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Ich stand in einer wogenden Menge schreiender Menschen und brüllte lauthals die Songtexte der Lieder mit, die AgustD auf der Bühne rappte. Seine Augen schwiffen über das Publikum, als suchten sie nach etwas. Oder eher jemandem, denn kurz darauf blieben sie bei mir stehen. Sein Blick durchdrang mich förmlich und auch ich konnte nicht mehr wegsehen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, und doch waren es gleichzeitig nur ein paar Sekunden. Die Zeit um uns schien stehen zu bleiben. Das Johlen der Menge rückte in den Hintergrund und ich spürte, wie sich meine Hand in seine Richtung ausstreckte und auch er streckte mir seine Hand entgegen. Seine Handfläche öffnete sich und das Mikrophon, das sich noch in seiner Hand befand, fiel und kam mit einem schrillen Geräusch auf dem Boden auf.

Ich schreckte hoch. Neben mir auf dem Nachttisch klingelte mein Wecker. Wieso denn genau jetzt? Der Traum war gerade so schön gewesen.
Aber mein Wecker musste ja der Meinung sein, mich zu wecken und mir diesen schönen Traum nicht zu gönnen.

Müde schlug ich die Decke beiseite und stand auf. Ich suchte mir frische Klamotten aus meinem Kleiderschrank und schleppte mich durch den Flur ins Badezimmer.
Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, schnappte ich mir meine Schultasche und mein Handy, polterte die Treppe hinunter und verließ das Haus.

Obwohl ich fast verschlafen hätte, lag ich noch gut in der Zeit und so musste ich nicht einmal zur Bushaltestelle rennen.
Während ich auf den Bus wartete, der erst in zwei Minuten da sein sollte, checkte ich schnell meine Benachrichtigungen.

Siebenundfünfzig Nachrichten im Klassenchat, da mal wieder die Hälfte der Klasse die Mathe Hausaufgaben nicht verstanden hatte.
Eine Nachricht von Jungkook, der wissen wollte, ob ich Mathe gemacht hatte.
Eine Nachricht von meiner Mutter, die ich gestern vergessen hatte zu lesen, auch wenn sie nur wissen wollte, ob sie mir etwas vom Einkaufen mitbringen sollte.
Ein paar Posts auf Instagram und ein paar Tweets. Und dann sah ich es.

AgustD hat einen neuen Tweet veröffentlicht.

Als ich das las, quiekte ich kurz auf, weshalb die wenigen anderen Schüler an der Haltestelle, die keine Stöpsel im Ohr hatten, mich komisch anguckten. Peinlich. Schnell sah ich zurück auf mein Handy und klickte auf die Benachrichtigung. Twitter öffnete sich und der Kreis war zu sehen, der anzeigte, dass die App lud. Nervös wippte ich mit dem Bein und kaute auf meiner Unterlippe herum. Wieso lud das denn nicht?
Ein Blick auf meine Netzwerkeinstellungen beantwortete meine Frage. Ich hatte kein Internet. Genau aus diesem Grund hatte ich meine Mutter doch schon so oft angebettelt, von Prepaid zu einer Flat zu wechseln, damit ich auch unterwegs mit mobilen Daten im Internet surfen oder, wie in diesem Fall, AgustDs Tweets angucken konnte.
Dann musste ich den Schultag jetzt wohl überleben, ohne zu wissen, was in dem Tweet steht.

Kurz darauf kam der Bus und ich setzte mich auf meinen Stammplatz ganz hinten am Fenster. Nach 15 Minuten und 12 Stationen stieg ich gegenüber der Schule aus. Ich überquerte die Ampel und den Schulhof und betrat das Schulgebäude.

Im Klassenzimmer setzte ich mich auf meinen Platz und überlegte, was AgustD denn getweetet haben könnte. Vielleicht brachte er ja einen neuen Song raus? Oder ein ganzes Album?

Doch ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn in diesem Augenblick betrat unser Lehrer das Klassenzimmer.

Dann musste AgustDs Tweet wohl noch bis heute Nachmittag warten.

AgustD  // Yoonmin   ||WIRD ÜBERARBEITETWo Geschichten leben. Entdecke jetzt