-23- Blut, Schweiß und Schämen

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Ich bemerkte die Blicke der anderen Zwerge auf mir und sah zu ihnen auf. Sie sahen mich alle entschuldigend oder mit einem traurigen Lächeln an und ich erwiderte es.
Unvorbereitet wurde ich von Fili überfallen, der auf mich zukam und die Arme um mich schloss. Zuerst war ich überrumpelt, doch dann legte ich meine Hände auf seinen Rücken.
,,Bei Durins Bart, ich bin so froh, dass du wieder bei uns bist, Bilbo. Und das unversehrt", flüsterte Fili mit einem Lächeln in der Stimme. Er drückte seine Wange gegen meine und atmete glücklich aus. Ich lächelte und nach einem kurzen Moment lösten wir uns beide aus der Umarmung. Seine Hände lagen auf meinen Schultern und er sah mich prüfend an.
,,Aber dein Geheimnis musst du mir noch verraten", meinte er und warf mir ein Zwinkern zu. Welches? Er kannte es doch anscheind schon, dachte ich und seufzte innerlich.
,,Ein Meister verrät niemals seine Geheimnisse", meinte ich abwimmelnd und ein freches Grinsen legte sich auf meine Lippen. Filis Mundwinkel schossen in die Höhe und er grinste munter zurück. Er nahm die Hände von meinen Schultern und brachte einen Schritt Abstand zwischen uns. Meine Augen wanderten zu den anderen und ich sah auf Thorin. Er warf mir einen finsteren Blick zu und löste damit einen eiskalten Schauer in mir aus. Perplex zog ich die Augenbrauen zusammen. Was habe ich jetzt schon wieder getan?, überlegte ich und stand starr da. Sein Blick glitt zu Fili und es sah so aus, als hätte er ihn am liebsten an Ort und Stelle mit seinen bloßen Händen erwürgt. Fili bemerkte den Blick seines Onkels und sah ihn schelmisch grinsend an. Thorin gab ein Schnauben von sich und drehte sich einfach von uns weg. Was war das denn jetzt?
Ein langgezogenes Heulen durchriss die Abendluft und ich fuhr erschrocken zusammen. Ich drehte mich um und sah in die Richtung, aus der das Geheule kam. Zu meinem Schock erschien eine riesige Warghorde auf den hohen Hügeln genau hinter uns. Mein Herz machte einen Satz und ich erstarrte.
,,Vom Regen...", knurrte Thorin und zog mit finsterer Miene sein glänzendes Schwert mit einem Klimpern aus dem Schwerthalter an seinem Rücken.
,,...in die Traufe", fuhr Gandalf unerfreut fort und umgriff seinen Holzstab fester.
,,Lauft. LAUFT!", brüllte er und ich befreite mich aus meiner Starre. Mit ruppiger Atmung rannte ich Gandalf und den Zwergen bestürzt hinterher und stolperte zahlreich über kleine Wurzeln im Boden, konnte mich aber immer wieder fangen. Mein Herz klopfte mir lärmend gegen die Brust, während ich mit der Furcht kämpfte, die in mir aufkam. Schon vor Wölfen hatte ich eine riesige Angst, doch Warge übertrafen sie in vollem Maße. Wundert mich, dass ich noch keinen Herzinfarkt erlitten habe, dachte ich und beschleunigte meine Schritte. In dem Moment sprang ein riesiger brauner Warg genau über mich herüber und blieb mit gefletschten Zähnen vor mir stehen. Vor Schock war ich wie festgewurzelt und konnte nur noch mein Schwert hervorziehen, da sprang der Warg mit aufgerissenem Maul auf mich zu. Durch die Wucht wurde ich gegen einen Baumstamm gedrückt, während die Schwertklinge genau zwischen die Augen des Tieres gedrückt wurde. Der Warg zappelte kurz und fiel dann leblos zu Boden. Geschockt starrte ich auf ihn hinab.
,,Auf die Bäume, los! Alle von euch, klettert! Bilbo, kletter!", rief Gandalf und winkte umher. Obwohl ich am liebsten weggerannt wäre, brauchte ich das Schwert wieder. Meine Hände schlossen sich um den Griff und ich versuchte, das Schwert aus dem Kopf des Geschöpfs zu ziehen, doch es steckte fest. Um mich herum hörte ich, wie die Zwerge gegen die grausamen Wargs kämpften und schreckte zurück, als ein weiterer Warg neben mir landete. Mir rutschte der Griff aus der Hand und ich sprang einen panischen Schritt nach hinten. Rechts von mir tauchte Thorin auf und rammte kraftvoll sein Schwert in den Kopf des Wargs. Der Warg jaulte auf und fiel polternd zu Boden. In einem Ruck zog Thorin die Klinge wieder heraus und Blut tropfte auf den Boden herunter.
,,Sie kommen!", rief er warnend und drehte sich von mir weg. Ich stürzte auf mein Schwert zu und zog stark am Griff. Das laute Getrampel der restlichen Warge näherte sich rasch und ich stützte mich nun auf dem Kopf des Wargs ab, um das Schwert hinauszuziehen. Mit einem Ruck gelang es mir und ich stolperte rückwärts. Mein Blick fuhr herum und ich sah keinen einzigen Zwerg mehr, nicht einmal Gandalf. Mein Herz erlitt einen Schock und ich starrte mit großen Augen auf die gewaltige Horde an hetzenden Wargen. Bevor sie mich entdeckten, sprang ich an dem Baumstamm neben mir und zog mich panisch an den Ästen hoch. Ich kletterte weiter und weiter, bis ich auf dem vorletzten Ast saß und mir die Luft zum Atmen ausblieb. Mein Blick fuhr umher und ich entdeckte die Zwerge ebenfalls auf den Bäumen sitzen. Die Warge schnüffelten nach dem Geruch unseres Bluts und sprangen mit ausgefahrenen Klauen an den Baumstämmen hoch. Ich sah nach oben und erblickte Dori, der mich nicht weniger angsterfüllt ansah. Der Baum wackelte und die alten Wurzeln lösten sich langsam aus dem Erdboden. Ein Warg sprang so hoch, dass er mit seinen Reißzähnen den Ast genau unter mir zerbiss und ich zurückschreckte. Der Baum kam ins Wanken und riss dabei den nächsten mit, auf dem weitere Zwerge saßen. Panisch sprang ich auf den nächsten Baum zu und umklammerte den Baumstamm, doch auch die Wurzeln dieses Baumes waren herausgerissen. Die Zwerge und ich sprangen weiter zu dem nächsten Bäumen, bis wir auf dem letzten, unmittelbar an der Klippe stehenden Baum ankamen, auf dem Gandalf saß. Wir waren gefangen. Und die Warge kamen uns näher.
Sie rissen an den Wurzeln und sprangen an den Stamm, doch plötzlich flog ein brennender Tannenzapfen in das Fell eines Wargs. Es fing augenblicklich Feuer und der Warg wimmerte auf. Zwei weitere flogen dazu und ich sah nach oben. Gandalf hatte mithilfe seines Zauberstabs die Tannenzapfen in Brand gesetzt und warf sie nun den Zwergen zu. Fili, der schräg über mir saß, hielt mir den brennenden Zapfen hin und ich entzündete einen weiteren. Wir warfen sie vor den Baum und erzeugten einen lodernden Feuerkreis um uns herum, der die Warge zurückschrecken ließ. Doch unser Baum knickte ein und die Baumwurzeln rissen aus dem Boden. Der Baum fiel über die Klippe und kam waagerecht zum Stehen, doch die restlichen Wurzeln würden nicht lange zum Reißen brauchen. Meine Hände umfassten einen dicken Ast und ich krallte meine Fingernägel hinein. Ich hörte, wie Dori ,,Herr Gandalf!" rief, doch konnte mich nicht zu ihm umdrehen.
,,Nicht loslassen, Dori!", schrie Ori und ich wusste, sie waren kurz davor, in den Abgrund zu stürzen. Nein, nein, nein, nein...
Mehrere Meter vor uns bäumte sich ein bleicher Ork auf dem Rücken eines schneeweißen Wargs auf. Das Gesicht des Orks zierte ein blutdürstiges, hässliches Grinsen. Narben zogen sich aus seinen gelblich flackernden Augen über seine ganze grässliche Gestalt. Azog. Der Schänder. Als ich dachte, ich könnte nicht noch mehr Angst verspüren, hatte ich ihn noch nicht gesehen. In mir schrie alles nach Panik und es wäre bestimmt ein Leichtes gewesen, dem ein Ende zu machen und einfach loszulassen. Doch da bemerkte ich Thorin. Er hielt sich genau vor mir an einem dicken Ast fest und starrte wutentbrannt auf den bleichen Ork. Er drückte sich von dem Stamm hoch und stand erhaben auf. Sein Blick war unentwegt auf Azog gerichtet, als er sein Schwert zückte und überlegen den Baumstamm entlangging. An seinem linken Arm prangte ein Teil eines Astes, den er sich wie einen Schild vor die Brust hielt. Es war der Eichenschild. Thorins Schritte wurden schneller und er stürmte mit erhobener, glänzender Schwertklinge auf den bleichen Ork zu. Doch der sprang ihm genau entgegen. Die Klauen des Wargs bohrten sich tief durch Thorins Kleidung und er fiel durch die Wucht des Sprungs rücklings zu Boden. Ich hielt die Luft an und meine Arme umklammerten vor Grauen den Ast. Wacklig stand der Zwergenkönig wieder auf und ergriff sein Schwert. Da holte Azog mit seiner eisernen Knochenkeule aus und traf ihn mitten im Gesicht. Mein Herz setzte aus.
,,NEIN!", schrie Balin und sein Ausdruck war verzerrt. Er versuchte, sich am Ast hochzuziehen, doch er rutschte nur weiter hinab. Der Schrecken in meiner Brust stieg und ich spürte ein reißendes Klopfen in meinem Bauch. Mit letzter Kraft zog ich mich an meinem Ast hoch und stellte mich mit zitternden Knien auf den Baumstamm. Ich musste mitansehen, wie der weiße Warg sein Maul um Thorin schloss und seine Reißzähne in den Körper bohrte. Meine Atmung war schnappend.
,,THORIN, NEIN!", brüllte Dwalin und sprang auf einen anderen Ast, der abknickte. Thorins lauter Schmerzensruf schallte durch die Wälder und lärmte mir schmerzhaft in den Ohren wider. Der Warg hob sein Maul mit dem Zwergenkönig zwischen seinen Zähnen und drückte kräftig den Kiefer zusammen. Thorin stöhnte vor Schmerzen auf und musste Qualen erleiden. Er biss die Zähne aufeinander und stieß sein Schwert in die Höhe. Die Klinge traf die Schnauze des Wargs. Der Warg heulte laut auf und riss das Maul auf. Thorin wurde durch die Luft geschleudert und schlug hart auf einen großen Felsen gleich vor dem Abgrund auf. Er gab ein verwundetes Ächzen von sich und rührte sich nicht. Meine Augen fuhren furchtsam über das dunkle, schimmernde Blut, das auf seinem Gesicht lag. Azog wandte sich zu dem Ork links von ihm und warf ihm scheußliche Worte in ihrer schrecklichen schwarzen Sprache zu. Ich wusste, er würde ihn töten wollen. Das konnte ich nicht zulassen. Mein Puls bollerte mir gegen den Hals und meine Atmung war so rasant wie noch nie. Ich fasste nach dem Griff meines Schwerts und zog es mit einem schabenden Geräusch aus der Schwertscheide. Laut atmete ich aus und schluckte die Panik in mir herunter. Der Ork sprang von seinem Warg herunter und marschierte auf den Zwergenkönig zu. Ich musste an Gandalfs Worte denken, als er mir das Schwert übergeben hatte. Dass wahrer Mut bedeutete, ein Leben zu bewahren. Und das hatte ich vor. Entschlossen umpackte ich mit beiden Händen mein Schwert und rannte auf den Ork zu. Der Ork legte sein stumpfes Schwert an den Hals von Thorin und holte weit aus. Mit einem hasserfüllten Gebrüll sprang ich gegen seinen Körper und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Ich stieß ihn mit mir zu Boden und er strauchelte. Zackig setzte er sich auf und drückte mich schnaubend in die Erde. Er holte aus und wollte seine Faust in meinen Kopf schlagen, doch ich stieß ihm blitzschnell das Schwert in den Arm. Er wich grölend zurück und fiel nach hinten auf den Rücken. Ich setzte mich stürmisch auf ihn und rammte das blau glimmende Schwert in seinen Bauch. Dann zog ich es wieder heraus und rammte es ihm brüllend und aggressiv auch in die Brust. Der Ork zuckte quiekend und blieb dann ganz still liegen. Das Leben wich aus seinen bleichroten Augen. Ich zog mein Schwert aus dem zerfetzten Körper und stolperte rückwärts auf den Felsen zu. Ich sah über meine Schulter, nur, um zu sehen, dass Thorin die Augen geschlossen hatte. Er blieb leblos auf dem Felsen liegen. Er war ohnmächtig. Oder schlimmeres.
Schaudernd drehte ich mich wieder nach vorne zu den Orks. Azog hatte einen überraschten Ausdruck aufgesetzt, fand jedoch schnell sein hässliches Grinsen bei meinem Anblick wieder. Ich stellte mich genau vor Thorin und fuchtelte mit dem Schwert. Azog warf mir ohrenzerreißende Worte entgegen und lachte grausig auf. Drei weitere Orks kamen mit ihren Wargs bedrohlich auf mich zu. Sie fletschten die Zähne und leckten sich gierig über die verzerrten Mäuler. Die Angst kroch in alle Ecken meines Körpers und ich drehte das Schwert in meiner Hand. Ich schaffe es nicht. Ich werde sterben. Ich konnte ihn nicht retten. Mit tosendem Kampfgebrüll und gezückten Äxten stürmten die anderen Zwerge auf die Orksmeute zu. Für einen Augenblick gelang es ihnen, den Orks die Stirn zu bieten. Ein weiterer Ork auf einem braunen Warg sah mich mordlustig an und sprang auf mich zu. Ich hob mein Schwert und parierte seinen brutalen Schlag. Ich hechtete von ihm weg und fuhr herum. Azog rannte mir bestialisch auf seinem weißen Warg entgegen und ich fuchtelte mit der Klinge. Ich traf den Warg am Maul, doch er stieß mich wuchtig mit seiner langen Schnauze von sich. Ich flog durch die Luft und knallte polternd auf den Boden. Ein pochender Schmerz durchfuhr meinen Körper und ich blickte auf. Ich war mir sicher, mein Steißbein musste gebrochen sein. Mit zusammengebissenen Zähnen rutschte ich vor dem weißen Warg zurück. Mein Rücken stieß gegen den Felsen, auf dem Thorin lag. Ich erzitterte vor Angst und Azog grinste mir grausam entgegen. Ich sah hinter mich und blickte auf den ruhenden Zwerg. Inständig hoffte ich, dass er noch atmete und es noch nicht zu spät für ihn war. Ansonsten hätte ich mir nie verziehen. Der Warg rechts von Azog schlich mit bleckenden Zähnen auf mich zu und zeigte seine langen scharfen Reißer. Ich hatte Angst, so viel Angst, dass mein ganzer Körper in eine Starre verfiel. Ich konnte nichts tun, außer dem Warg, der zähnefletschend auf mich zuschlich, zuzusehen. Mich durchfuhr ein Furchtschauer. Ich wollte weiter zurückweichen, doch da schob sich der Felsen in meinen Rücken. Rapide atmend schaute ich erneut über meine Schulter und warf einen kurzen Blick auf Thorin, in der Hoffnung, er wäre wieder bei Bewusstsein. Doch das war er nicht. Wehklagend wandte ich meinen Blick von ihm ab und sah genau auf den Warg vor mir. Ich habe es nicht geschafft. Ich konnte ihn nicht retten. Ein trauernder Laut entwich meiner Kehle. In dem Moment erschien ein riesiger Flügelschlag über mir und der Warg wurde von den Füßen gerissen. Azog fuhr herum und der nächste Orkreiter wurde in die Lüfte gerissen und in den Abgrund gestoßen.
,,Die... Adler...", stammelte ich und Erleichterung wärmte meinen Körper von innen. Sie boten den Orks Einhalt, warfen die Wargs in das glühende Feuer und rissen sie von der Klippe. Ein großes hübsches Geschöpf mit goldbraunem Gefieder landete rechts von mir. Es streckte seine goldenen Zehen aus und umgriff zaghaft den verletzten Zwergenkönig. Mit einem unsicheren Gefühl sah ich dem fortfliegenden Adler hinterher. Gib gut auf ihn Acht... Vor mir erschien ein weiterer Adler, der dynamisch auf mich zuschoss.
,,Oh...!", rief ich aus und kniff die Augen zu. Ich wurde von einer Klaue gepackt und zu meinem Schock genau in der Luft fallengelassen. Im nächsten Moment landete ich weich auf dem Rücken eines anderen Adlers. Ich öffnete wieder die Augen und klammerte mich an den großen Federn des graubraunen Geschöpfes fest.
,,Thorin!", rief Fili, der mit Kili auf einem sandfarbenen Adler saß. Er sah sich mit sorgenvoller Miene um, während sein Bruder den Kopf hängen ließ. Fili entdeckte den König und sah ihn kummervoll an. Ich folgte seinem Blick und krabbelte über die Federn des Adlers, um ihn zu sehen. Meine Angst wuchs, als ich ihn erblickte. Er lag regungslos in den Klauen des goldenen Adlers. Sein Schwert Orkrist lag in seinen Armen und seine Augen waren geschlossen. Anders als am gestrigen Abend hatte er keinen friedlichen Ausdruck im Gesicht. Es war ein leidender Ausdruck. Es muss ihm gut gehen. Bitte.

King Under The Moantain | bagginshieldWhere stories live. Discover now