmt ist rau, reißt mich aus meiner Schockstarre und so fällt mein Blick auf ihre vollen Lippen, die mich noch immer anlächeln. Es ist ein ehrliches Lächeln.
"Hi...Ashlee."
Ihr Name kommt mir kaum über die Lippen, vielleicht weil ich noch immer wie gebannt ihr Gesicht betrachte, das ich so lange nicht mehr gesehen habe. Ich kann mich einfach nicht losreißen, auch wenn ich es bald bereuen werde. Sehr bald.
"Ich hätte nicht gedacht, dich nochmal wiederzusehen! Wie geht's dir zur Zeit?", beginnt Tom eine lockere Unterhaltung, während sich Ashlees Freunde zurück zur Bar drehen. Ich habe nicht einen von ihnen genauer betrachtet. Ich stehe immer noch unter Schock.
Vier Jahre.
Vier Jahre habe ich sie nicht mehr gesehen und jetzt steht Ashlee vor mir, als wäre nie etwas geschehen, als würden wir uns kaum kennen, dabei ist sie mir bis ins kleinste Detail vertraut- jedenfalls war sie das damals.
Sie ist erwachsen geworden.
Und sie ist ohne mich erwachsen geworden.
Und eure Zeit ist endgültig vorbei.
Ich schüttle den Kopf um diese Stimme in mir loszuwerden, aber ich schaffe es nicht. Und irgendwie hat sie ja auch Recht.
Es ist vorbei. Ashlee ist meine Ex. Auch wenn dieses Wort scheußlich klingt, es ist so. Tom ist jetzt mein Freund und auch der Mensch mit dem ich mein restliches Leben verbringen will. Und werde.
All diese Gedanken rasen durch meinen Kopf, während Tom und Ashlee vor meinen Augen ein unbekümmertes Gespräch angefangen haben, wobei ich immer noch Toms Hand umklammert halte. Und als meine Augen unsere verbundenen Hände sehen, macht es in mir plötzlich Klick.
Das ist die Chance! Die Chance endlich mit allem abzuschließen. Endlich diese Träume und Flashbacks loszuwerden und in eine glückliche Zukunft mit Tom zu starten. Und sie ist einmalig.
"Hey, kann ich kurz mit dir reden?"
Der Satz hat schneller meinen Mund verlassen als ich es mir nochmal anders überlegen kann und plötzlich mutig geworden, sehe ich direkt in die blauen Augen meiner Ex-Freundin.
"Klar. Wo?", ist ihre freundliche Antwort und sogar das Lächeln erscheint wieder auf ihrem Gesicht. Ich bin verwundert. Eigentlich dürfte sie mich nicht einmal ansehen, geschweige denn freundlich zu mir sein. Jedenfalls würde ich das an ihrer Stelle tun.
Nachdem ich einen schnellen Blick durch die inzwischen volle Bar geworfen habe, deute ich kurz entschlossen auf eine Tür, über der eine Schild mit dem Wort Toiletten hängt.
"Dort."
Ohne meinem verblüfften Freund eines Blickes zu würdigen, gehe ich eilig voraus. Ich hoffe, ich kann ihm später alles plausibel erklären, aber ich muss das jetzt hinter mich bringen. Und ich muss es alleine tun.
Die Tür fällt hinter mir zu, aber ich habe nur ein paar Sekunden um mich zu sammeln, bis sie sich erneut öffnet und Ashlee eintritt. Sie bleibt in respektvollen Abstand zu mir stehen und zum ersten Mal an diesem Abend komme ich dazu, sie von Kopf bis Fuß zu betrachten. Meine Augen werden weit.
"Polizistin?"
Sie sieht mich verwirrt an.
"Was?"
Meine Wangen werden rot und ich verschränke unsicher meine Hände vor der Brust. Das geht ja schon mal gut los. Gottseidank beginnt diesmal mein Herz nicht wieder zu hämmern.
"Die Pistole an deinem Gürtel", versuche ich mich zu erklären, und ihr Lachen, das darauf folgt, bereitet mir eine Gänsehaut.
"Achso. Ja. So etwas ähnliches. Meine Kollegen und ich sind gleich nach der Arbeit hergekommen."
Arbeit. Verdammt, ist sie erwachsen geworden.
Ich nicke nur und eine Weile herrscht wieder Stille zwischen uns, in der wir uns gegenseitig betrachten. Ich sehe wie ihre blauen Augen über meinen Körper wandern, aber es ist mir nicht unangenehm.
"Ashlee...", beginne ich schließlich, ich will nicht länger als nötig hier alleine mit ihr sein, nicht länger als ich es kann, doch sie unterbricht mich sanft aber doch bestimmt.
"Liz, spuck es einfach aus."
Ich atme tief durch, spiele nervös mit meinen Fingern.
"Ich...ich wollte mich entschuldigen. Bei dir. Wegen...wegen damals. Ich- es war nicht so gemeint."
Ashlee zieht überrascht die Augenbraue nach oben, ihr Gesicht ist glatt, zeigt absolut keine Emotionen. Ihre Antwort ist ruhig.
"Du hast gesagt, du wünscht dir, du hättest mich nie getroffen."
"Manchmal!", werfe ich schnell ein, seufze dann aber tief," es tut mir leid. Wirklich, ich war so blöd und ich habe dich verletzt. Es tut mir ehrlich leid."
Ich sehe sie bittend an, auch wenn ich das eigentlich nicht tun wollte, aber ich glaube das bin ich ihr schuldig.
"Liz, was soll ich dazu sagen? Ich glaube dir, dass es dir leid tut aber ich weiß nicht mal, warum du das damals gesagt hast. Du kamst vollkommen aufgelöst nachhause und hast mich sofort angeschrien. Ich wusste nicht mal was ich tun sollte und schon wirfst du mir sowas an den Kopf."
Ashlee ist immer noch vollkommen ruhig, aber in ihren Augen spiegeln sich ihre wahren Gefühle wieder. Sie werden dunkel.
"Ich-...", ich will gerade zu einer umfangreichen Erklärung ansetzen, die mindestens noch zehn Entschuldigungen beinhaltet hätte, denn die Schuld lastet von Sekunde zu Sekunde in Ashlees Nähe stärker auf mir, doch wieder unterbricht sie mich.
"Nicht hier. Nicht jetzt. Wir haben jetzt keine Zeit dafür. Dein Freund wartet auf dich und meine Freunde auf mich."
Ich schließe enttäuscht wieder den Mund. Ich hatte wirklich gehofft, ich könnte hier und heute mit Ashlee und unserer Beziehung abschließen, aber sie hat Recht. Für eine lange Unterhaltung ist jetzt keine Zeit.
"Treffen wir uns morgen wieder hier. Um 18:00 Uhr?", fragt Ashlee und ich nicke.
"Ja, klingt gut. Ich glaube wir haben noch viel zu klären."
"Das glaube ich auch."
Wieder stehen wir uns schweigend gegenüber. Ashlee hat die Hände an ihren Gürtel gelegt, während ich meine Finger unsicher miteinander verschränkt habe. Ich weiß nicht, was ich damit tun soll.
"Weißt du, vielleicht habe ich damals überreagiert."
Ihre Worte sind leise, ihr Blick auf den Boden gerichtet. Mein Herz wird schwer.
"Nein", es ist nur ein Flüstern,"nein, ich hätte mich auch von mir getrennt."
Wir sehen uns tief in die Augen. Lange.
"Aber ich hätte dir eine Chance geben sollen, ich hätte nicht sofort verschwinden dürfen", erwidert sie schließlich hart. In ihren Augen ein undefinierbarer Ausdruck.
"Ash", ich stocke kurz, als ich diesen Spitznamen nach Jahren wieder ausspreche," du warst 19. Kein Kind mehr aber auch noch kein Erwachsener. Du brauchst dir keinen Vorwurf zu machen. Ich war schuld, ich war alt genug um es besser zu wissen."
Sie nickt nur noch einmal knapp, dann geht sie zur Tür hinüber und hält sie auf.
"Wir sollten wirklich wieder zurück."
Auch ich nicke und mache mich auf den Weg zurück in die Bar. Als ich an Ashlee vorbei komme, lächeln wir uns kurz zu.
"Ich sehe dich morgen?"
Sie nickt.
"Das wirst du."

With you everything changed-againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt