-3- Königliche Präsenz

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Ich rollte nur die Augen und schlurfte genervt auf die Tür zu. Noch ein weiterer Gast. Lass mich raten, es ist ein weiterer Zwerg, der mir den Abend rauben will, überlegte ich grimmig. Meine Finger legten sich um den Türknauf, ich drehte ihn um und die Haustür schwang knarzend zur Seite.
Ich starrte in zwei tiefblaue Augen, die mir so den Atem raubten, dass ich stockte. Augenblicklich pochte mir der Puls stärker gegen den Hals. Die Erscheinung vor mir war einen ganzen Kopf größer als ich und trug einen schweren Mantel wie die anderen Zwerge. Seiner war in royalblauer Farbe getunkt und mit einem edlen weißen Fell ausgearbeitet.
Der Zwerg hatte ein markantes Gesicht und welliges, walnussbraunes Haar, das an manchen Stellen zu kleinen Strähnchen geflochten war. Er trug einen gepflegten kurzen Bart, der sein Gesicht fürstlich erscheinen ließ. Und sehr flauschig aussah. Ich schluckte schwer, während meine Augen über sein Gesicht wanderten. Ich musste zugeben, er war ganz ansehnlich. Aus irgendeinem Grund fiel mir auf, dass mein Morgenmantel weit offen stand und jeder einen freien Blick auf mein Nachthemd hatte. Das auch noch verrutscht war. Ruckartig zog ich mir den Mantel zu und band ihn provisorisch zusammen. Mein Gegenüber schien das bemerkt zu haben, da er auf meine Hände starrte, die gerade nervös den Knoten gemacht hatten. Unsicher räusperte ich mich. Mit einem undefinierbaren Blick sah er mir ins Gesicht und meine Lippen öffneten sich einen Spalt. Unfähig, ihn in das Haus einzulassen, starrte ich still zurück. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Gandalf tauchte hinter mir auf und half mir aus meiner misslichen Lage. Das Schweigen wurde unterbrochen, als mein Gegenüber den Zauberer erkannte. Sein unerklärlicher Ausdruck änderte sich zu einem charmanten Lächeln.
,,Gandalf", sprach er in solch einer tiefen und rauen Stimme, dass es mein Mark erschütterte und mir in meinen Ohren klirrte.
,,Ich dachte, du sagtest, dieser Ort sei leicht zu finden. Habe den Weg verloren. Zweimal."
Ich bemerkte, wie die anderen Zwerge zu uns stießen und uns anlächelten. Ich stand noch immer vor der Tür und huschte wie vom Blitz getroffen zur Seite. Mein Gegenüber trat selbstsicher ein und ich starrte beschämt hinunter auf meine Füße. Wahrscheinlich richtete er seinen Blick auf Beutelsend oder Gandalf, doch ich bekam es nicht mit.
,,Hätte das richtige Haus wahrscheinlich nie gefunden, wäre das Zeichen an der Tür nicht gewesen", erwähnte er, während er elegant den Umhang von seinen Schultern strich. Ich runzelte die Stirn und sah wieder auf. Mit etwas aufgebrachter Simme meinte ich:
,,Zeichen? Was denn für ein Zeichen? Da ist nichts an der Tür, ich habe sie erst vor einer Woche streichen lassen." Ich trat einen Schritt nach links und beäugte die Holztür von außen. Gandalf schloss sie schnell und hüstelte.
,,Tatsächlich ist dort ein Zeichen, ich habe es selber angebracht. Es ist jedoch nur vorläufig", meinte er und nickte entschuldigend. Ich öffnete den Mund, um mich darüber zu beschweren, da sprach er gleich sanftmütig weiter.
,,Bilbo Beutlin", seine Hand zeigte auf mich, ,,erlaube mir, den Anführer unserer Unternehmung vorzustellen: Thorin Eichenschild."
Mein Blick huschte zögerlich von Gandalf zu dem Zwerg namens Thorin Eichenschild. In meinem Kopf ratterte es und ich überlegte fieberhaft, woher mir dieser Name bekannt war, als er sich zu mir drehte. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich unsicher, sobald ich ihm nach oben in die blauen Augen sah. Er trat einen Schritt auf mich zu und ich widerstand dem panischen Drang, zurückzuweichen. Sein Blick wanderte langsam an mir herunter und mein Körper war wie versteinert, da sah er wieder in mein Gesicht.
,,Also... das ist dann der Hobbit."
Seine Stimme klang abfällig und ich schluckte schwer. Ich fühlte mich beleidigt, doch auch komischerweise geschmeichelt. Auf seinen Lippen bildete sich ein Schmunzeln. Er verschränkte die muskelbepackten Arme vor der Brust und ging langsam um mich herum. Seine dunklen Augen durchbohrten meinen ganzen Körper.
,,Sag mir, Herr Beutlin, warst du schon im Kampf tätig?" Ich stand regungslos da und war von seiner Frage überrumpelt.
,,B-bitte was?", gab ich leise von mir. Er umrundete mich weiter und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
,,Axt oder Schwert? Welche Waffe wäre deine erste Wahl?" Statt ernsthaft über seine direkte Frage nachzudenken, wanderten meine Gedanken zu Essen. Ein Buttermesser wäre jetzt meine liebste Waffe. Schön stumpf und bereit mein Brot mit Leckereien zu bestreichen, überlegte ich. Augenblicklich bekam ich Hunger. Mein Gegenüber hob abwartend eine Augenbraue und ich schluckte.
,,Ehm, ich bevorzuge die Rute..." Oh, nein, was erzähle ich denn da? Das klingt nicht so, wie es sich anhören sollte. Die anderen Zwerge grinsten über meine Worte und ich fügte hektisch hinzu:
,,N-natürlich nur zum Angeln, wenn Ihr es genau wissen wollt. Aber ich weiß nicht, inwieweit das von Bedeutung sein sollte." Der große Zwerg stand nun wieder genau vor mir und beäugte mich eindringlich. Unter seinem Blick wurde ich unruhig und spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte. Ich versuchte, seinem Blick standzuhalten, da brach er ihn selber ab.
,,Dachte ich es mir...", sagte er amüsiert und drehte sich zu den Zwergen um.
,,Eher ein Stümper als ein Meisterdieb." Wie bitte?! Er warf mir ein abschätziges Lächeln zu und wandte sich dann von mir ab. Die anderen Zwerge lachten laut und besetzten nun wieder mein Speisezimmer. Leicht eingeschnappt stand ich da neben Gandalf und sah ihnen hinterher. Ein Stümper? Wer's glaubt. Und wieso dieser abschätzige Blick? Ich hab ihm doch gar nichts getan. Wie unhöflich. Und mal wieder werde ich von allen ausgelacht. Ich spürte seinen Blick auf mir, doch versuchte, mir nichts anzumerken. Nach einem Augenblick räusperte ich mich gekränkt und folgte zögernd den Zwergen. Sobald ich eintrat, erhellte sich die Miene von Fili und er grinste mir zu.
,,He, Kleiner!", rief er. Ich dachte, ich hatte mich verhört. Alle Zwerge, bis auf Eichenschild, der mit dem Rücken zu mir saß, sahen mich genauestens an.
,,Ich bin nicht 'Kleiner', ich heiße Bilbo!", rief ich entrüstet und kniff die Augen zusammen. Filis Grinsen wurde noch breiter und ich warf ihm einen unerfreuten Blick zu.
,,In Ordnung... Also, Bilbo, wärst du so freundlich und bringst unserem Onkel etwas Kleines zur Stärkung?" Etwas Kleines? Meint er meine Geduld? Empört sah ich ihn an, denn nach allem, was sie heute in meinem Haus angestellt haben, baten sie mich doch tatsächlich noch um etwas. Warum gehen sie nicht selber in die Küche? Vorhin haben sie sich doch auch reichlich an meinem Essen vergriffen, dachte ich. Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust.
,,Bin ich eure Küchenhilfe?", stieß ich hervor und wollte die Nase rümpfen, ließ es aber bleiben. Da fingen Fili und Kili plötzlich lauthals an, zu lachen. Entgeistert starrte ich sie an. Unerhört! Ich wollte meinen Mund noch verärgerter aufmachen, doch Gandalf meldete sich zu Wort:
,,Bilbo Beutlin, stell dich nicht so an! Erweise unseren Gästen ein wenig gutes Benehmen, wie es jeder Hobbit tut." Fassungslos drehte ich mich zu Gandalf um und konnte nicht glauben, was er da zu mir sagte.
,,Unseren Gästen?", sagte ich laut aus und sah ihn ungehalten an.
,,Ich habe nie irgendeinen Besuch verlangt!" Gereizt löste ich meine Arme aus der Verschränkung und trat einen Schritt auf ihn zu.
,,Ich wollte mir heute einen gemütlichen Abend vor dem Kamin machen, als diese Zwerge hier einfach so hereinspazierten, mein Haus verwüsteten, meine Speisekammer leerräumten und-" Ich hielt inne, als sich Gandalf schlagartig von seinem Stuhl erhob. Mit furiosem Gesichtsausdruck türmte er sich vor mir auf und donnerte mit ohrenbetäubender Stimme:
,,BILBO BEUTLIN!" Ich erstarrte.
,,Jetzt scher dich nicht so! Unser Gast hat einen langen und anstrengenden Weg hinter sich gebracht, um uns anzutreffen! Es wäre das Geringste, ihm ein Stück deiner Gastfreundschaft zu schenken und etwas Respekt zu zeigen! Sei doch wenigstens mal in dieser Hinsicht Hobbit genug!" Kurz war ich von Gandalfs schimpfendem Tonfall überrascht, dann fing ich mich wieder.
,,Ist ja gut...", grummelte ich und mein Mund öffnete sich, um noch etwas hinterher zu werfen, doch Gandalf sah mich bedrohlich an.
,,Bilbo", zischte er warnend. Ich hob abwehrend die Hände und wandte mich zum Gehen. Davor sah ich jedoch noch grimmig auf den Zwerg vor mir herab. Bestimmt findet er es amüsant.
Ich drehte mich erhobenen Hauptes um und stapfte in Richtung Küche. Während ich aus den verbliebenen Zutaten eine kleine Suppe zubereitete, hallten meine Gedanken laut in meinem Kopf wider. Warum sind dreizehn Zwerge in meinem Haus? Was wollen sie von mir? Wieso kommt mir der Zwerg mit dem Namen Thorin Eichenschild so bekannt vor? Es ist, als hätte ich den Namen irgendwo schon einmal gelesen. Aber wo? Und in welchem Zusammenhang? Ich weiß es nicht mehr. Wer sind diese ganzen Zwerge? Woher kennen sie Gandalf? Wieso ausgerechnet ich? Meine Gedanken wollten nicht enden und ich seufzte erschöpft.
Ich füllte die dampfende Suppe in eine kleine Schale und holte einen Löffel hervor. Aus dem Augenwinkel entdeckte ich noch einen Brötchenkorb und stopfte mir erstmal selber eines in den Mund. Mir fiel auch der Birnenkeks in meiner Manteltasche wieder ein und auch den aß ich auf. Dann nahm ich Schale und Korb in die Hände und zögerte einen Augenblick. Will ich da wirklich zurückgehen?, überlegte ich. Ich seufzte erneut und steuerte dann auf mein Esszimmer zu. Als ich eintrat, waren die Zwerge gerade in ein lautes Gespräch verwickelt und verstummten, sobald sie mich entdeckten. Haben sie etwa ein schlechtes Gewissen? Oder Angst davor, ich könnte einige Wortfetzen aufgenommen haben? Oder ... sie haben doch nicht über mich geredet?! Mit leisen Schritten näherte ich mich dem Esstisch und stellte beides vorsichtig vor Thorin Eichenschild ab. Ich wollte mich wieder umdrehen, da fing er meinen Blick mit seinen tiefblauen Augen auf.
,,Danke", sprach er sanft und schenkte mir ein kleines Lächeln. Ich wollte es erwidern, doch da verschwand es schon in der nächsten Sekunde. Etwas verlegen trat ich einen Schritt zurück und gesellte mich zu Gandalf. Mit dem Rücken lehnte ich mich an der Wand an.
,,Wie war das Treffen in den Ered Luin? Sind alle gekommen?", fragte Balin. Thorin nahm einen Löffel von der Suppe und sah zu ihm auf.
,,Ja. Die Abgesandten aller sieben Königreiche waren anwesend", sprach er in seiner tiefen Stimme. Die Zwerge sahen sich frohgestimmt an und jubelten bei seinen Worten. Ich hingegen verstand nichts und beobachtete ihn weiter, wie er von dem Essen probierte.
,,Das klingt vielversprechend", fand Balin lächelnd und der Zwerg neben ihm, ich glaube, Bofur war sein Name, nickte ihm angeheitert zu.
,,Gut, gut, aber was haben die Zwerge von den Eisenbergen gesagt? Schließt Dain sich uns nun an? Sie wohnen ja praktisch daneben", wollte Dwalin wissen und sah Thorin mit ernster Miene an. Dieser sah auf den Tisch herab und schüttelte kaum merklich den Kopf.
,,Nein. Dain wird uns nicht unterstützen. Genauso wenig wie all die anderen." Beinahe klappte Dwalin der Mund auf. Ich konnte sehen, dass er versuchte, seinen Schock zurückzuhalten. Auch die anderen Zwerge wirkten davon betreten und fingen an, mit ihren Sitznachbarn zu murmeln.
,,Sie alle sagen, diese Reise sei unsere Sache. Unsere allein. Zwar könnten sie damit nicht falscher liegen, aber wir können nichts tun", fügte Thorin hinzu und griff nach dem Krug Met, den wohl Fili für ihn gefüllt hatte. Balin fasste sich trübsinnig an den langen, weißen Bart und Dwalin lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Eine Reise? Was genau meint er damit?
,,I-Ihr geht auf eine Reise?", platzte es aus mir heraus. Alle Augen wanderten zu mir, auch die von Thorin und er stellte den Krug wieder ab. Bevor er mir jedoch antworten konnte, sprang Gandalf für ihn ein:
,,Bilbo, mein lieber Freund, könntest du uns etwas mehr Licht bringen?" Das war jetzt keine Antwort auf meine Frage, aber na sicher, gerne. Seit wann waren Gandalf und ich denn Freunde?, dachte ich und drehte mich trotzdem nickend um. Ich verließ den Raum und ging an das oberste Regal meines Lesezimmers, um dort eine Kerze mit Kerzenhalter herunterzunehmen. Anschließend nahm ich ein Streichholz hervor und zündete die Kerze an, dann schritt ich wieder in das Esszimmer. Gerade sah ich, wie Gandalf eine Karte unter seiner langen grauen Robe hervornahm und sie auf dem Tisch ausbreitete.
,,Weit im Osten, hinter zahlreichen Gebirgen und Flüssen, jenseits von den Wäldern und Sandländern liegt ein einzelner, entlegener, riesiger Berg. Seine verschneite Spitze ragt höher als alles andere im Umkreis." Sein Zeigefinger tippte auf einen großen Berg am oberen Rand der Karte, über dem etwas Rotes abgebildet war. Daneben standen rote, verschnörkelte Buchstaben und ich trat näher an den Tisch heran, um sie flüsternd vorzulesen:
,,'Der Einsame Berg'." Die Kerze hielt ich näher an das Pergament und meine Augen fuhren fasziniert über die eingezeichneten Wege und Orte. Ich stellte die Kerze ab und starrte auf unbekannte Schriftzeichen an der linken Seite der Karte. Muss Zwergisch sein. Was sie wohl bedeuten?, fragte ich mich und sah gebannt darauf. Dass ich mich dabei halb über Thorin Eichenschild lehnte, merkte ich erst, als er sich auffällig räusperte. Fragend blickte ich zu ihm und sein Gesicht war mir doch sehr nahe. Schnell richtete ich mich auf und drehte mich von ihm weg. Ups. Meine Füße trugen mich in die Speisekammer gegenüber und ich begann eifrig damit, die umgefallenen Obstschalen wieder zu befüllen.
,,Aye. Oin hat die Zeichen gedeutet und die Zeichen besagen, dass die Zeit reif ist!", rief der Zwerg mit dem rotorangenem Haar und dem langen struppigen Bart, Gloin müsste sein Name sein.
,,Man hat Raben gesehen, die zurück zum Berg geflogen sind, genau wie es geweissagt wurde. Das sind die Zeichen", meinte sein Bruder Oin, der Zwerg mit dem Trichterrohr.
,,Ihr wisst doch: 'Kehren die Vögel aus alter Zeit zurück zum Erebor, wird die Herrschaft der Bestie enden.' Und genau das ist eingetroffen." Der Apfel in meiner erstarrten Hand verfehlte die Obstschale und fiel plumpsend auf die Holzdielen. Zaghaft drehte ich mich um und alle Augenpaare waren auf mich gerichtet.
,,Eh... eine B-Bestie?", fragte ich angespannt. Bofur nahm die angezündete Pfeife aus dem Mund und warf mir einen unterhaltenen Blick zu.
,,Oh ja, damit ist wohl Smaug der Schreckliche gemeint. Ehrwürdigstes und entsetzlichstes Verhängnis unseres Zeitalters. Ist 'n fliegender Feuerspucker. Hat Zähne wie Rasiermesser. Klauen wie Fleischerhaken. Mit einer unbändigen Vorliebe für Edelmetalle, gerade die glänzenden", erzählte er ganz unwirsch und ich spürte, wie mir bei seinen Worten das Herz heftiger gegen die Brust schlug.
,,Ich weiß, was ein Drache ist", unterbrach ich ihn mit scharfer Stimme, bevor seine schrecklichen Worte noch detaillierter wurden. Ich war näher an den Esstisch herangeschlichen und musste meine Hand an der Wand neben Gandalfs Kopf abstützen. Sprunghaft erhob sich der jung aussehende Zwerg namens Ori von seinem Stuhl, der hinter ihm polternd zu Boden fiel. Er warf seine Fäuste auf den Tisch und rief unerschüttlich:
,,Ich habe keine Angst! Ich bin bereit! Den lasse ich spüren, was eine zwergische Eisenklinge ist, direkt in seinen Allerwertesten!" Autsch. Die Zwerge grölten laut und warfen in ihrem Eifer einige Bierkrüge um, deren Inhalt über den Tisch tropfte.
,,Recht so, Ori!", brüllte sein Bruder namens Nori, der, mit den rotbraunen Haaren, die zu einem Seestern geformt waren. Ich nahm meine Hand von der Wand und lehnte mich wieder mit dem Rücken daran.
,,Setz dich hin!", befahl sein anderer Bruder Dori und zog den jungen Zwerg auf den Stuhl zurück, den er gerade aufgestellt hatte. Oris überzeugter Ausdruck fiel und er sah zurückhaltend auf die Tischplatte herab. Balin meldete sich wieder zu Wort:
,,Auch mit der Unterstützung aller Königreiche und ihrer Truppen im Rücken wäre die Aufgabe schwierig genug. Und wir sind nur dreizehn. Und weder dreizehn der Stärksten, noch der Klügsten, wohlgemerkt." Er gab einen geplätteten Seufzer von sich, doch die Zwerge waren von seiner letzten Anmerkung wenig begeistert.
,,Aha, wen nennst du hier blöde?!", lärmte Nori und lehnte sich nach vorne an Gloin vorbei.
,,Wie bitte, was hast du gesagt?", rief Oin laut über den Tisch hinweg und hielt sich den Trichter an das Ohr. Langsam blickte ich in dem Stimmengewirr nicht mehr durch, wer wer war und wer da gerade sprach. Da schlug Fili seine Faust auf den Tisch und alle verstummten.
,,Wir mögen in der Zahl nicht viele sein, aber wir sind Krieger. Jeder einzelne von uns. Bis zum letzten Zwerg. Unsere Waffen werden ihn schon richten!", sprudelten die Worte aus seinem Mund und die Zwerge stimmten ihm laut zu. Sein Bruder Kili klopfte ihm auf die Schulter und warf mit erhellter Miene ein:
,,Jah und vergessen wir nicht, wir haben einen Zauberer in unseren Reihen! Gandalf hat sicher schon Hunderte an Drachen getötet!" Alle Köpfe drehten sich zu Gandalf und da ich neben ihm stand, richtete ich mich ein Stück auf. Auch meine Augen wanderten zu ihm und ich bemerkte, wie Gandalf überrumpelt die Pfeife in seiner Hand senkte.
,,Oh, nun, ja ich würde jetzt nicht wirklich sagen, dass... eh... hm", gab er undeutlich von sich und versuchte, keinem der Zwerge in die Augen zu blicken.
,,Wie viele denn?", forderte Dori und sah ihn abwartend an. Gandalf zog die Augenbrauen hoch und tat, als hätte er seine Frage nicht ganz verstanden.
,,Hm?" Er nahm einen Zug von seiner Pfeife. Dori lehnte sich eifrig über den Tisch und fragte deutlicher:
,,Wie viele Drachen habt Ihr denn genau getötet?" Alle Zwerge starrten Gandalf gespannt an, der sich an dem Pfeifenkraut verschluckte. Er hüstelte verlegen und der Rauch qualmte ihm aus Mund und Nase. Dori verzog ungeduldig das Gesicht.
,,Los, doch, sagt schon! Nennt uns eine Zahl!" Er sprang von seinem Stuhl auf, der diesmal ihm nach hinten umkippte und auch die anderen Zwerge erhoben sich wütend und brüllten wild durcheinander. Sie schlugen mit ihren Händen auf die Tischplatte auf und warfen die vollen Bierkrüge um. Bier kippte über den Tisch und tropfte an den Ecken hinunter. Ihre Stimmen waren ohrenbetäubend laut und ich zuckte vor dem verhassten Ton zusammen.
,,Oh, bitte, bitte...", stammelte ich und hob beschwichtigend die Hand, doch keiner der Zwerge bemerkte mich. Ihr tosendes Stimmengebrüll wurde noch krachender und ich wollte mir schon die Ohren zuhalten. Da richtete sich plötzlich Thorin Eichenschild auf und donnerte ein einziges Wort auf Zwergisch über den Tisch hinweg. Jeder verstummte und setzte sich langsam wieder hin. Meine Ohren klingelten von seiner tobenden Stimme, doch ob es wegen der Lautstärke oder etwas Anderem war, wusste ich nicht.
,,Wenn wir die Zeichen erkannt haben, glaubt ihr dann nicht, dass auch andere sie sehen? Wir müssen jetzt zur Tat schreiten!", stieß er dunkel aus. Dwalin senkte den Blick, ebenso wie die anderen Zwerge und jeder von ihnen hatte einen betroffenen Ausdruck im Gesicht. Ich legte meine Hände auf die kühle Steinwand hinter mir und sah aufmerksam zu dem Anführer der Zwerge.
,,Die Gerüchte verbreiten sich bereits. Ihr wisst es alle: Der Drache Smaug wurde seit sechzig Jahren nicht mehr gesehen. Sechzig Jahre, seit von unserem Zuhause keine Feuerschwallen mehr ausgingen. Blicke richten sich gen Osten. Die Mächte Mittelerdes schätzen, überlegen, wägen das Risiko ab, den Berg, unsere Heimat, einzunehmen. Der unermessliche Reichtum unseres Volkes liegt vielleicht schutzlos da. Wir werden doch nicht zusehen, wie andere sich das holen, was rechtmäßig uns gehört!" Er hob die Faust und schlug sie auf den Tisch.
,,NEIN! Denn wir ergreifen die Chance, holen uns den Erebor zurück und vernichten alle, die uns daran hindern wollen!" Alle Zwerge jubelten schallend. Fili und Kili klatschten sich gegenseitig ab, Gloin und Nori hoben ihre Krüge und stießen auf seine Worte an, Ori, Dori, Oin, Dwalin, Bifur, Bofur und Bombur grölten lärmend. Thorin rief ihnen Worte auf Zwergisch entgegen und lächelte zuversichtlich über ihre Gesichter hinweg. Meine Ohren spitzten sich schon wieder und ich strich den Kragen meines Morgenmantels glatt, um mich anderweitig zu beschäftigen. Nur Balin wirkte wenig euphorisch und sobald Thorin sich wieder gesetzt hatte, warf er bedenklich ein:
,,Wahre Worte, doch ihr alle vergesst, dass die Eingangspforte versiegelt ist. Es gibt keinen einzigen sicheren Weg in den Berg hinein." Dwalin hustete bitter und Kili warf seinem Bruder einen zwiegespaltenen Blick zu.
,,Das, mein lieber Balin, ist zu eurem Glück nicht ganz wahr", meinte Gandalf und alle Zwerge lehnten sich vor, um gespannt zu ihm zu blicken. Gandalf hob seine Hand und führte seine Finger in einer anmutigen Bewegung aneinander, als plötzlich ein metallener Gegenstand zwischen ihnen erschien. Ein Schlüssel. Ich sah, wie sich Thorins Mund vor Überraschung ein Stück öffnete.
,,Wie kamst du daran?", fragte er mit gesenkter Stimme und sah wie gefesselt auf den silbernen Schlüssel herab. Als Gandalf ihn weiter ins Licht hielt, klappte auch mir der Mund ein bisschen auf. Der Schlüssel war mit einem gebogenem Muster verziert und prunkvoll mit echtem Silber, wie ich annahm, veredelt. Er war groß und sah wertvoll aus, als wäre nicht einmal eine Handvoll Goldgroschen genügend dafür gewesen. Gandalf ließ ihn über seine Finger springen und hielt ihn dann Thorin hin.
,,Dein Vater hat ihn mir anvertraut. Ich sollte ihn sicher verwahren, so lauteten Thrains Worte. Das habe ich getan. Und nun gehört er dir", verdeutlichte er geheimnisvoll und Thorin nahm den Schlüssel achtsam entgegen. Er fuhr mit dem Daumen über die tiefen Konturen der Oberfläche und umschloss den Schlüssel dann in seiner Faust.

King Under The Moantain | bagginshieldWhere stories live. Discover now